Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Igor Levit flambiert Beethoven
Der Vorsatz eines Pianisten, an acht Abenden die 32 Sonaten von Beethoven vorzutragen, lässt einen schaudern. Es handelt sich um eine geistig-körperliche Höchstleistung, die man im Motorsport mit dem 24-StundenRennen von Le Mans oder der Rallye Paris-Dakar vergleichen kann. Über Igor Levits ersten Beethoven-Abend in Düsseldorfs Tonhalle darf man sagen: Er meisterte die Etappe von Opus 2/1 hin zur „Waldstein“-Sonate exzellent, bewies Spurtreue und nahm nur drei, vier Poller mit. Das ist insofern erwähnenswert, als frühere Heroen des Beethoven-Spiels, etwa Schnabel oder Solomon, zuweilen ganze Hauswände mitnahmen, wenn sie im Rausch durch die „Hammerklaviersonate“flogen.
Levit ist es hoch anzurechnen, dass er nicht nur brav rechts der Mittellinie unterwegs war. Zuweilen ging er volles Risiko; die tremolierenden Felder im Finale der „Waldstein-Sonate“vibrierten so genial, als flambiere er sie während des Spiels. Anderswo hielt er den Ausdrucksradius vorsätzlich eng; den Beginn der frühen f-Moll-Sonate legte er famos ahnungslos an – Beethoven, hier noch ein offenes Buch.
Pianistisch war alles reinlich gefegt, doch registrierte man nicht ohne Erleichterung, dass der 28Jährige auf Altersweisheit noch wartet. Den komplexen Trauermarsch der As-Dur-Sonate wollte Levit zum modernen Grabstein umgestalten. Das Konzept versandete leider auf halber Strecke, und dann nahm das Publikum auch noch eine kollektive Reinigung der oberen und unteren Atemwege vor. In dieser Sekunde war Opus 26 wie von selbst beerdigt.
Dagegen wurden wir mit Opus 79 ausnehmend froh: freundliche Welten in G-Dur, von Levit lächelnd und tiefsinnig erkundet. Wolfram Goertz