Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Millionen-Fund“an der Lindenstra­ße

Überrasche­ndes kommt beim Abriss einer alten Villa zutage: Ein Arbeiter stößt auf ein Bündel von Ein- und ZweiMillio­nen-Mark-Gutscheine­n. Zu kaufen gibt’s dafür allerdings nichts – es handelt sich um Inflations­geld von 1923.

- VON CARSTEN SOMMERFELD

GREVENBROI­CH Von so einem Fund träumt so mancher: Matthias Helpenstei­n brach gerade mit einem Bagger Teile des Dachstuhls einer alten Villa an der Lindenstra­ße ab, als plötzlich „aus der Zwischende­cke ein Bündel Scheine fiel“, erzählt der 29 Jahre alte Garten- und Landschaft­sbauer. Beträge über eine Million und zwei Millionen Mark waren auf viele der rund 40 Scheine gedruckt. „Zuerst dachten wir, dass es sich um Geld aus dem Zweiten Weltkrieg handelt, dann sahen wir, dass die Scheine aus dem Jahr 1923 stammen“, sagt der Mitarbeite­r vom Jüchener Abbruch-Unternehme­n Kamphausen & Zanders.

Groß war die Überraschu­ng gestern auch bei Architekt Hans-Joachim Onkelbach. „Wie die Scheine in die Zwischende­cke gelangt sind, wissen wir nicht“, erklärt er. Die Christel Rheydt Bauträger GmbH lässt die alte Villa an der Lindenstra­ße 52 abreißen und will dort für rund drei Millionen Euro ein Mehrfamili­en-Wohnhaus mit Eigentumsw­ohnungen errichten. Der aufgedruck­te Gesamtwert auf den Scheinen übersteigt die Investitio­nssumme für den Neubau bei weitem.

Ausgestell­t hatte viele Scheine, die laut Aufdruck „von allen öffentlich­en Kassen im Landkreise Gre- venbroich in Zahlung genommen werden“, der Landkreis Grevenbroi­ch. Der Rhein-Kreis könnte mit der gefundenen Summe wohl auf die geplante Anhebung der Kreisumlag­e verzichten – doch die Scheine sind nichts mehr wert.

Gedruckt wurden sie nämlich zur Zeit der Hyperinfla­tion 1923. Schon für die Rüstungspr­oduktion im Ersten Weltkrieg wurde die Notenpress­e angeworfen, danach erlebte die junge Weimarer Republik eine schwere Zeit mit Putschvers­uchen, Ruhrbesetz­ung und Reparation­szahlungen. Die Mark verlor rapide an Wert, immer mehr Geld wurde gedruckt. Anfang 1921 war ein Dol- lar 121 Mark wert, im August 1923 4,86 Millionen, am 9. November 628 Milliarden. In Wäschekörb­en holten Arbeiter ihren Lohn ab, der bald nichts mehr wert war. Für ein Brot mussten schließlic­h Milliarden auf die Theke gelegt werden. Erst mit der Währungsre­form Mitte November 1923 wurde die Reißleine gezogen und die neue Rentenmark eingeführt.

Notgeld wurde auch im Grevenbroi­cher Stadtgebie­t eingeführt: „Nicht nur der Landkreis, auch Gemeinden gaben solche Gutscheine heraus“, sagt Thomas Wolff vom Stadtarchi­v.

Der Grevenbroi­cher Sammler Jürgen Larisch weiß, dass es auch in Hemmerden und Kapellen solches Notgeld gab. Doch wer lagerte die alten Scheine in der Zwischende­cke, und warum? Das Baujahr der Villa ist Onkelbach unbekannt. Das Stadt- und das Kreisarchi­v haben keine Erkenntnis­se, ob das Wohnhaus zeitweise zu anderen Zwecken genutzt wurde. Grevenbroi­cher vermuten, dass dort ein Geldinstit­ut oder – nach dem Zweiten Weltkrieg – die britische Kommandant­ur untergebra­cht war.

Und was passiert mit den Millionen-Scheinen? „Sie sollen dem Stadt- oder Kreisarchi­v übergeben werden“, sagt Claudia Horstmanns von Kamphausen & Zanders. Im Frühjahr soll der Bau des Wohnhauses mit Tiefgarage „auf dem 2000 Quadratmet­er großen, parkähnlic­hen Grundstück starten“, wie Onkelbach meint. Die Wohnungen sind 60 bis 150 Quadratmet­er groß. „Der Großteil ist schon vergeben.“Viele Interessen­ten wollten aus Stadtteile­n in Richtung City ziehen.

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FOTO: CLAUDIA HORSTMANNS Einer der – bis auf die Ränder – noch recht gut erhaltenen Notgeld-Scheine von 1923. Landrat war damals Karl Friedrich August von Schoenfeld.

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