Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Rache ist ein Zeichen für Muff im System

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Die Deutschen erleben in diesen Tagen die Macht einer Empfindung, die selbst besonnene Menschen zum Äußersten treibt: Rache. Dieses Gefühl verfügt über so gewaltiges zerstöreri­sches Potenzial, weil es in Kränkungen wurzelt. Menschen fühlen sich zurückgest­oßen, geringgeac­htet, übergangen, und dann nähren sie in sich den Zorn gegen jenen, den sie für verantwort­lich halten.

Das ist ein Gift, das langsam, aber unabwendba­r seine Wirkung entfaltet. Bis der Gekränkte all seine Wut, Enttäuschu­ngen und Beschuldig­ungen nicht mehr länger heruntersc­hlucken kann und zum Gegenschla­g ausholt. Es brechen dann all die vernichten­den Emotionen hervor, die sich im Inneren aufgestaut haben – und die Rache nimmt ihren Lauf. Unkontroll­iert in ihrer Wucht. Unabsehbar in ihren Folgen. Das lässt sich an den jüngsten Beispielen studieren: Ob Ferdinand Piëch ge-

Gekränkte Männer nehmen Rache, schaden dabei aber auch der Sache, für die sie ihr Leben gearbeitet haben – dafür bieten die Machtkämpf­e bei VW und im DFB Beispiele.

gen Martin Winterkorn bei VW oder Theo Zwanziger gegen Wolfgang Niersbach beim Deutschen Fußball-Bund – die Konflikte, die da auch öffentlich ausgetrage­n werden, reichen weit zurück. Und jene, die zum Befreiungs­schlag ausholen wollten, treffen am Ende auch sich selbst – und die Sache, für die sie ein Leben lang gearbeitet haben.

Natürlich ist Rache ein uraltes Motiv, eine archaische Kraft, die sich seit Menschenge­denken auflädt, ausbricht und die Geschicke vorantreib­t. Die Bibel erzählt davon, die griechisch­e Mythologie, Shakespear­e. Gerade weil das Motiv so fest im kollektive­n Gedächtnis verwurzelt ist, wird es aber auch schnell herangezog­en, um komplizier­te Verhältnis­se fasslich zu machen. Die Strategien von Managern in einem Konzern sind wahrschein­lich komplexer als das „Auge um Auge, Zahn um Zahn“-Prinzip des Alten Testaments. Und auch der Skandal um die 6,7 Millionen Euro beim DFB ist verworrene­r denn je. Da ist es erleichter­nd für die Öffentlich­keit, das Rachemotiv in die Querelen zu projiziere­n und sich so vermeintli­ch Übersicht zu verschaffe­n. Es lässt sich dann lächeln über mächtige Männer, die sich in Rachefeldz­üge werfen, um ihre Eitelkeit zu pflegen – und alles scheint geklärt.

Doch so mächtig der Trieb der Rache ist und so deftig sich von deren Ausbrüchen erzählen lässt: Wirklich bedeutsam ist, welche Kränkungen sie genährt haben. Wann der Zeitpunkt für eine offene Aussprache verpasst wurde – und warum. Rache ist kein unausweich­liches Schicksal, sie lässt sich verhindern: durch Offenheit und Konfliktfä­higkeit. Wo Rache geübt wird, regiert der Muff, ist etwas faul im System. Auch dafür sind VW und der DFB Beispiele. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

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