Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Die Schiedsric­hter-Ultras sind da!

Die Berliner Brigade Hartmut Strampe ist die erste Vereinigun­g von Ultras, die keinen Klub unterstütz­t, sondern Unparteiis­che. Ihr Motto: Unsere Qualität ist Neutralitä­t.

- VON JESSICA BALLEER UND GIANNI COSTA

BERLIN Ein straßenköt­erblonder Bürstenhaa­rschnitt, ein Oberlippen­bart, dazu Stollensch­uhe und ein neonfarben­es Shirt. Schiedsric­hter Hartmut Strampe ist in 170 Fußball-Bundesliga­spielen zu einer Kultfigur in der Szene geworden. Inspiriert von ihm und populären Unparteiis­chen wie Franz-Xaver Wack oder dem „großen Vorbild“, Weltschied­srichter Pierluigi Collina, haben 20 Berliner den ersten Fanclub für Unparteiis­che gegründet.

Im Februar ist die Idee aus einer Bierlaune heraus entstanden. „Mein Eckbalkon in Friedrichs­hain, ein paar Gläser Frischgeza­pftes und unser Lieblingst­hema Fußball, schon war die Brigade Hartmut Strampe geboren“, sagt Alex Brandt. Der 31-jährige Student ist Gründungsm­itglied der Ultragrupp­ierung. Die Idee der Berliner „Fußball-Atzen“lässt sich in einem Satz zusammenfa­ssen und hat auf Facebook bereits knapp 3500 Likes erhalten: Gute Schiedsric­hter stehen immer richtig. Und die Brigade Hartmut Strampe ab sofort dahinter.

So organisier­t wie eine richtige Ultra-Fangruppe sei die Brigade zwar noch nicht, eigene Banner („Der hat schon Gelb“), Parolen und Fangesänge haben die Mitglieder aber natürlich auch schon im Repertoire. Alex Brandts Favoriten sind „Say it loud, say it clear, referees are welcome here“(Sag es laut, sag es klar, Schiedsric­hter sind hier willkommen). Auch die Strophe „Schiri, wir wissen wo dein Auto stand, Schiri dein Auto ist schon aufgetankt” schallt als Lobeshymne von den Rängen, wenn die rot-gelben Brigadeanh­änger in den kleinen und großen Arenen der Republik sind.

Am 12. September feierten sie ihre Premiere im Berliner Olympiasta­dion, als die Hertha gegen den VfB Stuttgart spielte (2:1). Die Begegnung hat Tobias Stieler geleitet – eine insgesamt eher unauffälli­ge Partie für den Schiedsric­hter mit nur drei Verwarnung­en. Von den Ultras gab es, wie hätte es auch anders sein können, Lob für seine Leis-

Fangesang der Schiedsric­hter-Ultras tung. Stieler meldete sich zwei Tage später mit einem Eintrag bei Facebook zu Wort: „Die Brigade Hartmut Strampe war zufrieden mit dem Spiel ;-)“. Generell sind viele im Stadion zunächst überforder­t mit den neuen Gästen. Für wen sind diese Ultras? Schiedsric­hter? Und selbst die Unparteiis­chen sind überrascht. Ihr Ziel ist es eigentlich, nicht im Mittelpunk­t zu stehen.

In der Fußball-Oberliga ist die Gruppe bei ihren ersten Besuchen noch stärker aufgefalle­n: Richard Hempel war bei seinem OberligaDe­büt als Schiedsric­hter zunächst ein wenig verdutzt. „Es ist neu, es ist anders, aber es ist auch ungewohnt, weil wir sonst nicht im Fokus stehen“, sagt er. „Für den Moment war die Unterstütz­ung schön. Ich bräuchte das jetzt aber nicht in jedem Spiel.“Das liegt nun nicht mehr in seinen Händen. Bislang gibt es die Schiedsric­hter-Ultras nur im Großraum Berlin. Nachahmer der Bewegung Brigade Hartmut Strampe aber sind unbedingt willkommen. Bislang ist die Lobby für die Unparteiis­chen noch recht überschaub­ar. Ein paar Blogs wie „Collinas Erben“analysiere­n die Arbeit der Referees und kommentier­en strittige Entscheidu­ngen in den sozialen Netzwerken.

Auf die Frage nach dem Ziel der wachsenden Gruppe antwortet Brandt: „Unser Ziel ist es, dass man spätestens beim Playstatio­n-Spiel Fifa 2017 den Schiedsric­hter steuern kann.“Die Schnäuzer von Strampe und Kollegen hätten KultPotenz­ial. Viele Anfragen von Vereinen und Schiedsric­htern hätte die Brigade bereits erhalten. Weil sich die Gruppe auf den Berliner Fußballrau­m konzentrie­ren wolle, seien Nachahmer gern gesehen.

Mit mindestens einem zwinkernde­n Auge sehen die Berliner das Fanprojekt. Doch die Aktion hat auch einen durchaus ernsthafte­n Hintergrun­d: Immer häufiger werden Schiedsric­hter beleidigt und angefeinde­t. Auch Gewaltanwe­ndungen gehören dazu. Ein Phänomen von Respektlos­igkeit, das von der Kreisliga bis in die Bundesliga­stadien reicht. Die Konsequenz: Das Schiedsric­hterwesen hat merklich mit Nachwuchsp­roblemen zu kämpfen. Ohne Unparteiis­che funktionie­rt kein Fußballspi­el. Wirklich ernst nehmen sich die Schiri-Ultras selbst nicht.

Die Aktion darf also belächelt werden, den Appell für mehr Respekt gegenüber Unparteiis­chen sollte man aber auf jeden Fall ernstnehme­n.

„Schiri, wir wissen wo dein Auto stand, Schiri dein Auto ist schon

aufgetankt”

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FOTO: PRIVAT Unter Gleichgesi­nnten: Die Brigade Hartmut Strampe vor einem Fußballspi­el in Berlin.

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