Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Warum wurde die Hassrede nicht gestoppt?
Der Autor Akif Pirinçci verbreitete bei Pegida in Dresden politische Hetze. Die Sprache bei der fremdenfeindlichen Bewegung verroht. Dabei hätten die Behörden den Auftritt verhindern können. Künftig könnte es deshalb Auflagen geben.
BERLIN Die Empörung ist riesig über das zynische Bedauern des PegidaHauptredners, wonach die Konzentrationslager ja „leider derzeit außer Betrieb“seien. Danach konnte der deutsch-türkische Autor Akif Pirinçci am Montagabend in Dresden noch 20 Minuten weiter in übelster Weise gegen Flüchtlinge, Muslime und auch Politiker hetzen, bis Pegida-Gründer Lutz Bachmann ihn aus Zeitgründen von der Bühne bat. Hätte die Polizei einschreiten können, ja die Hassrede beenden müssen? Und welche Handhabe gibt es überhaupt, für Recht und Ordnung auf ausufernden Demonstrationen und danach zu sorgen? Warum griff die Polizei nicht ein? Sie hätte dies theoretisch tun können, wenn der Verdacht auf eine strafbare Handlung vorliege, erläutert Rainer Wendt, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft. Allerdings sei das bei Großdemonstrationen wie Pegida schwierig umzuset- zen, da es das vorrangige Ziel bleibe, gewalttätige Auseinandersetzungen zu verhindern. Unter diesem Aspekt sei der Einsatz in Dresden „umsichtig und professionell geführt“worden. „Wenn es zu Eskalationen gekommen wäre, dann hätte man den Beamten wiederum Unverhältnismäßigkeit vorgeworfen“, sagt der Gewerkschaftschef. Wäre der Auftritt zu verhindern gewesen? Pirinçci ist einschlägig bekannt, insofern hätte der Veranstalter wissen müssen, in welche Richtung seine Rede geht. Auch die Versammlungsbehörde kann für Demonstrationen Auflagen erteilen. So wird Palästinensern klar gesagt, dass Sprechchöre wie „Tötet Israel“oder das Verbrennen israelischer Flaggen zum Abbruch der Demonstration führen können. Ähnliches lässt sich auch bei Demonstrationen mit Rechtsextremisten mit Blick auf typische Fahnen oder „Winkelemente“festlegen. In Berlin wurde auch schon mal das Tragen szenetypischer Kleidung untersagt. Lassen sich einzelne Personen von Demonstrationen fernhalten? Die Sicherheitsbehörden können hier doppelt präventiv aktiv werden. So werden vor den berüchtigten Mai-Krawallen in Berlin gezielt Wiederholungstäter aufgesucht und einer „Gefährderansprache“unterzogen. Der Staatsanwalt kann vor allem reisenden Chaoten Meldepflichten auferlegen, um sie vom Ort potenzieller Gewalt fernzuhalten. Wann handelt die Polizei sofort und wann nicht? Der einsatzerfahrene Steve Feldmann vom Berliner Vorstand der Gewerkschaft der Polizei verweist auf zwei Prüfaspekte: Wie ist das Gewicht der beobachteten Straftat, und wie ist die Versammlungslage? Konkret: Demonstrieren in Köln 100 Salafisten, und einer skandiert eine Bedrohung, dann kann der Polizeiführer die Person mit Einsatzkräften herausholen und festnehmen lassen. Geschehe das bei einer Versammlung mit Zehntausenden Teilnehmern und hohem Gewaltpoten- zial, dann werde er zunächst auf beweissichere Dokumentation setzen und die Identität später feststellen lassen. Können Straftäter sofort aus dem Verkehr gezogen werden? Die Polizei kann selbst stets nur festnehmen und die Personalien aufnehmen. Besonders bei Großdemonstrationen halten sich aber auch Staatsanwälte und Richter in der Nähe von Gefangenensammelstellen bereit, um an Ort und Stelle Personen und die Zeugenaussagen zu ihren Taten zu überprüfen. Ist die Gefährdungslage eindeutig, kommen die Tatverdächtigen in Anschlussgewahrsam, damit sie nicht umgehend wieder mitmischen können. Bei schwerem Landfriedensbruch sowie schwerer oder gefährlicher Körperverletzung kann auch umgehend ein Haftbefehl erlassen werden, so dass es für den Festgenommenen von der Demonstration sofort ins Gefängnis geht. Wie dokumentiert die Polizei die Straftaten? Der klassische Fall ist das persönliche Beobachten. Oft sind auch mehrere Videotrupps im Einsatz, um Straftaten festzuhalten. Parallel dazu beobachten die Behörden aber auch die sozialen Netzwerke, werten dort eingestellte oder in den Medien veröffentliche Nachrichten, Fotos und Filme aus – wünschen sich jedoch mehr Personal, um hier wirksamer arbeiten zu können.