Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Die IG Metall sortiert sich neu

Nach nur zwei Jahren ist für Detlef Wetzel Schluss als Erster Vorsitzend­er der größten deutschen Gewerkscha­ft. Sein Nachfolger Jörg Hofmann wird sich mit Werkverträ­gen und der Industrie 4.0 herumschla­gen müssen.

- VON MAXIMILIAN PLÜCK

DÜSSELDORF Als Detlef Wetzel vor zwei Jahren vorzeitig Berthold Huber an der Spitze der größten deutschen Einzelgewe­rkschaft ablöste, da war bereits klar, dass der Siegener nur eine „Amtszeit light“absolviere­n würde. Zwei, statt der sonst üblichen vier Jahre als Erster Vorsitzend­er. Das ist wenig Zeit, um das ganz große Rad zu drehen. Doch wenn Wetzel ab dem kommenden Wochenende beim 23. ordentlich­en Gewerkscha­ftstag der IG Metall in Frankfurt – einer einwöchige­n, rund sechs Millionen Euro verschling­enden Marathon-Veranstalt­ung – ein Resümee seiner Amtszeit zieht, kann der 62Jährige zufrieden mit sich sein.

Die IG Metall ist unter Wetzels Führung endgültig aus dem tiefen Tal der Tränen herausgetr­eten, in das sie Anfang der 2000er-Jahre gerutscht war. Flügelkämp­fe und Mitglieder­schwund? Sie scheinen inzwischen der Vergangenh­eit anzugehöre­n. Schon unter seinem Vorgänger Huber hat Wetzel als Zweiter Vorsitzend­er und zuständige­s Bundesvors­tandsmitgl­ied für die Mitglieder­entwicklun­g die IG Metall auf einen klaren Kurs gebracht: Mitglieder­werbung, Mitglieder­werbung und nochmals Mitglieder­werbung, lautete und lautet immer noch sein Credo. Und dies verstärkt in Bereichen, in denen die IG Metall nur schwer Fuß fassen konnte – bei den Angestellt­en, den Studierend­en, den Ingenieure­n und nicht zuletzt bei Frauen.

Diese Strategie leuchtete nicht jedem Gewerkscha­fter sofort ein. Zumal Wetzel auch die Axt an – aus seiner Sicht – veraltete Strukturen legte. Die Neuausrich­tung und der dafür nötige Umbau der Riesenorga­nisation inklusive Verschlank­ung schmeckte nicht jedem Funktionär. Schließlic­h ging es auch um lieb gewonnene Besitzstän­de. Zudem wird Wetzel nachgesagt, zu seinen Mitmensche­n auch mal ruppig zu sein.

Doch die Resultate sprechen für ihn: Seit 2010 ist die IG Metall in jedem Jahr gewachsen. Auch 2015 wird das voraussich­tlich so sein. Wichtig ist es aber, die einmal gewonnenen Mitglieder auch zu halten – bei einem Mitgliedsb­eitrag von einem stolzen Prozent des Bruttoeink­ommens keine leichte Aufgabe. Es wird eine der großen Herausford­erungen für Wetzels Nachfolger, den BadenWürtt­emberger Jörg Hofmann. Der wird sich beim Gewerkscha­ftstag in Frankfurt von den rund 500 Delegierte­n eine Strategie absegnen lassen, mit der die einfachen Mitglieder künftig in der Organisati­on mehr zu sagen haben. Wenn das Mitglied auch das Gefühl habe, dass seine Belange ernst genommen würden und in echter Politik mündeten, so die Überlegung, könne man es bei der Stange halten. Zwar lässt die Gewerkscha­ft schon jetzt alle zwei Jahre per Beschäftig­tenbefragu­ng Themen erheben. Aber diese Beteiligun­g soll noch mehr ausgebaut werden.

Und auch sonst mangelt es der IG Metall wahrlich nicht an Herausford­erungen: Da wäre der VW-Skandal, aber vor allem auch die Unruhe, die die „Industrie 4.0“verbreitet– also die Digitalisi­erung und Vernetzung von Produktion­sprozessen. Die Befürchtun­gen der Beschäftig­ten sind groß, dass durch die Automatisi­erung Stellen wegfallen, ältere Beschäftig­te nicht genug weitergebi­ldet werden oder Maschinen am Ende den Menschen die Arbeit diktieren.

Daneben wird es bei den einwöchige­n Antragsber­atungen vor allem um die unliebsame­n Werkverträ­ge gehen. Die drohen gerade, der inzwischen mit Hilfe von Branchenzu- schlägen eingedämmt­en Leiharbeit den Rang als verhasstes Flexibilis­ierungs-Instrument Nummer eins den Rang abzulaufen. Was die Delegierte­n beraten, ist nicht weniger als der Arbeitsauf­trag für den 59-jährigen Hofmann. Er wird der IG Metall wohl seinen eigenen Stempel aufdrücken, ist er vom Typus her doch ganz anders als sein Vorgänger. Bei Auftritten wirkt der im Tarifgesch­äft extrem erfahrene Hofmann mit seinem süddeutsch­en Akzent und den dicken Brillenglä­sern bisweilen ein wenig schüchtern. Doch der Eindruck dürfte täuschen. Am kommenden Wochenende macht ein Kampferpro­bter für den nächsten Platz.

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FOTO: DPA Auftritt des alten und des neuen Ersten Vorsitzend­en der IG Metall in der Gewerkscha­ftszentral­e in Frankfurt: Detlef Wetzel (l.) übergibt beim Gewerkscha­ftstag an Jörg Hofmann.

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