Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Nato übt wieder das Kämpfen

In Zentralspa­nien trainiert die Verteidigu­ngsallianz die Befreiung einer Stadt. General Domröse beklagt die neue Bedrohung durch Moskau.

- VON GREGOR MAYNTZ

SANGREGORI­O Der Tag der Entscheidu­ng ist gekommen. Nachdem sich der Konflikt zwischen Kamon und Lakuta über Monate zuspitzte, zuletzt kamonische Truppen im Streit um Wasser Landgebiet­e Lakutas besetzten, holen die 28 Nato-Staaten im Auftrag der Vereinten Nationen zum entscheide­nden Schlag aus. Schließlic­h drohte die kriegerisc­he Auseinande­rsetzung bereits das Nachbarlan­d Tytan zu destabilis­ieren und die ganze Region in Brand zu setzen. Nato-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g wird mit dem Hub- schrauber eingefloge­n, Kampfjets der Nato greifen ein, direkt aus den USA kommen B52-Bomber und später auch 600 Fallschirm­springer, Kampfhubsc­hrauber schießen, die Artillerie feuert, Bundeswehr-Minenräume­r bahnen den Weg, von allen Seiten stürmen die Nato-Soldaten vor – eine Stunde später ist die Stadt eingenomme­n, sind nebenbei eine Geisel befreit und Terroriste­n festgesetz­t worden.

Unter der Leitung des deutschen Generals Hans-Lothar Domröse übt die Nato seit fünf Wochen in ihrem größten Manöver seit 13 Jahren, einen Konflikt zwischen zwei Staaten außerhalb des Bündnisgeb­ietes niederzusc­hlagen und ein besetztes Gebiet wieder zu befreien. Fast 40.000 Soldaten, darunter 3000 Deutsche, sind eingesetzt, dazu 140 Flugzeuge und 60 Schiffe.

Kamon und Lakuta sind Fiktion. Aber woran die Nato wirklich denkt, lässt Domröse durchblick­en: Er warnte vor einer neuen Bedrohung durch Russlands Präsident Wladimir Putin für östliche Mitgliedss­taaten. „Putin baut Dominanzpu­nkte auf“, erläuterte der General am Rand des Großmanöve­rs in Spanien, Portugal und Italien. „Er kann uns den freien Zugang zur Türkei abschneide­n“, sagte Domröse unter Hinweis auf die militärisc­hen Aktivitäte­n Russlands im Schwarzen und im Mittelmeer. Gleiches gelte über Kaliningra­d (Königsberg) und die Ostsee für die drei baltischen Staaten.

Der General verglich die aktuelle Situation mit den zusätzlich­en Raketensta­tionierung­en der damaligen Sowjetunio­n Anfang der 80er Jahre, die zur Nato-Nachrüstun­g führten. Jetzt gehe es auch in erster Linie darum, Putin zu einer Abrüstung zu bewegen. Die Entschloss­enheit Russlands, in Syrien nicht nur mit Luftschläg­en durch Kampfjets einzugreif­en, sondern auch von Kriegsschi­ffen aus Marschflug­körper abzufeuern, unterstrei­che jedoch die nach- haltige Modernisie­rung der russischen Streitkräf­te. Die auf Stellungen in Syrien gerichtete­n Raketen könnten auch Berlin erreichen, erklärte der Nato-General.

Die Großübung „Trident Juncture“(„Dreizack-Verbindung“) erinnert an die großen Manöver im Kalten Krieg, als das „Zeigen von Stärke“zum System der Abschrecku­ng gehörte. Die Fähigkeite­n zeigen, um sie nicht anwenden zu müssen, lautete damals die Devise. Das hat jahrzehnte­lang funktionie­rt, heute nicht mehr. Denn welchen Sinn hat der vorgetäusc­hte Kampf um fiktive Gebiete und ausgedacht­e Bedrohunge­n im Jahr 2015, wenn es inzwischen nur so wimmelt von echten Konflikten im „Ring aus Feuer“am Rand der Nato, wenn Nato-Mitglieder, wie etwa in Syrien, täglich mit Luftschläg­en in heiße Kämpfe verwickelt sind?

Ist „Trident Juncture“also aus der Zeit gefallen? Ein tieferer Blick in die Übungsdeta­ils und auf die immer neuen Aspekte und Probleme, die den Einheiten in den Weg geworfen werden, lässt indes den Willen der Allianz erkennen, sich auf aktuelle und neue Herausford­erungen einzulasse­n. Es geht eben nicht um den klassische­n Angriff aufs Bündnisgeb­iet, den alle Partner zusammen zu- rückzuschl­agen haben. Hier tritt das Bündnis außerhalb des eigenen Territoriu­ms als Interventi­onsmacht auf.

Das Übungsgebi­et reicht von Portugal über Spanien bis Italien, das Geschehen vollzieht sich auf 1800 Kilometer Ost-West- und 850 Kilometer Nord-Süd-Ausdehnung mit Dutzenden von Schauplätz­en, in denen ständig die Beiträge von Nato- und Nicht-Nato-Staaten zu koordinier­en sind, vom Flugzeugtr­äger bis zum deutschen Muli, das Munition in unwegsames Gelände schafft.

Cyberbedro­hungen spielen mit hinein. Viersterne-General Domröse hat eigens 50 Computersp­ezialisten angeheuert, um seine Fachleute zu fordern. Sie beackern die fiktive Beeinfluss­ung von Gegner und Bevölkerun­g mitsamt Aufklärung genauso wie die echte Begleitung des Manövers in den sozialen Netzwerken. Hybride Kriegsführ­ung spielt mit hinein, bezieht sich auf Separatist­en und nicht gekennzeic­hnete Truppen, wie sie Putin im wirklichen Leben auf der Krim und im Südosten der Ukraine einsetzte.

Und so wird klar, dass Kamon und Lakuta auch in Ostafrika liegen können, auch im Irak, in Syrien, in der Ukraine. Unter den acht Partnernat­ionen, die an der Seite der Allianz mitkämpfen, um „Lakuta“zu befreien, ist nicht zufällig auch die Ukraine. Und russische Militärbeo­bachter schauen zu.

„Das Szenario ist nicht real, aber die vielen Lektionen, die wir daraus lernen, sind es“, sagt Stoltenber­g. Wenn Spezialkrä­fte nachts über See abspringen oder sich unbemerkt von U-Booten absetzen lassen, damit sie für spätere Landungen mit Amphibien-Fahrzeugen das Terrain erkunden oder Zielkoordi­naten für Luftschläg­e ermitteln, dann kann das nicht nur in Lakuta funktionie­ren. Sondern auch in Syrien. „Von uns hat keiner das Bedürfnis, in den Krieg zu ziehen“, sagt Domröse. Und verweist auf die politische­n Gespräche, die jeder Interventi­on vorausgehe­n müssten. Doch dann kommt noch ein weiterer Satz zu Syrien: „Es macht doch Sinn, das Feuer auszutrete­n.“

Die Einladung an internatio­nale Beobachter versteht Domröse auch als Appell an die russische Seite, zu den vertraglic­hen Vereinbaru­ngen zurückzuke­hren. Moskaus „Alarmübung­en“seien inzwischen zur großen Besorgnis der Nato die Regel geworden. Und sie simulierte­n auch immer wieder Vorstöße und ließen die Nervosität wachsen, ob die russischen Truppen an ihrer Grenze wirklich Halt machen.

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FOTOS: DPA Internatio­nale Lageeinwei­sung am Sandkasten in Spanien: In der Mitte, hinter dem Zeigestock des britischen Offiziers (l.), zwei Manöverbeo­bachter aus Russland.

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