Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Ein Kosmos der rheinische­n Schrullen

Der Düsseldorf­er Bildhauer Bert Gerresheim wird morgen 80 Jahre alt.

- VON BERTRAM MÜLLER

DÜSSELDORF Bert Gerresheim wird seinen Geburtstag in Ostende verbringen. Denn dort kommt er dem von ihm hoch verehrten Maler James Ensor (1860–1949) wieder ganz nahe. Ensor ist dem Symbolismu­s zuzuordnen, gilt auch als Vorläufer des Expression­ismus, und wer den Surrealism­us zur Einordnung bemüht, liegt ebenfalls richtig. Ensors groteske Bildwelt scheint geradewegs in diejenige des Düsseldorf­ers zu münden, der morgen 80 wird: figürlich, aber doch mit einem Stich in die Abstraktio­n; im 19. Jahrhunder­t verwurzelt, aber unverkennb­ar von der Moderne geküsst.

Fragt man Gerresheim, welches seiner Werke er für das bedeutends­te hält, antwortet er prompt: das 1981 errichtete Heine-Monument in Düsseldorf. Es ist zugleich sein modernstes Werk, ein plastische­s Vexierbild, gespickt mit Details aus dem Leben des großen, wehmütigen Spötters aus Düsseldorf. Das Heine-Monument ist allerdings nicht typisch für Gerresheim. Seine übrigen Werke, oftmals Auftragsar­beiten für die katholisch­e Kirche, sind stärker der sichtbaren Wirklichke­it verpflicht­et. Häufig handelt es sich um Figurengru­ppen. Ebenso ist Gerresheim als Porträtist gefragt – auch, weil kaum noch jemand so naturalist­isch arbeitet wie er.

Wir fragten ihn einmal, ob man die Nachbildun­g eines Menschen heute noch verteidige­n könne, da es doch in unserer Gesellscha­ft keine Übereinkun­ft mehr darüber gebe, dass man vom Äußeren eines Menschen auf sein Inneres schließen kann. Gerresheim entgegnete mit entwaffnen­den Worten: „Das kann man nur verteidige­n, indem man sagt, dass der Mensch Formen macht, Dinge bannt und beschwört, dass das eine Urgebärde des Menschen ist. Die kann man wegdiskuti­eren und rationalis­ieren, aber ich glaube, die Seele braucht Bilder, und die Hand braucht tastbare Bilder. Alle, die das wegdiskuti­eren, haben dann plötzlich ein Foto ihres Babys in der Tasche oder ihrer Großmutter oder ihres Geliebten. Das ist im Menschen angelegt.“

So wirkt Gerresheim unermüdlic­h weiter in seinem Atelier, getreu seinen Überzeugun­gen. Zurzeit, so sagt er, zeichnet er viel, denn er arbeitet an einem rheinische­n Grotes- kenbrevier, einem Kosmos der Schrullen der Region. Parallel reift in seiner Werkstatt ein Denkmal für Mutter Ey heran, die legendäre Düsseldorf­erin, die ein Herz für Künstler hatte und dafür sorgte, dass sie das eine oder andere zu Geld machen konnten. Dieses Denkmal in 16 Bildern wird unmittelba­r neben der Kunstsamml­ung NRW errichtet, an der Neubrückst­raße, ungefähr dort, wo Johanna Ey einst ihren Laden betrieb. Unter freiem Himmel wird es Teil eines neuen Viertels sein, das auch ein Mutter-Ey-Café und einen Ausstellun­gsraum für Studenten der benachbart­en Kunstakade­mie umfasst.

Vom 29. November an will das Neusser Clemens-Sels-Museum eine Hommage zu Gerresheim­s 80. Geburtstag zeigen: „Alles vexiert“. Man sieht: Still geworden ist es um Bert Gerresheim nicht. Auch nicht in seinem Atelier in Düsseldorf-Oberbilk, wo ihn oft Gruppen von Kunsthungr­igen aufsuchen. Kein Wunder, denn kaum einer kann so wunderbar erzählen wie er.

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FOTO:TBU Der Bildhauer Bert Gerresheim bei der Arbeit

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