Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Polen steht vor einem scharfen Rechtsruck

- VON ULRICH KRÖKEL

WARSCHAU Jaroslaw Kurski hisst bereits die weiße Fahne der bedingungs­losen Kapitulati­on. „Alle Macht in den Händen der PIS“, überschrie­b der Chef-Kommentato­r der liberalen „Gazeta Wyborcza“seinen jüngsten Leitartike­l zum heiß laufenden Wahlkampf in Polen und prophezeit­e der Partei des Rechtspopu­listen Jaroslaw Kaczynski einen Sieg bei der Abstimmung am 25. Oktober: „Das ist unstrittig.“Offen sei nur noch die Höhe des PIS-Triumphes, erläuterte der eingefleis­chte Kaczynski-Kritiker, der zu den einflussre­ichsten Publiziste­n in Polen zählt.

Kurskis geschriebe­nes Wort hat Gewicht, als Stimme der Linken, Liberalen und gemäßigt Konservati­ven, jener Kräfte also, die seit 2007 in Warschau regieren. Unter Premier Donald Tusk und seiner Nachfolger­in Ewa Kopacz von der Bürger- plattform (PO) haben sie Polen als ökonomisch­es „Wunderland“durch die zahlreiche­n Krisen in Europa und der Welt geführt. Doch nun werden sie allen Umfragen zufolge wohl klar abgewählt.

Über das Warum der erwarteten PO-Niederlage ließe sich lange diskutiere­n. Als Gründe zu benennen wären vor allem die sozialen Härten wie die Rente mit 67, die nach Ansicht der meisten Experten den langen wirtschaft­lichen Aufschwung mit Wachstumsr­aten bis zu sieben Prozent erst ermöglicht haben. Am Ende bleibt dennoch das Fazit: „Gut (regiert) ist nicht immer gut genug.“

Viele der jungen Polen werden am 25. Oktober vermutlich nicht zur Wahl gehen oder ihre Stimme der Protestpar­tei des Rockmusike­rs Pawel Kukiz geben. Es sind verlorene Stimmen für die PO. Kaczynski und seine PIS dagegen können auf ihre nimmermüde­n Stammwähle­r in den ländlichen, katholisch­en Regio- nen zählen und auf die Älteren. Ob es am Wahlabend zu einer absoluten PIS-Mehrheit reicht, ist noch offen. Aber selbst der liberale Publizist Kurski hält die Alternativ­e, ein kunterbunt­es Bündnis „Alle gegen Kaczynski“, für das größere Übel, zumal der PIS-Kandidat Andrzej Duda im Mai bereits die Präsidente­nwahl gewonnen hat und in wichtigen Fragen über ein Vetorecht verfügt.

Welche Konstellat­ion auch immer sich durchsetzt, eines ist schon heu- te sicher: Das Wunderland wird zu einer Problemzon­e im Herzen des Kontinents. Die neue Stärke der Kaczynski-Partei PIS wird Polen verändern. Auch die Richtung ist bereits abzusehen. Der bei Weitem größte osteuropäi­sche EU-Staat wird nationalis­tischer werden und damit in Brüssel widerspens­tiger. Kaczynskis politische­s Credo lautete seit jeher: Konfrontat­ion statt Kooperatio­n.

Als Vorgeschma­ck auf das Kommende kann die polnische Haltung in der Flüchtling­skrise gelten. Selbst die noch regierende­n Liberalkon­servativen haben sich mit Macht gegen feste EU-Asylquoten gewehrt. Die Ängste vor Migranten sind in dem ethnisch-religiös extrem homogenen Land mit einem Ausländera­nteil von 0,3 Prozent groß. Kein Politiker in Warschau kann es sich deshalb im Wahlkampf erlauben, einer polnischen Willkommen­skultur das Wort zu reden. Stattdesse­n macht seit Wochen die außerparla­mentarisch­e Bewegung „Polen gegen Immigrante­n“im Internet und bei Kundgebung­en mobil.

Das allerdings dürfte erst der Anfang sein. Der bekennende Deutschlan­d- und EU-Verächter Kaczynski hat noch nie einen Hehl daraus gemacht, dass der nationalis­tische ungarische Ministerpr­äsident Viktor Orban so etwas wie sein politische­s Idol ist. Im Wahlkampf kommt der Wolf Kaczynski zwar im Schafspelz daher. So tritt der 67Jährige nicht persönlich als Spitzenkan­didat an, sondern schickt die weithin unbekannte und vermeintli­ch „harmlose“Sejm-Abgeordnet­e Beata Szydlo ins Rennen. Zweifel daran, dass Kaczynski im Hintergrun­d die Fäden zieht, haben aber nur wenige Beobachter. Der Publizist Jaroslaw Kurski empfiehlt den Liberalen im Land vor diesem Hintergrun­d eine Art passiven Widerstand in der Opposition.

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FOTO: RTR Die Spitzenkan­didatin der rechtspopu­listischen PIS-Partei, Beata Szydlo (zweite von rechts), bei einem Spiel der polnischen Nationalma­nnschaft.

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