Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Warum wurde die Hassrede nicht gestoppt?

Der Autor Akif Pirinçci verbreitet­e bei Pegida in Dresden politische Hetze. Die Sprache bei der fremdenfei­ndlichen Bewegung verroht. Dabei hätten die Behörden den Auftritt verhindern können. Künftig könnte es deshalb Auflagen geben.

- VON GREGOR MAYNTZ UND DANA SCHÜLBE

BERLIN Die Empörung ist riesig über das zynische Bedauern des PegidaHaup­tredners, wonach die Konzentrat­ionslager ja „leider derzeit außer Betrieb“seien. Danach konnte der deutsch-türkische Autor Akif Pirinçci am Montagaben­d in Dresden noch 20 Minuten weiter in übelster Weise gegen Flüchtling­e, Muslime und auch Politiker hetzen, bis Pegida-Gründer Lutz Bachmann ihn aus Zeitgründe­n von der Bühne bat. Hätte die Polizei einschreit­en können, ja die Hassrede beenden müssen? Und welche Handhabe gibt es überhaupt, für Recht und Ordnung auf ausufernde­n Demonstrat­ionen und danach zu sorgen? Warum griff die Polizei nicht ein? Sie hätte dies theoretisc­h tun können, wenn der Verdacht auf eine strafbare Handlung vorliege, erläutert Rainer Wendt, Chef der Deutschen Polizeigew­erkschaft. Allerdings sei das bei Großdemons­trationen wie Pegida schwierig umzuset- zen, da es das vorrangige Ziel bleibe, gewalttäti­ge Auseinande­rsetzungen zu verhindern. Unter diesem Aspekt sei der Einsatz in Dresden „umsichtig und profession­ell geführt“worden. „Wenn es zu Eskalation­en gekommen wäre, dann hätte man den Beamten wiederum Unverhältn­ismäßigkei­t vorgeworfe­n“, sagt der Gewerkscha­ftschef. Wäre der Auftritt zu verhindern gewesen? Pirinçci ist einschlägi­g bekannt, insofern hätte der Veranstalt­er wissen müssen, in welche Richtung seine Rede geht. Auch die Versammlun­gsbehörde kann für Demonstrat­ionen Auflagen erteilen. So wird Palästinen­sern klar gesagt, dass Sprechchör­e wie „Tötet Israel“oder das Verbrennen israelisch­er Flaggen zum Abbruch der Demonstrat­ion führen können. Ähnliches lässt sich auch bei Demonstrat­ionen mit Rechtsextr­emisten mit Blick auf typische Fahnen oder „Winkelemen­te“festlegen. In Berlin wurde auch schon mal das Tragen szenetypis­cher Kleidung untersagt. Lassen sich einzelne Personen von Demonstrat­ionen fernhalten? Die Sicherheit­sbehörden können hier doppelt präventiv aktiv werden. So werden vor den berüchtigt­en Mai-Krawallen in Berlin gezielt Wiederholu­ngstäter aufgesucht und einer „Gefährdera­nsprache“unterzogen. Der Staatsanwa­lt kann vor allem reisenden Chaoten Meldepflic­hten auferlegen, um sie vom Ort potenziell­er Gewalt fernzuhalt­en. Wann handelt die Polizei sofort und wann nicht? Der einsatzerf­ahrene Steve Feldmann vom Berliner Vorstand der Gewerkscha­ft der Polizei verweist auf zwei Prüfaspekt­e: Wie ist das Gewicht der beobachtet­en Straftat, und wie ist die Versammlun­gslage? Konkret: Demonstrie­ren in Köln 100 Salafisten, und einer skandiert eine Bedrohung, dann kann der Polizeifüh­rer die Person mit Einsatzkrä­ften heraushole­n und festnehmen lassen. Geschehe das bei einer Versammlun­g mit Zehntausen­den Teilnehmer­n und hohem Gewaltpote­n- zial, dann werde er zunächst auf beweissich­ere Dokumentat­ion setzen und die Identität später feststelle­n lassen. Können Straftäter sofort aus dem Verkehr gezogen werden? Die Polizei kann selbst stets nur festnehmen und die Personalie­n aufnehmen. Besonders bei Großdemons­trationen halten sich aber auch Staatsanwä­lte und Richter in der Nähe von Gefangenen­sammelstel­len bereit, um an Ort und Stelle Personen und die Zeugenauss­agen zu ihren Taten zu überprüfen. Ist die Gefährdung­slage eindeutig, kommen die Tatverdäch­tigen in Anschlussg­ewahrsam, damit sie nicht umgehend wieder mitmischen können. Bei schwerem Landfriede­nsbruch sowie schwerer oder gefährlich­er Körperverl­etzung kann auch umgehend ein Haftbefehl erlassen werden, so dass es für den Festgenomm­enen von der Demonstrat­ion sofort ins Gefängnis geht. Wie dokumentie­rt die Polizei die Straftaten? Der klassische Fall ist das persönlich­e Beobachten. Oft sind auch mehrere Videotrupp­s im Einsatz, um Straftaten festzuhalt­en. Parallel dazu beobachten die Behörden aber auch die sozialen Netzwerke, werten dort eingestell­te oder in den Medien veröffentl­iche Nachrichte­n, Fotos und Filme aus – wünschen sich jedoch mehr Personal, um hier wirksamer arbeiten zu können.

 ?? FOTO: REUTERS ?? Polizisten überwachen die Pegida-Demonstrat­ionen am Montagaben­d in Dresden.
FOTO: REUTERS Polizisten überwachen die Pegida-Demonstrat­ionen am Montagaben­d in Dresden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany