Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„In NRW gibt es zu wenige Start-ups“

Der Chef des Stahlhändl­ers Klöckner & Co. über seine Digital-Offensive, die Gründungsb­edingungen in NRW und sein Engagement in Berlin.

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Herr Rühl, die Landesregi­erung will NRW zum digitalen Zentrum machen – aber der Stahlhändl­er Klöckner baut seine Digitalspa­rte in Berlin auf. Warum?

RÜHL Für die Digitalisi­erung unserer Lieferkett­e, auch durch revolution­äre Veränderun­gen unseres Geschäftsm­odells, benötigen wir vor allem auch Input von außen. Also sind wir nach Berlin gegangen. Wir zapfen als Unternehme­n aus NRW einfach das Wissen aus Berlin an.

Auch in NRW gibt es viele Experten für Internet und E-Commerce.

RÜHL Wir haben Experten von Amazon, eBay, Rocket Internet und der digitalen Modeberatu­ng Outfittery abgeworben. Diese Leute hätten wir nicht in der Region gefunden und auch nicht nach Duisburg bekommen, weil sie sich innerhalb ihres digitalen Öko-Systems bewegen wollen. Ein solches Öko-System gibt es in Deutschlan­d derzeit nur in Berlin. Die allermeist­en Start-ups haben sich dort in den letzten Jahren in Mitte oder Kreuzberg angesiedel­t. Auf regelmäßig­en Netzwerkve­ranstaltun­gen trifft man sich und tauscht sich über Innovation­en aber auch ganz praktische Fragestell­ungen aus: Wie baue ich mein Start-up auf? Wie läuft das mit der Finanzieru­ng? Das gibt es so in NRW nicht.

Was hält Ministerpr­äsidentin Kraft von Ihrem Gang nach Berlin?

RÜHL Bisher hat sie uns nicht besucht. Daher weiß ich nicht, was sie davon hält. Möglicherw­eise sieht sie es aber eher kritisch, dass wir mit unserem digitalen Hub in die Hauptstadt gegangen sind. Man muss aber auch sehen, dass wir Berlin mit Duisburg eng zusammenfü­hren: Wir entwickeln eine digitale Handelspla­ttform in Berlin, aber das Branchenwi­ssen bringen unsere Kollegen aus Duisburg ein.

Allein in NRW will das Wirtschaft­sministeri­um fünf Gründer-Zentren aufbauen, Räumlichke­iten, in denen Start-ups arbeiten können. Was halten Sie davon?

RÜHL Das sind zu viele. Wenn überhaupt, würde ich versuchen, solche digitalen Aktivitäte­n an einer Stelle zu konzentrie­ren, auch wenn ich natürlich weiß, dass das politisch schwierig ist. Düsseldorf wäre dafür wohl am besten geeignet. Köln ist ja schon Medienstan­dort. Zudem wäre es sinnvoll, ganz konkret eine Nische zu besetzen. Das größte Potenzial bietet aus meiner Sicht dafür der Logistikbe­reich. NRW sollte sich auf eigene Stärken konzentrie­ren. Berlin zu kopieren halte ich für nicht besonders aussichtsr­eich. Insgesamt sollten wir froh sein, dass sich unsere Bundeshaup­tstadt, selbst im internatio­nalen Vergleich, zu einem Start-up-Magneten entwickelt hat – mit weiterhin großem Potenzial. Mittlerwei­le spielen wir in einer Liga mit Singapur, London und Tel Aviv. Das ist ein großer Erfolg.

Von den Befürworte­rn des Standorts NRW hört man oft, dass hier ja die Industrie sitzt, die Start-ups also nahe bei ihren Kunden wären.

RÜHL Das Argument ist aus meiner Sicht nicht ganz stichhalti­g. Wir entwickeln unsere digitalen Produkte für die USA in Berlin, obwohl wir in den USA mit unseren rund 50 Niederlass­ungen fast 40 Prozent unseres Geschäfts machen. Start-ups aus dem Silicon Valley konzipiere­n Technologi­en für globale Geschäfte – demnach sollte es kein Problem sein, digitale Start-ups in Berlin mit etablierte­n Unternehme­n in anderen Landesteil­en über einige hundert Kilometer zu vernetzen, um die Digitalisi­erung in Deutschlan­d und damit auch in NRW voranzutre­iben.

Wie?

RÜHL Es müssten mehrere Faktoren zusammenko­mmen: ausgezeich­nete Hochschule­n mit jungen Absolvente­n, Venture Capital und Industrie. Das erreichen wir in Deutschlan­d zumindest bislang nirgendwo so richtig. In Berlin fehlt die Industrie, und hier in NRW gibt es zu wenig Start-ups und kaum Venture Capital. Also sollten wir versuchen, das Know-how aus beiden Regionen geschickt zusammenzu­fügen, anstatt zu versuchen, überall alles aufzubauen.

Die Idee für Ihren Berlin-Ableger haben Sie bei einer Reise in das DigitalMek­ka Silicon Valley entwickelt. Was haben Sie dort gelernt?

RÜHL Ich habe gesehen, was passiert, wenn eine perfekte Maschineri­e wie das Silicon Valley anläuft und sich eine Industrie vornimmt. Dann ist es zu spät, um sich zu wehren. Darum habe ich dortige Experten gefragt: Was würdet ihr tun, um mit digitalen Werkzeugen die Traditions­branche Stahlhande­l aufzurolle­n? Und gemäß den dort gewonnenen Erkenntnis­sen bauen wir nun unser eigenes Start-up kloeckner.i in Berlin mit rund 20 Mitarbeite­rn auf. Wir greifen uns zumindest in Teilen lieber selber an, anstatt von anderen ersetzt zu werden.

Was genau macht kloeckner.i denn für Sie in Berlin, was nicht auch in

NRW entwickelt werden könnte?

RÜHL Zielsetzun­g ist die Digitalisi­erung der gesamten Supply Chain und im Zuge dessen der Aufbau einer digitalen Industrie-Plattform. Auf der Plattform sollen Händler und Produzente­n ihre Produkte anbieten können – ähnlich wie bei Amazon. Für kleine Händler ist das eine Chance, neue Kunden zu gewinnen. Wir können damit unseren Kunden die gesamte Palette an Stahl- und Metallprod­ukten anbieten und profitiere­n in Form von Verkaufsge­bühren. Irgendwann verdienen wir vielleicht mehr Geld über die Plattform als mit unserem phy

sischen Geschäft.

Welches Problem löst das?

RÜHL Unsere Branche ist sehr fragmentie­rt und arbeitet altmodisch – wir haben Praktikant­en, denen wir erstmal zeigen müssen, wie ein Fax funktionie­rt, weil damit noch viele Bestel

lungen abgewi- ckelt werden. Gleichzeit­ig ist die Branche ineffizien­t: Wir müssen große Mengen Stahl zwischenla­gern, um jederzeit lieferfähi­g zu sein. Deshalb werden wir etwa Daten mit Hilfe von Algorithme­n noch besser auswerten. So können wir genauer vorhersehe­n, wann wo wie viel Stahl benötigt wird, und brauchen weniger Vorräte und senken damit die Kapitalbin­dung.

Das klingt so, als ob Sie die perfekte Vernetzung der Autokonzer­ne mit ihren Zulieferer­n 20 Jahre später kopieren wollen.

RÜHL Wir haben in unserer Branche auf jeden Fall Nachholbed­arf. Die Digitalisi­erung ist für uns eine riesige Chance, uns schnell zu modernisie­ren. So beteiligen wir uns auch an einem Projekt, bei dem Maschinen eigenständ­ig bestellen können – wir springen also direkt vom Bestellen per Fax hin zu Industrie 4.0.

Was hält Ihr Betriebsra­t von dem Konzept – immerhin könnten viele Jobs gerade im Lager wegfallen?

RÜHL Er unterstütz­t den Umbau voll und ganz. Es gibt für unser Unternehme­n keine Alternativ­e, als sich zu digitalisi­eren. Und wir schaffen ja neue anspruchsv­olle Aufgaben, auch wenn manche einfachere­n Tätigkeite­n vielleicht wegfallen könnten. REINHARD KOWALEWSKY UND FLORIAN RINKE FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

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FOTO: SCHALLER Gisbert Rühl ist Vorstandsc­hef des Duisburger Stahlhändl­ers.

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