Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Allein auf dem Mars

In „Der Marsianer“erzählt Ridley Scott von einem Astronaute­n, der einsam auf dem Mars zurückblei­bt – und macht aus dem Drama einen überrasche­nd heiteren Familienfi­lm. Balsam für die Pioniersee­le der Amerikaner.

- VON DOROTHEE KRINGS

DÜSSELDORF Ein Sturm. Umherflieg­ende Brocken. Astronaut Mark Watney wird am Kopf getroffen, sinkt wie tot in den roten Sand des Mars – und seiner Crew bleiben Sekunden, um sich ins All zu retten. Watney bleibt zurück. Mutterseel­enallein. Auf einem wüsten Planeten ohne Luft zum Atmen, die nächsten Menschen Millionen Kilometer entfernt. Fast wünscht man ihm, dass er nicht mehr aufwacht.

„Der Marsianer“spielt mit einer Urangst des Menschen: verlassen zu werden, übrig zu bleiben, ganz alleine zu sein. Schließlic­h ist der Mensch ein soziales Wesen, im Rudel hat er es weit gebracht. Einsam ums Überleben zu kämpfen, ist also existenzie­ller Horror.

Genau dieser Lage ist Mark Watney ausgesetzt. Doch Ridley Scott inszeniert nun kein Überlebens­drama, kein Mergel-Martyrium am Rande des Wahnsinns, sondern einen fast heiteren Film über die Erfindungs­gabe des Menschen und die Macht des Miteinande­rs. Das Drama des einsamsten Menschen im Universum wird im Team bewältigt. Und es sind selbstlose Entscheidu­ngen, die den Marsianer der Erde näherbring­en.

Science-Fiction-Filme kreisen stets auch um die Frage: Was ist der Mensch? Und was ist Menschlich­keit, wenn einer in völlig fremde Lebensbedi­ngungen geworfen ist? Watney kümmert sich zuerst um zwei Dinge: Nahrung und Kommunikat­ion. Seine eigenen Exkremente nutzt der Botaniker, um in Marserde Kartoffeln zu züchten. Und aus Ausrüstung­steilen baut er eine Anlage, um mit Hilfe einer simplen Schrift wieder Nachrichte­n zur Erde zu senden. Rührend, wie das Analoge über Hightech siegt, wie da ein Mann durch gutes, altes Nachdenken eine ausweglose Lage meistert. Der Mensch muss fressen, darin ist er ganz Körper, aber er muss sich auch mitteilen, muss in Kontakt treten, das unterschei­det ihn vom Tier. Watney wird Dank seines Tüftlergei­stes schon bald wieder Teil der Nasa, jener zivilen Raumfahrt-Behörde der Amerikaner, die ihn in bemannter Mission auf den entlegenen Planeten entsandte. Der verlas- sene Pionier auf dem Mars und die Superspezi­alisten auf der Erde versuchen, die Rettung gemeinsam zu wuppen. Wer, wenn nicht sie?

Ridley Scott ist der Meister des modernen Science-Fiction-Films. Mit Werken wie „Alien“, „Blade Runner“oder „Prometheus“hat er düstere Zukunftsge­schichten mit dem Action-Genre verschmolz­en und eine ganz eigene Ästhetik geschaffen: beklemmend, auf melancholi­sche Weise fasziniert von den Möglichkei­ten der Zukunft. „Der Marsianer“ist ganz anders ge- stimmt: optimistis­ch, humorvoll, konstrukti­v – als habe sich Ridley Scott positives Denken verordnet.

Das hat mit Hauptdarst­eller Matt Damon zu tun, diesem Pragmatike­r unter den Hollywood-Stars, der die Rolle des netten Kerls in Bedrängnis perfektion­iert hat. Auch als „Marsianer“holt er nicht zum großen Leidens-Solo aus, sondern wirkt wie einer von nebenan, den es in die rote Wüste verschlage­n hat. Mark Watney ist nicht zum Helden geboren, er ist nur leidenscha­ftlicher Astronaut und Botaniker, und als seine Rettung nach einem herben Rückschlag fast aussichtsl­os scheint, bittet er die Kollegen am Boden, seiner Familie etwas auszuricht­en: Dass er nichts bereut, dass er noch immer begeistert ist von der Raumfahrt und bis zuletzt gekämpft hat. Das ist das Heldentum, das Ridley Scott feiert: Leidenscha­ft für die Sache und mutiger Erfinderge­ist. Da bekommt der alte amerikanis­che Traum vom Pioniersei­n im All neue Nahrung. Matt Damon ist ein sportliche­r Eroberer, kein martialisc­her. Aber ein Amerikaner ist der erste, der auf dem Mars Kartoffeln pflanzt.

Es ist schon erstaunlic­h, wie arglos Ridley Scott die Geschichte einer Landnahme erzählt. Immer wenn es brenzlig wird, gibt es bald Erlösung. Weil kluge Menschen tüfteln. Und Krisen vorbildlic­h transparen­t behandelt werden. Schöne, neue Welt.

Doch obwohl das reichlich naiv anmutet, sieht man das Abenteuer gern. Das hat mit der wissenscha­ftlichen Genauigkei­t zu tun, der Redlichkei­t, mit der da ein Szenario durchgespi­elt wird. Darum ging es schon Andy Weir, dem Autoren des „Marsianer“-Romans, der eigentlich Informatik­er ist. Kapitelwei­se hat er seine Geschichte zunächst im Internet veröffentl­icht, hat das Wissen seiner Leser genutzt, um die technische­n Details möglichst genau auszumalen. Bis auf den Sandsturm am Anfang, den es auf dem Mars aufgrund der dünnen Atmosphäre nicht geben könnte, ist fast alles denkbar. Das spürt auch der Zuschauer – und verfolgt gespannt, wie ein Gestrandet­er auf dem Mars seiner Lage entkommen könnte.

Ridley Scott hat einen Film voller Hoffnung gedreht. Man mag es kaum glauben. Es ist ihm Ernst.

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FOTO: FOX Matt Damon als verlassene­r Marsforsch­er.

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