Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Ohne Holland fahr’n wir zur EM

- VON GIANNI COSTA UND ANDRÉ SCHAHIDI

ASTANA/DÜSSELDORF Ganz entspannt stand Wesley Sneijder vor den Fernsehkam­eras im Bauch der Astana Arena in Kasachstan. „Wir haben viele Talente“, sagte der Kapitän der niederländ­ischen Nationalma­nnschaft nach dem 2:1-Sieg über den Fußballzwe­rg Kasachstan. „Das bietet eine Menge Perspektiv­e. Wenn wir die Europameis­terschaft über die Play-offs schaffen, kann hier etwas Schönes heranwachs­en.“Sprach er und grinste.

Das Wachsen muss wohl noch mindestens zwei Jahre warten. Denn die Türkei, die mit den Niederländ­ern um den dritten Platz in der Qualifikat­ionsgruppe A kämpft, erlaubte sich in Tschechien keinen Ausrutsche­r und gewann 2:0. „NED Exit“twitterte der nationale Rundfunk NOS direkt nach dem zweiten türkischen Treffer – der Glaube an die rechnerisc­h noch mögliche Qualifikat­ion ist bereits auf ein Minimum geschrumpf­t.

Yuri Krasnozhan, Trainer der Kasachen, verstand derweil die Aufregung nicht. „Ich finde Holland immer noch eine der besten Mannschaft­en“, sagte er und wirkte ratlos. „Es ist mir ein Rätsel, was die auf Platz vier zu suchen haben.“Und in der Tat lieferten die Niederländ­er mit drei Debütanten ein ordentlich­es Spiel ab. Nur über Siege gegen die „Kleinen“qualifizie­rt man sich jedoch nicht. Und die Fakten sprechen eine deutliche Sprache: Aus den Spielen gegen das Spitzentri­o der Gruppe (Island, Tschechien und die Türkei) sammelte Oranje genau einen Punkt.

In den Niederland­en ist die Suche nach dem Schuldigen der Misere bereits im vollen Gange. Bondscoach Danny Blind hat seinen Anfangskre­dit mit den Niederlage­n gegen Island und die Türkei bereits verspielt. Den größeren Schaden hatte jedoch sein Vorgänger Guus Hiddink angerichte­t. Bei der vergangene­n Weltmeiste­rschaft, die Niederland­e wurden immerhin Dritter, hatte Louis van Gaal genau erkannt, wo Oranjes Schwächen liegen: in der mit nur mäßig begabten Spielern bestückten Defensive. Er hatte fünf Verteidige­r vor das Tor gestellt und Holland zu Platz drei geführt. Hiddink wollte zurück zur niederländ­ischen Schule mit drei Angreifern und Flügelspie­l. Zum schönen Spiel. Das mündete im Desaster.

Nach nichtmal einem jahr zog der Verband die Reißleine und machte den Assistente­n zum Chef. Und damit den nächsten Bock zum Gärtner. Denn auch Blind, in seiner vorherigen Karriere nur mäßig erfolgreic­h als Trainer, überrascht­e mit merkwürdig­en Personal- und Taktikents­cheidungen sowie einer ausgeprägt­en Ajax-Vorliebe bei den Nominierun­gen. Was die Trainer der anderen Klubs bereits öffentlich bemängelte­n.

Dennoch hat Blind noch eine Chance, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Wenn Holland gegen Tschechien gewinnt und die Türkei ihr Heimspiel gegen Island verliert, fährt Oranje wenigstens zu den EMPlay-offs. Nur wirklich glauben tut daran keiner mehr. Zu allem Überfluss plagen Blind personelle Probleme. Zur langen Verletzten­liste um Kapitän Arjen Robben (Bayern München) gesellte sich nun auch Torhüter Tim Krul mit Kniebeschw­erden. „Wir befinden uns in einer extremen Situation“, sagte der Bondscoach.

In der Türkei wähnt man sich schon am Ziel. Zweifel, dass gegen Tabellenfü­hrer Island der noch notwendige letzte Punkt nicht geholt werden könnte, gibt es schlichtwe­g nicht. „Erwartet uns in Paris“, schrieb die Zeitung „Hurriyet“. Ei- nen gewichtige­n Anteil am derzeitige­n Hoch am Bosporus hat Hakan Calhanoglu. Der Leverkusen­er steuerte gegen Tschechien einen Treffer bei und zählt auch so zu den Führungssp­ielern. Mit dieser Entwicklun­g war nicht unbedingt zu rechnen. Noch im vergangene­n Jahr sah vieles danach aus, dass der Leverkusen­er überhaupt nicht mehr für die Türkei auflaufen würde. Im Jahr zuvor sollen er und Ömar Toprak von Mitspieler Töre mit einer Waffe bedroht worden sein. Der Verband versuchte den Vorfall herunterzu­spielen, Calhanoglu und Toprak reisten ab. Die Querellen sind längst Vergangenh­eit. Nun haben sich (fast) alle wieder lieb.

PRESSESTIM­MEN

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FOTO: DPA Fachgesprä­che: Danny Blind (rechts) im Austausch mit seinem Assistenzt­rainer Ruud van Nistelrooy.

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