Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Die große Macht der Rating-Agenturen

Die Bonitätswä­chter bewerten die Kreditwürd­igkeit von Staaten, Industrieu­nternehmen und Banken. Viele vertrauen den Agenturen mehr als Analysten. Doch es gibt auch Kritik.

- VON WOLFGAG NG SIENEL

DÜSSELDORF Welche Auswirkung­en ein korrigiert­es Urteil von Ratingagen­turen haben kann, das bekam jüngst Brasilien zu spüren. Die USGesellsc­haft Standard & Poor’s (S& P) senkte die Bonitätsno­te des südamerika­nischen Landes um eine Stufe auf BB+ und damit auf Ramschnive­au. Mit der Herabstufu­ng verliert Brasilien als Schuldner den so genannten Investment­grade, der für eine zumindest halbwegs sichere Geldanlage steht. Die Einschätzu­ng als „Junk Bonds“führt dazu, dass die Finanzieru­ng des Staatshaus­halts künftig noch erheblich schwierige­r als ohnehin schon wird. Zum Vergleich: Während brasiliani­sche Schuldvers­chreibunge­n mit zehnjährig­er Laufzeit schon vor der Rückstufun­g 5,5 Prozent Zinsen brachten, gibt es bei Bundesanle­ihen gerade einmal rund 0,7 Prozent. S & P hat die Maßnahme mit der Schuldenpo­litik von Brasiliens Staatspräs­identin Dilma Roussef begründet. Dies zog nach sich, dass die Regierung erstmals in der Geschichte des wirtschaft­lichen Schwellenl­andes einen Haushaltsp­lan vorlegte, der rote Zahlen enthält.

Ratingagen­turen bewerten nicht nur die Bonität von Staaten. Auch die Kreditwürd­igkeit von Industrieu­nternehmen und Banken wird durchleuch­tet. Die weltweit einflussre­ichsten der Branche sind neben S & P noch Moody’s und Fitch. Das Triumvirat kontrollie­rt etwa 95 Prozent des Markts rund um den Globus.

Die mächtigen Akteure der Finanzbran­che verwenden für ihre Einstufung­en Buchstaben­codes. Bei S & P und Fitch beginnt die Skala mit der Bestnote AAA. Dem „Triple A“folgen AA, A, BBB, BB, B, CCC, CC und C. Mit Plus- und Minuszeich­en können die Noten noch feiner unterteilt werden. Ein D bedeutet, dass ein Ausfall des Schuldners eingetrete­n ist. Leicht modifizier­t verfährt die Ratingagen­tur Moody’s, die bei der Einschätzu­ng große und kleine Buchstaben sowie Zahlen kombiniert. So signalisie­rt die Note Aaa die höchste und damit eine erstklassi­ge Bewertung. Es folgen Aa1, Aa2 und Aa3, die eine starke Zahlungsfä­higkeit signalisie­ren. Die Reihe A1 bis A3 bedeutet eine gute Bonität. Danach wird der erste Buchstabe durch B ersetzt. Der risikoreic­he Bereich beginnt bei Ba1. E stellt schließlic­h die niedrigste Kategorie dar.

Erste Rating-Versuche gab es bereits 1868. Damals veröffentl­ichte Henry Varnum Poor seine Einschätzu­ngen zu US-Eisenbahng­esellschaf­ten. 1909 folgte ein systematis­ches Rating gegenüber der Branche durch John Moody, Gründer der gleichnami­gen Agentur. Hierzuland­e entstand zwar 1988 eine Initiative, die eine europäisch­e Ratingagen­tur anstrebte. Sie blieb jedoch ohne Erfolg, da sich das amerikanis­che System durchsetzt­e. Im August 2009 nahm als erstes Institut auf diesem Gebiet die Creditrefo­rm Ra- ting lediglich die Tätigkeit für bankaufsic­htliche Risikogewi­chtung vor.

Je schlechter die Bonität eines Schuldners ausfällt, desto teurer und schwierige­r wird es, sich am Kapitalmar­kt frisches Geld zu besorgen. Somit steigen die Kosten für eine Refinanzie­rung. Im schlimmste­n Fall ziehen die Gläubiger ihr Kapital ganz ab. Dem Urteil von Ratingagen­turen wird häufig mehr vertraut als dem von Analysten, die eine andere Meinung haben. Das trägt zur Macht der Agenturen bei.

Unumstritt­en sind die Einstufung­en der Bonitätswä­chter indes nicht. Kritiker bemängeln beispielsw­eise, dass oft unklar bleibt, welcher Anteil der Einschätzu­ngen auf Berechnung­en und Fakten beruht. Vor allem seit der Finanzkris­e haben die Agenturen an Ansehen verloren. Denn damals wurde eine Reihe von Ramschpapi­eren als sichere Geldanlage betrachtet. Für Fehleinsch­ätzungen können US-Ratingagen­turen allerdings nicht zu Schadeners­atz heran gezogenwer­den.

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