Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Kreuzfeuer
Die haben damals noch alte Teekisten genommen, und ich dachte mir, Kartons eignen sich viel besser. Am Anfang hab ich mir welche aus Läden geholt und sie den Spediteuren verkauft. Dann hab ich Kisten importiert, aus Pappe und aus Kunststoff.“Er seufzte. „Wie kamen Sie auf die Plastikrohre?“, fragte ich.
„Der deutsche Hersteller der Kunststoffkisten hat auch Abflussrohre produziert, und ich habe ihm die UK-Rechte dafür abgekauft. Und da ging die Post ab. Das ist jetzt Jahre her.“„Warum haben Sie verkauft?“„Ich bin achtundsechzig, und meine beiden Kinder interessieren sich nicht fürs Geschäft, schon gar nicht für die Rohrbranche. Denen ist das viel zu langweilig. Aber mir hat’s Spaß gemacht. Morgens um sieben war ich in der Fabrik in Swindon, und oft bin ich erst abends nach zehn weg. Es war richtig gut.“
„Hatte Ihre Frau nichts dagegen?“, fragte ich.
„Kann schon sein“, meinte er lachend. „Aber sie shoppt auch gern und viel bei Harrods.“
„Was machen Sie denn dann in Zukunft? Fangen Sie was Neues an?“
„Nein“, seufzte er. „Ich glaube nicht. Ich werde meine Frau wohl öfter zu Harrods begleiten. Irgendwas müssen wir ja anfangen mit dem ganzen Geld.“
Die Aussicht auf die vermehrten Einkaufsbummel mit seiner Frau stimmte ihn offenbar auch nicht froh. Ich war keineswegs der Einzige, der mit gemischten Gefühlen in die Zukunft blickte.
„Kaufen Sie sich ein paar Rennpferde“, sagte ich. „Da kann man prima eine Menge Geld loswerden, habe ich gehört, und Spaß machen kann’s auch.“
„Tolle Idee“, meinte er. „Genau das werde ich tun.“
„Und“, sagte ich, „ich weiß sogar, wie Sie die ganze Mehrwertsteuer sparen können.“Wir lachten beide schallend. Wie ich gehofft hatte, gingen Martin Toleron und ich als Freunde, nicht als Feinde auseinander.
Martin rief mich um Viertel nach drei auf dem Handy an, als ich auf Ians Sofa vor mich hin döste, mit einem Auge beim Fernsehen, das die Pferderennen aus Huntingdon übertrug.
„Haben Sie von der Bank gehört?“, fragte ich, sofort hellwach.
„Das nicht“, sagte er. „Aber Jackson Warren hat gerade angerufen.“
„Wow!“Ich schlug mit der Faust auf den Tisch. „Und was sagt er so?“
„Er wollte mir weismachen, die Bank in Gibraltar hätte sich vertan und aus unerfindlichen Gründen die zwei Millionen Dollar auf mein Konto zurückgebucht. Dann hat er mich gefragt, ob ich die Bank anweisen könnte, den Vorgang rückgängig zu machen.“
„Und was haben Sie geantwortet?“
„Ich habe meine Überraschung darüber zum Ausdruck gebracht, dass er mich anruft, mir sei nicht klar gewesen, dass er mit der Verwaltung des Fonds zu tun hat. Ich hätte gedacht, er sei einfach ein zufriedener Anleger.“„Und dann?“„Dann wollte er mir erzählen, der Fondsmanager habe ihn nur angerufen, weil er gewusst habe, dass wir befreundet sind.“
Er schwieg. „Ja?“, sagte ich. „Nur weiter.“– „Ich bin ein bisschen ärgerlich geworden. Er könne mich mal, habe ich gesagt. Ich würde nirgendwo mehr investieren, wo er die Finger drin hat, schließlich habe er mich bewusst irregeführt. Und außerdem würde ich den Vorgang der Finanzmarktaufsicht melden.“
„Das hat ihm bestimmt nicht gefallen.“
„Nein“, bestätigte Martin. „Er hat mir sogar gedroht.“„Was?“„Er hat mir auf den Kopf zugesagt, wenn ich zur Finanzmarktaufsicht ginge, würde mir das leidtun. Ich habe ihn gefragt, was er damit meint, aber er hat nur geantwortet: ,Denken Sie drüber nach.’“
Das Gleiche hatte ich von Alex gehört.
„Und“, fuhr Martin fort, „von Ihnen scheint er auch nicht sonderlich angetan zu sein.“„Wieso?“„Er hat mir glatt vorgehalten, Sie und ich wollten ihn aufs Kreuz legen. Müssen Sie gerade sagen, hab ich ihm geantwortet und ihm empfohlen, aus seinem Fonds ein Fondue zu machen oder so was.“
Ich war mir nicht ganz sicher, ob es klug war, Jackson Warren zu beleidigen. Beleidigungen riefen manchmal extreme Reaktionen hervor, und einige Historiker führen heute Saddam Husseins brutale Kuwait-Invasion von 1990 direkt auf eine Herabsetzung des irakischen Volkes durch den Emir von Kuwait zurück.
„Hat er gefragt, ob Sie wissen, wo ich bin?“
„Mich gefragt?“Martin lachte. „Er hat verlangt, dass ich’s ihm sage. Ich meinte nur, ich hätte keinen Schimmer und wenn ich’s wüsste, würde ich’s ihm nicht sagen.“
„Wie gut ist Ihr Tor gesichert?“, fragte ich. – „Warum?“Jetzt klang er doch ein wenig beunruhigt.
„Ich halte Jackson Warren für sehr gefährlich“, erklärte ich ernst. „Das ist kein Spiel, Martin. Einmal hat er schon versucht, mich umzubringen, und ich bin sicher, er würde es ohne Zögern wieder tun. Halten Sie also Ihr Tor gut geschlossen, und seien Sie auf der Hut.“
„Ich werd’s mir merken“, sagte er und legte auf, zweifellos, um gleich nachzusehen, ob sein Eingangstor geschlossen und verriegelt war.
Wurde es jetzt Zeit, die Polizei einzuschalten und auf die steuerlichen Konsequenzen zu pfeifen? Aber was hätte ich sagen sollen? ,Also, Officer, Mr. Jackson Warren hat versucht, mich umzubringen, indem er mich in einem verlassenen Stall an die Wand gekettet hat, damit ich verdurste, und ich musste tagelang auf einem Bein stehen, aber ich habe den Wandring für das Heunetz losgekriegt und konnte über die Boxenwände und durch das Fenster in der Sattelkammer entkommen, und ich melde mich erst jetzt, acht Tage später, bei Ihnen, weil ich zwischenzeitlich im Tarnaufzug durch Berkshire geschlichen bin, einen Mitarbeiter Mr. Warrens überfallen und mit Spritze und falschem Insulin bedroht und die widerrechtlich von ihm erlangten Informationen dazu genutzt habe, eine Million Dollar von Mr. Warrens Firma in Gibraltar auf das Privatkonto meiner Mutter in Hungerford überweisen zu lassen.’
Irgendwie konnte ich mir nicht vorstellen, dass daraufhin die Thames-Valley-Polizei sofort zu Jackson stürmen und ihn festnehmen würde.Wahrscheinlich landete ich eher beim Psychiater, und dann wüsste Jackson genau, wo ich war.
(Fortsetzung folgt)