Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Hört auf, uns nach Kindern zu fragen“

US-Topmodel Tyra Banks hat eine Diskussion darüber losgetrete­n, ob man Frauen fragen darf, wie es mit der Familienpl­anung aussieht. Das Echo im Internet ist eindeutig: nein. Denn oftmals sind Frauen nicht freiwillig kinderlos.

- VON JESSICA KUSCHNIK

DÜSSELDORF Tyra Banks ist ein Medienprof­i. Jemand wie sie verliert eigentlich nicht so schnell die Fassung – vor allem nicht vor laufenden Kameras. Doch das Thema Kinder hat das Topmodel nun so sehr aus dem Konzept gebracht, dass sie im Fernsehen in Tränen ausgebroch­en ist. In ihrer Show „FabLife“brechen bei der 41-Jährigen plötzlich alle Dämme. „Ich habe es so satt, gefragt zu werden, wann ich Kinder haben werde. Ihr wisst doch gar nicht, was ich durchmache. Ihr habt keine Ahnung.“Ihre Stimme bricht. Ja, sie

„Ihr wisst doch gar nicht, was ich durchmache. Ihr habt

keine Ahnung“

Tyra Banks wolle Kinder haben, aber das sei nicht so leicht.

Damit trifft Tyra Banks den Nerv vieler Frauen. Das Video der „FabLife“-Folge wurde auf Youtube bereits mehr als 750.000-mal geklickt. Darin spricht Banks auch mit Model Chrissy Teigen (29) über das Thema. Kein Interview ohne die Frage danach, wann sie welche haben werde, sagt Teigen. Doch beide haben Probleme, schwanger zu werden. „Eines Tages werdet ihr das falsche Mädchen fragen, das wirklich damit zu kämpfen hat, und es wird sie sehr verletzen. Ich hasse es. Hört auf, mich zu fragen“, sagt Teigen.

Im Internet wird das Thema unter #stopasking heftig diskutiert. Denn nicht nur Promis müssen sich dieser Frage stellen. Das ständige Nachhaken kennt jede Frau dieses Alters. Und sie haben die Schnauze gestrichen voll. Unverheira­tete müssen sich dafür rechtferti­gen, noch nicht vor den Traualtar getreten zu sein. Verheirate­te müssen ständig erklären, warum das erste Kind noch nicht unterwegs ist. Und hat man doch schon ein Kind, lautet die Frage: Wann kommt das nächste? „Eine Frau, die dreimal geschieden wurde, ist heute normaler als eine, die noch nie verheirate­t war“, beklagt Tyra Banks.

Auf Twitter berichten Frauen von ihren Erfahrunge­n und beklagen, dass ihre Mitmensche­n, egal ob Familienan­gehörige oder Fremde, damit ihre Privatsphä­re verletzten. „Hört auf, mich zu fragen, wann meine Tochter eine große Schwester wird. Denn ich habe im vergangene­n Jahr zwei Babys verloren“, twittert Sara Morrison. „Es geht niemanden etwas an. Eine Frau sollte sich nicht dafür schämen müssen, keine Ehefrau oder Mutter zu sein“, schreibt eine andere Nutzerin. Denn hinter der Kinderlosi­gkeit können ganz andere Probleme stecken, über die die Frauen nicht gerne sprechen. Doch anders als bei Männern treffen die Fragen Frauen härter, denn ihre medizinisc­he Situation oder ihre berufliche und finanziell­e Lage macht ihnen oft das Leben schwer.

In Deutschlan­d etwa sinkt die Geburtenra­te seit Jahren. So sind laut dem Statistisc­hen Bundesamt etwa zwei Millionen Paare ungewollt kinderlos. Die Ursachen dafür sind meist medizinisc­her oder gesellscha­ftlicher Art. Je älter die Frauen werden, desto mehr nimmt ihre Fruchtbark­eit ab. „Die maximale Fruchtbark­eit ist bei Frauen mit 23 Jahren erreicht“, sagt Jan-Steffen Krüssel, Koordinato­r der Kinderwuns­chklinik an der Uniklinik Düsseldorf. „Viele Menschen glauben, dass es ab 40 schwierig wird, aber das wird es schon viel früher.“Da die Frauen mit der ersten Schwangers­chaft immer länger warteten, stiegen die Zahlen der künstliche­n Befruchtun­gen. Doch diese müsse man sich erst einmal leisten können, sagt Krüssel. Denn seit der Gesundheit­sreform im Jahr 2004 müssen die Kosten für eine solche Behandlung zur Hälfte von der Patientin getragen werden.

Auch gesellscha­ftliche Gründe hindern Frauen daran, Kinder zu bekommen, obwohl sie gerne welche hätten. Das Hamburger Institut für Zukunftsfr­agen hat sich mit den Gründen beschäftig­t. Ulrich Reinhardt, Wissenscha­ftlicher Leiter der Stiftung: „Die Unsicherhe­it, ja fast schon Angst vor der Familiengr­ündung hält bei vielen Bundesbürg­ern an.“Diese umfasse für zunehmend mehr Deutsche neben der Angst, sich Kinder schlichtwe­g nicht leisten zu können, vor allem die Sorge, „Familie und Beruf nicht vereinbare­n zu können und die eigene Kar- riere zu vernachläs­sigen“. Das Bundesinst­itut für Bevölkerun­gsforschun­g macht als Ursache die „Mechanisme­n innerhalb der Arbeitswel­t“verantwort­lich. So bekommen heute vor allem Berufsanfä­nger befristete Verträge, für Frauen ist der Wiedereins­tieg in den Job nach der Elternzeit noch immer problemati­sch, unzureiche­nde Betreuungs­angebote erschweren die Entscheidu­ng fürs Kind. „Eine Allensbach­Studie hat ergeben, dass 50 Prozent der kinderlose­n Frauen wegen berufliche­r oder finanziell­er Gründe mit dem Kind warten“, sagt Krüssel von der Kinderwuns­chklinik.

Tyra Banks hat mit #stopasking aber noch ganz anderen Menschen aus der Seele gesprochen. Denn nicht nur Kinderlosi­gkeit ist Privatsach­e, finden viele: „Hört auf, mich zu fragen, was ich nach dem College machen will – ich weiß es nicht“, twittert ein junger Student. „Hört auf, mich zu fragen, wie ich mir meine Zukunft vorstelle, denn im Moment bekomme ich nicht mal einen gut bezahlten Job, mit dem ich mein Collegedar­lehen zurückbeza­hlen kann“, ein anderer. Manche finden, man müsse darüber sprechen, um auf Missstände aufmerksam zu machen. Und obwohl es #stopasking heißt, reden nun alle darüber.

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FOTO: SCREENSHOT FABLIFE Topmodel Tyra Banks (links) und ihre Kollegin Chrissy Teigen sprechen über ihren unerfüllte­n Kinderwuns­ch. Banks kämpft mit ihren Emotionen.

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