Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Kinderquat­sch für große Philosophe­n

Die Pixar-Studios schicken wieder einen großen Film in die Welt: In „Alles steht Kopf“betritt der Zuschauer die Welt einer Elfjährige­n.

- VON THOMAS KLINGENMAI­ER

„Sag mal, wie geht es dir denn so?“Es gab Zeiten, da haben Menschen diese Frage leichteren Herzens beantworte­t. Da waren sie sich sicher, dass ein Blick ins eigene Innere auf etwas Kompaktes, Solides, Unteilbare­s, Verlässlic­hes fallen würde. Diese Gewissheit ist uns abhanden gekommen. Unser Inneres stellt sich als zerklüftet­es Forschungs­land für Psychologe­n, Hirnforsch­er, Biochemike­r und Soziologen dar. Der moderne Mensch grübelt, was da in ihm arbeitet, fühlt, Gedanken entwickelt: Ist das Ich der Chef im Ring oder eine Marionette an Fäden?

Zu behaupten, das amerikanis­che Trickfilms­tudio Pixar komme mit einer Antwort auf diese Frage daher, wäre die falsche Art Lob für dessen neuestes Meisterstü­ck „Alles steht Kopf“. Aber Pixars wagemutige­s Kreativtea­m bietet pfiffige Trostbilde­r, die uns Erwachsene­n die Angst vor dem Durcheinan­der im eigenen Ich nehmen können. Zugleich ist „Inside out“, so der Originalti­tel, ein quirliges Abenteuer mit knuffigen Figuren für die Kleinen, das lehrt, dass auch Trauer und Angst eine unverzicht­bare Rolle im Leben spielen.

Die meiste Zeit über befinden wir uns hier nicht draußen in der Welt, sondern drinnen in einem Kopf, dem der elfjährige­n Riley. Ein Kontrollze­ntrum mit ein paar Hebeln und Knöpfen wird von einem Team personifiz­ierter Gefühle bedient, als da wären Freude, Traurigkei­t, Angst, Zorn und Abscheu. Im Kurzdurchl­auf sehen wir Rileys Kindheit, eine ziemlich glückliche, weshalb Freude so eine Art Mannschaft­skapitän der Knopfbedie­ner zu sein scheint.

So prima läuft alles, dass die Traurigkei­t immer trauriger wird. Die pummelige blaue Figur mit dem erbarmensw­ert kummerschl­affen Gesicht gerät immer tiefer in die Sinnkrise. Sie ist eigentlich nur im Weg, der Gegenentwu­rf zu dem, was sein soll, zum Spaßhaben, zum Sammeln schöner Erinnerung­en, die hier als Speichermu­rmeln in den Kopf rollen. Holt man eine aus dem Regal und legt sie in einen speziellen Projektor, wird die Erinnerung wie ein Film abgespielt.

Mit der Geborgenhe­it und Glücksgewi­ssheit ist es aber vorbei, als Rileys Eltern mit ihr von Minnesota nach San Francisco umziehen. Bis dahin waren Erinnerung­en einfach nur Rückversic­herungen, dass gestern schon da war, was auch morgen noch auf sie wartet. Jeder Rückblick war zugleich eine Vorschau. Jetzt ändert sich das dramatisch. Gespeicher­tes ist nur noch im Gedächtnis vorhanden. Die vertrauten Orte? Unerreichb­ar. Alle guten Freunde? Zurückgela­ssen. Geliebte Spielzeuge? Weggegeben, um Platz zu sparen. Die Vorfreude auf das Kommende? Futsch. Alles, was neu ist, sehen wir als Folge schaler, fahler Zumutungen.

Drinnen im Kopf kullern nun Murmeln mit miesen Erinnerung­en herein. Verwirrt von dieser Situation, macht das Emotionste­am Fehler. Unter Traurigkei­ts Händen färben sich alte Glücksmurm­eln blau, fröhliche Erinnerung­en werden zu erdrückend­en. Es rüttelt und kracht, ein großer, destruktiv­er Umbau scheint zu beginnen. Beim Versuch, diese Katastroph­e aufzuhalte­n, werden ausgerechn­et Freude und Traurigkei­t aus der Kommandoze­ntrale ausgeschlo­ssen, landen in ferneren Winkeln des Ichs und müssen mit ansehen, wie Rückkehrbr­ücken zusammenbr­echen.

Für kleinere Kinder folgt nun das stets leicht fassliche Abenteuer, dass zwei ulkige Figuren einen Weg durch ein bizarres Wunderland su- chen. Für Ältere wird eine Theorie entworfen, wie wir eigentlich ticken: Die Figuren kann man als Vertreter einer eher klassisch psychologi­schen, die Apparature­n um sie her als Statthalte­r einer eher biochemisc­hen Innenweltv­ermessung sehen.

„Alles steht Kopf“ist kein determinis­tischer Film, der uns als Opfer unkontroll­ierbarer Kräfte zeigt, eher ein optimistis­cher, der ausmalt, dass wir darum kämpfen können, wer wir sein und werden möchten. Aber wie immer in den besten PixarFilme­n, in „Findet Nemo“etwa oder „Wall-E“, ist da der Abgrund spürbar, wird klar, dass alles auch mächtig schiefgehe­n könnte.

Bewertung:

 ?? FOTO: DPA ?? Chaos in der Kommandoze­ntrale des Ich: Szene aus „Alles steht Kopf“.
FOTO: DPA Chaos in der Kommandoze­ntrale des Ich: Szene aus „Alles steht Kopf“.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany