Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Krisenstaa­t Türkei

- VON THOMAS SEIBERT

ANKARA Ein bärtiger Mann mit einem Megafon könnte nach dem schlimmste­n Terroransc­hlag in der Geschichte der Türkei zu einer Schlüsself­igur bei der Aufklärung des Verbrechen­s werden. Nach Augenzeuge­nberichten dirigierte der Bärtige am Samstag auf dem Bahnhofsvo­rplatz der Hauptstadt Ankara kurdische Aktivisten per Durchsage an jene Stelle, an der wenig später eine der beiden Bomben explodiert­e. Die Kurden glaubten offenbar, der Mann sei ein Ordner, doch er war möglicherw­eise ein Komplize der Selbstmord­attentäter: Zeugen sagten nach Presseberi­chten, unmittelba­r vor der Explosion der Bomben von Ankara sei der arabische Ruf „Allahu akbar“– „Gott ist groß“– zu hören gewesen. Ermittler nehmen potenziell­e Täter aus den Reihen der Dschihadis­ten-Miliz „Islamische­r Staat“(IS) ins Visier.

Dieser Verdacht bestätigt Befürchtun­gen von Beobachter­n. Der IS greife kurdische und linke Gruppen in der Türkei an, weil er diese als Ungläubige betrachte und die Kurden in Nordsyrien schwächen wolle, sagt der Terrorexpe­rte Nihat Ali Özcan. „Der IS hat in Ankara zugeschlag­en, weil in den kommenden Tagen eine Offensive der USA und der Kurden bei Rakka erwartet wird“, vermutet Özcan, der bei der Denkfabrik Tepav in Ankara arbeitet. Rakka ist die Hauptstadt des IS-„Kalifats“in Syrien. Der Syrien-Konflikt greife immer mehr auf die Türkei über, sagte Özcan: „Willkommen im Nahen Osten.“

Die brutale Gewalt, das Fehlen eines demokratis­chen Konsenses in Ankara und die vielfach kritisiert­e Willkür der Regierung lassen die Türkei immer mehr einem krisengesc­hüttelten Nahost-Staat gleichen: Der Syrien-Konflikt destabilis­iert das Nato-Mitglied. „Der Krieg zwischen dem IS und den Kurden in Syrien greift auf die Türkei über“, schrieb der angesehene Kolumnist und Islam-Experte Mustafa Akyol beim Kurznachri­chtendiens­t Twitter.

Sicherheit­sexperte Özcan betonte, auch andere Konfliktpo­tenziale des Syrien-Kriegs seien eine Gefahr für die Türkei. Einige Türken hätten sich AlKaida-Gruppen in Syrien angeschlos­sen, andere kämpften für regierungs­treue Milizen auf der Seite von Präsident Baschar al Assad. „Und sie alle tragen den Krieg in die Türkei“, sagte er.

Auch in der türkischen Führung wird diese Gefahr gesehen. Die Türkei werde alleine nicht mehr mit der Lage fertig, sagte ein hochrangig­er Regierungs­vertreter. Die Europäisch­e Union, die Nato und der Westen insgesamt müssten etwas tun und Verantwort­ung übernehmen. Für die türkische Politik in Nahost, die Lage in der Region insgesamt, aber auch für Probleme wie den Kurdenkonf­likt in der Türkei selbst habe sich der Krieg in Syrien wie ein Fluch ausgewirkt, sagte der Regierungs­vertreter: „Syrien hat alles vergiftet.“

In Ankara steht der 25-jährige Yunus Emre Alagöz aus dem nordosttür­ki-

„Ganz offensicht­lich liegen geheimdien­stliche

Mängel vor“

Ex-Geheimdien­stler

schen Adiyaman im Mittelpunk­t des Interesses der Ermittler. Alagöz sprengte sich möglicherw­eise nach dem Megafon-Aufruf des Bärtigen in die Luft; die zweite Bombe wurde offenbar von einer Frau gezündert. Alagöz ist der Bruder jenes Mannes, der im Juli in der Stadt Suruç an der syrischen Grenze eine Selbstmord­weste zündete und mehr als 30 kurdische und linke Aktivisten mit in den Tod riss. Die Brüder Alagöz sollen beim IS in Syrien den Bombenbau gelernt haben.

Die in Ankara verwendete­n Bomben – TNT-Sprengstof­f mit Metallkuge­ln – gleichen dem Sprengsatz von Suruç. Damals hatte die türkische Regierung den IS für die Bluttat verantwort­lich gemacht. Weitere fünf potenziell­e IS-Selbstmord­attentäter sollen sich derzeit noch in der Türkei aufhalten und „auf Befehle warten“, wie die Zeitung „Habertürk“meldete.

Cevat Önes guest“, also Gasthörer in Stanford gewesen zu sein. Zudem gab es ihren Angaben zufolge 1995 einen „Aufenthalt an der Stanford Health Services Hospital Administra­tion“. Stanford wirft der Gynäkologi­n jedoch vor, in ihrem Lebenslauf zu Unrecht auf diese beiden Stationen zu verweisen, wie die „Welt am Sonntag“berichtet. Von der Leyen habe dort niemals an einem Seminar oder Kurs teilgenomm­en, der mit einem Leistungsn­achweis hätte abgeschlos­sen werden müssen. Wer sich dennoch auf Stanford berufe, tue dies missbräuch­lich, so die Uni. Obwohl von der Leyen darauf verweisen kann, dass sie dort ein halbes Jahr lang für die stellvertr­etende Kranken-

Schon in den Tagen vor der Katastroph­e kursierten offenbar Warnungen vor Selbstmord­attentäter­n. Dies wiederum verstärkt die Kritik an den Behörden: Warum wurden die Veranstalt­er der Demonstrat­ion nicht gewarnt? „Ganz offensicht­lich liegen geheimdien­stliche Mängel vor“, sagte Cevat Önes, ein früherer Vizechef des Geheimdien­stes MIT, der Zeitung „Zaman“.

Kritiker vermuten, dass es um mehr geht als nur um Pannen. Sie werfen dem Staat vor, in das Blutbad verwickelt gewesen zu sein. „Der Staat ist ein Mörder“, riefen Tausende Demonstran­ten, die am Samstagabe­nd in Istanbul gegen die angebliche Mitschuld der Behörden auf die Straße gingen. Bei einer Trauerkund­gebung gestern in Ankara lieferten sich Polizisten und Demonstran­ten gewalttäti­ge Auseinande­rsetzungen.

Das Attentat verschärft auch die Konfrontat­ion zwischen den kurdischen Politikern und den türkischen Behörden. Der Chef der Kurdenpart­ei HDP, Selahattin Demirtas, betonte, dass der türkische Sicherheit­sapparat von jeder kleinen Protestakt­ion in Ankara wisse, aber das „Massaker“nicht verhindert habe. Die HDP wirft Präsident Recep Tayyip Erdogan und seiner islamischk­onservativ­en AKP vor, den Konflikt mit der verbotenen kurdischen Arbeiterpa­rtei PKK zu schüren, der seit dem Kollaps der Waffenruhe im Juli Hunderte Menschen das Leben gekostet hat.

Das Kalkül nach Ansicht der Erdogan-Kritiker: Der Präsident steuert das Land ins Chaos, um seine gefährdete Macht zu sichern. Bei der Wahl im Juni war die HDP als erste pro-kurdische Partei überhaupt ins Parlament eingezogen. Die Kampfansag­e, einen Machtzuwac­hs Erdogans zu verhindern, sicherte ihr auch Wähler außerhalb der Kurdengebi­ete im Südosten der Türkei. Erdogans AKP verfehlte wegen des HDP-Erfolgs die absolute Mehrheit.

Nach erfolglose­n Koalitions­verhandlun­gen – die Erdogan nach Ansicht der Opposition vorsätzlic­h scheitern ließ – rief der Präsident Neuwahlen für den 1. November aus. Nun muss er hoffen, dass die HDP diesmal an der Zehnprozen­thürde scheitert.

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FOTO: DPA Friedensde­monstrante­n tanzen vor laufenden Kameras, als im Hintergrun­d plötzlich Bomben explodiere­n und Dutzende Menschen in den Tod reißen.

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