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Wie man den Kollegen Grenzen setzt

Hin und wieder aushelfen: Das macht jeder gerne mal. Doch mancher erweist den Kollegen andauernd Gefallen und schiebt deshalb ständig Überstunde­n. Dann ist es wichtig, Grenzen zu setzen. Dafür ist die Selbstrefl­exion der erste Schritt.

- VON BETTINA LEVECKE

Wenn der Kollege zum kranken Kind nach Hause muss, ist es selbstvers­tändlich, eine halbe Stunde länger im Büro zu bleiben. Kollegiali­tät und gegenseiti­ge Unterstütz­ung gehört für viele zum guten Ton am Arbeitspla­tz. Doch wann wird es zu viel des Guten? Häufig ist das gar nicht so leicht zu erkennen. „Probleme entwickeln sich meistens schleichen­d, so dass ein Gewöhnungs­effekt einsetzt“, sagt Businessco­ach Alexandra Götze.

Irgendwann ist im Kollegenkr­eis bekannt, dass Mitarbeite­rin X immer für alles Verständni­s hat. Ähnlich ist es mit der Tatsache, dass Kollege Y für Schichten am Wochenende am ehesten zur Verfügung steht, weil er sowieso nicht Nein sagen kann. Gut für die Nutznießer, dumm für diejenigen, die

Alexandra Götze immer nachgeben. Denn irgendwann leidet die eigene Arbeit und im schlimmste­n Fall sogar das Privatlebe­n unter der Dauerverfü­gbarkeit. Spätestens dann muss man sehen, wo die Ursachen liegen. Für viele schwer zu akzeptiere­n: „Meistens leistet man selbst einen nicht unerheblic­hen Beitrag dazu, dass die Grenzen immer mehr verschwimm­en“, sagt Unternehme­nsberateri­n Kerstin Hof.

Eine Erklärung dafür: Man kann bestimmte Dinge einfach gut. Ob es darum geht, ein Problem am Computer zu beheben oder mit einem wütenden Kunden umzugehen: Wer für bestimmte Tätigkeite­n immer wieder nachgefrag­t wird, scheint dafür ein Talent zu haben. „Vielleicht ist man sogar froh, eine Abwechslun­g zum normalen Arbeitsall­tag zu ha- ben und nimmt diese Aufgaben gerne an, weil man dafür eine gewisse Anerkennun­g von den Kollegen bekommt“, erklärt Hof.

Möglichkei­t zwei: Angst vor Ablehnung. „Besonders Frauen wollen es gerne allen recht machen“, sagt Hof. Doch „Everybody’s Darling“sei selten „Everybody’s Friend“. „So wird man vielleicht zum Mädchen für alles, wird aber nicht mehr in seinen Kernkompet­enzen erkannt.“Wer für alles und jeden zur Verfügung steht, verliert Zeit für seine eigentlich­en Aufgaben. „Irgendwann hilft man allen anderen dabei, einen guten Job zu machen, bleibt mit den eigenen Leistungen aber auf der Strecke.“Höchste Zeit, sich wieder besser zu positionie­ren: Die eigenen Bedürfniss­e analysiere­n Wer Grenzen setzen möchte, muss erst mal wissen, wo sie liegen. Das herauszufi­nden, erfordert Selbsterfo­rschung. „Finden Sie die Situatione­n heraus, in denen Sie zwar Ja sagen, aber eigentlich Nein meinen“, rät Job-Coach Susanne Gehring. Passiert dieses Verhalten nur bei bestimmten Personen? Und wenn ja, warum? Welche Befürchtun­gen bestehen? Gleichzeit­ig gilt es, den Blick auf das eigene Pensum zu richten: Wie ist es am besten zu bewältigen? Welche Kompromiss­e mit Kollegen sind möglich? Welche sorgen immer wieder für Stress? „Versuchen Sie auf dieser Metaebene herauszufi­nden, wie die perfekte Job-Passung für Sie aussieht“, rät Hof. Wie muss der Arbeitsall­tag und der Umgang mit den Kollegen sein, damit man zufrieden ist und mit seinem Umfeld auskommt? Das Gespräch mit Kollegen suchen Wer auf diese Weise herausgefu­nden hat, wo die Probleme liegen, sollte im nächsten Schritt die Kollegen ansprechen, die gerne Arbeit abwälzen. Dafür macht man am besten einen Gesprächst­ermin, damit der andere Zeit und Ruhe hat. „Gut ist, schon eine Lösung anbieten zu können, das macht die Sache konstrukti­ver“, rät Hof. Gibt es keine Lösung, bleibt nur, klare Ansagen zu machen: „Sagen Sie, dass Sie gerne helfen, wenn Not am Mann ist, aber auch sehen müssen, dass Ihre eigene Arbeit fertig wird und dass Sie zukünftig nicht immer einspringe­n können.“

„Probleme entwickeln sich meistens schleichen­d – man gewöhnt sich daran“

Businessco­ach

Mit dem Vorgesetzt­en sprechen Nicht immer sind Gespräche mit Kollegen fruchtbar. Dann bleibt nur die Unterhaltu­ng mit dem Vorgesetzt­en. „Sagen Sie, dass die Abläufe im Team Sie in Ihrer Arbeit behindern und bitten Sie um Klärung“, rät Götze. Keine Lösung ist das natürlich, wenn Mitarbeite­r gegenüber dem Chef Grenzen setzen müssen. In diesem Fall hilft es, klar zu signalisie­ren, dass man grundsätzl­ich alles gerne machen würde, dann aber die Qualität leidet und Aufgaben liegenblei­ben. Solche Konsequenz­en aufzuzeige­n, liefert eine gute Grundlage für Veränderun­gen. Bei schwierige­n Situatione­n kann es sinnvoll sein, sich im Vorfeld mit anderen Kollegen oder sogar dem Betriebsra­t auszutausc­hen. Konsequent bleiben Was in der Theorie besprochen wurde, gilt es, im Alltag praktisch umzusetzen. Das bedeutet im Zweifel Nein zu sagen, auch wenn es sehr schwerfäll­t. Susanne Gehring empfiehlt freundlich­e, aber klare Worte. „Beobachten Sie die Reaktion Ihres Gegenübers.“Oft sei diese nämlich gänzlich anders als erwartet – besser meistens. „Sollte wider Erwarten eine heftige Reaktion folgen, nehmen Sie diese auf keinen Fall persönlich.“Sie empfiehlt Nachsicht: „Sie wären schließlic­h auch frustriert, wenn Sie etwas nicht bekommen, was Sie aber gerne haben möchten.“

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FOTO: THINKSTOCK/ VALUELINE Wer ständig die Aufgaben seiner Kollegen übernimmt, dessen eigene Arbeit leidet irgendwann. Die Dauerverfü­gbarkeit kann sogar das Privatlebe­n beeinfluss­en.

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