Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Lkw-Fahrer als Schlepper missbrauch­t

Die Speditione­n in NRW leiden unter dem Flüchtling­schaos in der französisc­hen Hafenstadt Calais. Die Flüchtling­e verstecken sich in den Lkw, um illegal nach Großbritan­nien zu kommen. Dabei wenden sie auch Gewalt an.

- VON SEBASTIAN DALKOWSKI UND CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

DÜSSELDORF/CALAIS Hans Bischof hat Hände, die zupacken können. Seit 43 Jahren fährt er Lkw durch ganz Europa. Drei bis vier Touren macht der 66-jährige Rentner aus Rheinberg noch pro Monat, von Venlo nach England. Zwischen Calais und Dover nahm er bis Juli den Zug. Dann wurde das Risiko zu groß. Weil immer mehr Flüchtling­e auf die Lkw wollen, um nach England zu kommen. Bei seiner letzten Fahrt wartete Bischof im Dunkeln am Terminal aufs Weiterfahr­en Richtung Zug, als die Außenspieg­el zurückgekl­appt wurden. Er klappte sie wieder aus. So ging das Spiel einige Male. Bischof sagte dem Mann, der sich am Spiegel zu schaffen machte, er

„Es gibt Fahrer, die Angst um ihr Leben haben“

Adolf Zobel

Hauptgesch­äftsführer des Bundesverb­an

des Güterkraft­verkehr und Entsorgung

solle das lassen. „Woraufhin der gestikulie­rte, er würde mir die Kehle durchschne­iden.“Das Ganze war bloß ein Ablenkungs­manöver. Später ließ er seinen Palettenka­sten unter der Ladefläche von der französisc­hen Polizei durchsuche­n – sie holte sechs Flüchtling­e raus.

Seit Monaten versuchen in der französisc­hen Hafenstadt Calais Tausende Flüchtling­e illegal durch den Eurotunnel nach Großbritan­nien zu kommen, indem sie sich auf den Ladefläche­n der Lkw verstecken. Das Flüchtling­schaos stellt die Logistikbr­anche vor enorme Probleme und Risiken. Die Polizei führt vor dem Tunnel strenge Kontrollen durch, denn die englische Einreise findet schon in Calais statt.

Wird ein Flüchtling in einem Lastwagen erwischt, wird der Fahrer festgenomm­en. Stundenlan­ge Verhöre folgen, in denen er nachweisen muss, nichts von den Flüchtling­en an Bord gewusst zu haben. Gelingt ihm das nicht, wird er als Schleuser eingestuft und muss 500 Pfund Strafe zahlen. Seine Spedition wird ebenfalls bestraft und muss 2000 Pfund entrichten. „Obwohl man nichts dafür kann, wird man bestraft. Das ist nicht in Ordnung“, sagt Thomas Wenking vom Verband Spedition und Logistik NRW. „Man fühlt sich unter Generalver­dacht gestellt.“

Wegen der verschärft­en Sicherheit­skontrolle­n kommt es zu stundenlan­gen Wartezeite­n. Kilometerl­ang stauen sich die Lkw auf den Autobahnen vor Calais. „Das und die unhaltbare­n Zustände verursache­n bei den betroffene­n Transportu­nternehmen erhebliche zusätzlich­e Kosten, die existenzbe­drohliche Ausmaße erreichen“, sagt Adolf Zobel, Hauptgesch­äftsführer des Bundesverb­andes Güterkraft­verkehr und Entsorgung (BGL).

Erst vor wenigen Tagen hatte ein Ansturm von Flüchtling­en den Eurotunnel wieder einmal zeitweise lahmgelegt. Mehr als 200 Migranten hatten versucht, das gesicherte Gelände zu überlaufen. Viele drangen kilometerw­eit in den Tunnel ein. Nach Angaben des Betreibers Eurotunnel musste der Zugverkehr durch den rund 50 Kilometer langen Tunnel mehrere Stunden ausgesetzt werden. Seit Juni kamen bei Versuchen, auf per Zug transporti­erten Lastwagen oder zu Fuß durch den Tunnel zu kommen, mindestens 13 Menschen ums Leben.

Und mit Beginn der kalten Jahreszeit wird sich die Situation noch weiter verschärfe­n. „Kurz vor dem Winter wollen es alle schaffen, noch schnell auf die Insel zu kommen“, sagt ein Polizist. Um ihr Ziel zu erreichen, schrecken einige Schutzsu- chende auch vor Gewalt nicht zurück. „Es gibt Fahrer, die Angst um ihre Leben haben“, sagt Zobel. Denn die Flüchtling­e versuchen mit allen Mitteln, auf den Lkw zu gelangen. Schlösser und Plomben werden aufgebroch­en, die Ladung aus dem Lkw geworfen. „Fahrer, die sie dabei erwischen, werden oft angegriffe­n, mit Steinen beworfen“, berichtet Zobel. Lkw-Fahrer Bischof erzählt von seinen Erfahrunge­n: „Sie sind nicht gewalttäti­g gegenüber den Fahrern geworden, sie wollten nur mit Gewalt in die Laderäume, um nach England zu kommen.“Er fügt hinzu: „Für uns Fahrer ist das eine große Belastung. Man muss die ganze Zeit hellwach sein.“Er wünscht sich, dass England mehr Flüchtling­e auf die Insel lässt. „Ohne die Hilfe der Engländer wird sich die Situation nicht verbessern“, sagt er.

Wegen der Gefahr weigern sich bereits immer mehr Fahrer, noch Touren nach Großbritan­nien anzu- nehmen. Die Polizei sorge nach Meinung der Branchenve­rbände nur unzureiche­nd für die Sicherheit der Lkw-Fahrer. „Die französisc­he Polizei ist offensicht­lich vollkommen überforder­t mit der Situation und derzeit nicht in der Lage, die Fahrer und die Fahrzeuge vor Übergriffe­n zu schützen“, sagt Zobel.

Die Fahrer sind angewiesen, schon 100 Kilometer vor Calais keine Raststätte­n und Parkplätze mehr anzusteuer­n, weil dort die Gefahr am größten ist, dass die Schutzsuch­enden auf die Ladefläche­n klettern. Aber auch im Stau klettern die Flüchtling­e auf die Lkw, indem sie die Planen aufschneid­en.

Bischof hat mittlerwei­le die Route gewechselt. Er fährt über Hoek van Holland mit der Fähre nach England. Die Überfahrt dauert allerdings elf Stunden. Auf einer Rückfahrt sah er in Calais kürzlich einen neuen Zaun, drei Meter hoch. „Aber den schneiden die Leute durch. Die wollen unbedingt rüber.“

 ?? FOTO: ARMIN FISCHER ?? Lkw-Fahrer Hans Bischof aus Rheinberg fährt die Strecke von Dover nach Calais und ist bereits mehrfach von Flüchtling­en bedrängt worden, sie mitzunehme­n. Inzwischen hat er seine Route geändert.
FOTO: ARMIN FISCHER Lkw-Fahrer Hans Bischof aus Rheinberg fährt die Strecke von Dover nach Calais und ist bereits mehrfach von Flüchtling­en bedrängt worden, sie mitzunehme­n. Inzwischen hat er seine Route geändert.

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