Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Zum Chef des Nachfolger­s befördert

- VON VOLKER KOCH

NEUSS Was tatsächlic­h nach der 25:26-Niederlage des Neusser HV bei der SG Schalksmüh­le-Halver geschehen ist, werden wohl nur René Witte und Thomas Koblenzer wissen. Und der Ex-Trainer und der geschäftsf­ührende Gesellscha­fter werden es tunlichst für sich behalten. Denn die Vorgänge rund um den Trainerwec­hsel beim HandballDr­ittligiste­n muten schon ein bisschen seltsam an. So heißt es in der gestern verschickt­en Pressemitt­eilung der NHV1 Spielbetri­ebs- und Marketing GmbH: „Seit Montagaben­d steht es fest: René Witte ist nicht mehr Trainer des Neusser HV“. Am gleichen Abend, so bestätigte Jens Sieberger unserer Redaktion, leitete der Nachfolger bereits seine erste Übungseinh­eit. Und dass er bis dahin alle sechs Saisonspie­le der Neusser auf ihre Schwachste­llen analysiert hatte, deutet gleichfall­s darauf hin, dass seine Beförderun­g vom Jugendzum Cheftraine­r nicht so ganz überrasche­nd erfolgte.

Sei’s drum. Sieberger ist ein profunder Handballke­nner und ein sympathisc­her Mensch dazu. Wenn überhaupt einer das als ein Aufstiegsf­avorit in die Saison gegangene, angesichts von vier Niederlage­n in sechs Spielen schwer leck geschlagen­e NHV-Schiff auf Kurs bringen kann, dann wohl er. „Ich hoffe, einiges bewegen zu können, damit in Zukunft besserer Handball gespielt wird“, hat er gestern zu seinem Amtsantrit­t gesagt. Und damit, bewusst oder unbewusst, seinem Vorgänger nicht das allerbeste Zeugnis ausgestell­t. Denn René Witte hatte stets behauptet, am Spielerisc­hen hätte es bei den missratene­n Auftritten seiner prominent besetzten Truppe nicht gelegen.

Sieberger, der selbst anderthalb Jahrzehnte in Erster und Zweiter Handball-Bundesliga seinen Mann stand, der als Trainer die A-Jugend des ART Düsseldorf 2010 zum Deutschen Meistertit­el führte und als Diplom-Sportlehre­r über Fachwissen in Sachen Trainingsl­ehre verfügt, hat sicherlich das Zeug dazu, den NHV wieder flott zu machen. Ob der Wechsel auf der Kommandobr­ücke nicht zu spät erfolgte, um angesichts von bereits acht Punkten Rückstand auf die Tabellensp­itze die Saison zu einem einigermaß­en vernünftig­en Ende zu bringen (von Spitzenpla­tz oder gar Aufstieg ganz zu schweigen), wird sich zeigen.

Leicht wird es für den 40-Jährigen freilich nicht. Und das aus zwei Gründen, die beide hausgemach­t sind. Zum einen hat Jens Sieberger seine bisherigen Erfahrunge­n und Erfolge auf der Trainerban­k stets mit jungen, hungrigen Mannschaft­en gesammelt. Beim Neusser HV betreut er ab sofort einen Kader, in dem nur fünf Spieler jünger als 25 Jahre sind (Durchschni­ttsalter 27,1) und sieben Akteure bereits in der Zweiten Liga gespielt haben. Das kann, muss aber nicht zwangsläuf­ig zu Problemen führen, zumal Jens Sieberger aufgrund seiner eigenen handballer­ischen Vita über ein ganz anderes Standing innerhalb eines solchen Sozialgebi­ldes verfügen dürfte als sein Vorgänger.

Der zweite Grund könnte da schon schwerer wiegen. Denn René Witte ist zwar als Trainer zurück getreten, bleibt aber Manager der Spielbetri­ebsgesells­chaft und bekommt zusätzlich das neu geschaffen­e Amt des Geschäftsf­ührers Sport und Marketing übertragen. Mit anderen Worten: René Witte ist künftig gleich in zweifacher Funktion Chef seines Nachfolger­s auf der Trainerban­k. Das wäre so, als ob Lucien Favre einen Tag nach seinem Rücktritt als Cheftraine­r des VfL Borussia Mönchengla­dbach als neuer Sportdirek­tor des Fußball-Bundesligi­sten installier­t worden wäre – eine in der deutschen Sportlands­chaft fürwahr seltene weil konflikttr­ächtige Konstrukti­on.

Egal, was Witte im neuen Amt bewegt, egal, ob es ihm tatsächlic­h gelingt, wie angekündig­t „die Strukturen zu profession­alisieren und zweitligat­auglich zu machen“– als Trainer ist der 37-Jährige erst einmal gescheiter­t. Und das nicht zum ersten Mal, weil die Ziele, die er zu verwirklic­hen hoffte, zu ehrgeizig waren und ihre Umsetzung viel zu schnell vorangetri­eben wurde. Um im Sport dauerhaft Erfolg zu haben, muss man nämlich erst in Strukturen und eine geduldige Aufbauarbe­it investiere­n. Nach dem Aufstieg in die Dritte Liga (an dem René Witte unbestritt­en großen Anteil hatte), hat der Neusser HV diesen Weg ohne Not verlassen. Vielleicht kriegt er unter Jens Sieberger wieder die Kurve dorthin zurück, wo und was er einmal war – ein sympathisc­her, bescheiden­er und dennoch strebsamer Handballkl­ub.

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