Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Wühlende Landschaften
Überbaggert und umgesiedelt, trockengelegt und geflutet – in der Leipziger Region lässt sich Wandertourismus der besonderen Art in einer historisch aufgeladenen, einzigartigen Kulturlandschaft erleben, die sich noch immer in einem stetigen Wandel befindet. Der jahrzehntelange Bergbau hat deutliche Spuren hinterlassen.
Weites Land und wüste Kippen, irgendwo zwischen Autobahn und Zentraldeponie: Wer den Bergbau-Technik-Park im Leipziger Neuseenland besucht, darf getrost alle Vorstellungen von Parklandschaften über Bord werfen. Im Gegenzug bekommt er ein Gefühl für die Gigantomanie des Braunkohletagebaus, der die Region einst so prägte und ihr heute ein neues Gesicht verpasst.
„Die Bayern haben die Berge und die Seen. Wir Leipziger erschaffen sie uns selbst“, sagt Henry May vom BergbauTechnik-Park. Der sonnengebräunte Gästeführer mit weichem, sächsischen Dialekt könnte gut einen Bergmann abgeben. Aber den mimt er bloß: „Meine Aufgabe ist es, eine Geschichte zu vermitteln und zum Nachdenken anzuregen.“Nachdenken über Ortschaften, die überbaggert und über Menschen, die umgesie-
„Die Bayern haben die Berge und die Seen. Wir erschaffen
sie uns selbst“
Henry May
Bergbau-Technik-Park
delt wurden, damit der „Energiehunger der DDR gestillt werden konnte“, betont May.
Riesige Sandwüsten sind entstanden, kolossale Maschinentechnik pflügte im Tagebau Espenhain 40 Quadratkilometer um und entwässerte sie. Schaufelradbagger und Absetzer sind die unübersehbaren Hauptakteure im Technik-Park. „Zwischen Bagger und Absetzer war die längste Bandanlage in Espenhain zehn Kilometer lang“, sagt May. Jetzt liegen hier geflutete Tagebaurestlöcher und begrünte Kippenareale.
Nicht nur Wolfgang Flohr ist davon überzeugt, dass Leipzig so sein eigenes Wasser-Wander-Land erschaffen kann. Der Langstreckenwanderer suchte vor zehn Jahren nach einer Tour, die Besonderheiten der Region, Aussichts- und Anziehungspunkte verbinden und bekannter machen sollte. Ein Jahr später startete er die erste Sieben-Seen-Wanderung. Heute gibt es Tag und Nacht geführte Touren zwischen vier und 104 Kilometern Länge. Für so viele Wanderer sind breite, feste Wege und vor alle Kompromisse gefragt.
So wie die Tour auf die Halde Trages, die höchste Erhebung des Landstrichs. Sie wurde ge- formt aus den Abfällen des Tagebaus und inzwischen von der bundeseigenen Lausitzer und Mitteldeutschen BergbauVerwaltungsgesellschaft (LMBV) saniert und begrünt. Für den Wanderexperten Flohr ist die ehemalige Halde mit ihrem Aussichtsturm ein Lieblingsort. Für den man allerdings eine Durststrecke durchlaufen muss: Zwischen Rötha und Espenhain führt die Sieben-Seen-Wanderung an der Bundesstraße 95 entlang, vorbei an Strommasten und Agrarlandschaft.
Claudia Siebeck ändert das gerade. Sie ist Regionalentwicklerin, und für den Tourismusverband Region Leipzig konzipiert sie einen neuen Wanderweg. Er soll ebenfalls sieben Seen verbinden, aber Hauptstraßen und Asphalt meiden. „Ich habe mich an den Kriterien des Deutschen Wanderverbandes orientiert“, sagt die Landschaftsarchitektin.
Naturbelassen, abwechslungsreich und gut angebunden sollte ein Wanderweg sein, und daher startet er im Zentrum des Neuseenlandes, am S-Bahnhof Markkleeberg Mitte direkt am Ufer des Cospudener Sees, den die Leipziger liebevoll den „Cossi“nennen. „Im Sommer liegt hier ganz Leipzig am Strand bei Wassersport, Beachvolleyball und lauter Musik“, erklärt Siebeck am Nordstrand, zu dem aus Leipzigs Innenstadt ein Radweg an der Weißen Elster entlang führt. Rund um den „Cossi“gibt es einen asphaltierten Weg, beliebt bei Radfahrern und Skatern, aber Siebeck führt abseits davon durch einen Auenwald zu einer großen Wiese, voll Röhricht und Weidengebüsch. Wäre da nicht der Bootssteg, der ins Nichts führt, man käme gar nicht drauf: Man steht mitten im ehemaligen Elsterstausee, die Pumpe ist abgestellt, das Wasser längst versickert. Anders als die meisten Seen im Leipziger Süden ist er nicht aus dem ehemaligen Tagebau entstanden, sondern diente dem Hochwasserschutz – lange bevor der Tagebau den Grundwasserspiegel absenkte. Seen kommen im Leipziger Raum, und manchmal gehen sie auch wieder, so scheint es.