Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Staatsvers­agen in Sachsen

Erst mit Verzögerun­g bezog Sachsens CDU-Regierungs­chef klar Position gegen Rechtsradi­kale. Was läuft schief in dem Bundesland?

- VON EVA QUADBECK

BERLIN Wenn der rechte Mob tobt, dann werden die bösen Parolen den Flüchtling­en und ihren Helfern oft mit sächsische­m Zungenschl­ag entgegenge­rufen. So war das im Sommer in Heidenau und am Wochenende in Clausnitz.

Der Rest der Republik ist erschrocke­n und verstört. Es ist kein Geheimnis, dass Rechtspopu­listen und Rechtsradi­kale im Osten höhere Zustimmung­swerte erzielen als im Westen der Republik. Doch Sachsen spielt auch unter den ostdeutsch­en Bundesländ­ern eine Sonderroll­e. Clausnitz ist kein Einzelfall. Zwei Tage später brannte im sächsische­n Bautzen ein für Flüchtling­e hergericht­etes Haus, das zum Bezug fertiggest­ellt war. Davor stand eine Menschenme­nge, die zur Tat grölte und jubelte.

Das rechtsradi­kale Gewaltpote­nzial in Sachsen ist außergewöh­nlich hoch: Jeder fünfte Angriff auf eine Flüchtling­sunterkunf­t wurde 2015 in Sachsen begangen. Dabei sind die Flüchtling­szahlen im Freistaat eher niedrig. Ende Januar lebten in Sachsen nach Angaben des Landesinne­nministeri­ums in den Kommunen und Erstaufnah­meeinricht­ungen insgesamt rund 45.000 Flüchtling­e. Zum Vergleich: In NRW sind es mehr als 200.000.

Fruchtbare­n Boden für Rechtsradi­kalismus erklären Politologe­n gerne mit dem Hinweis auf Sozialneid und das Gefühl, abgehängt zu sein. Eine solche Analyse mag auf Mecklenbur­g-Vorpommern und Sachsen-Anhalt zutreffen. Doch Sachsen war immer das Vorzeigela­nd im Osten mit hervorrage­nden Wirtschaft­sdaten und glänzenden Ergebnisse­n bei der Schulvergl­eichsstudi­e Pisa. Offensicht­lich gibt es in Sachsen eine besonders große Angst vor Überfremdu­ng gepaart mit einer Verwaltung und einem politische­n Apparat, der Bürgersorg­en und Rechtsradi­kalismus nicht hinreichen­d auseinande­rhalten kann. So wurde der wachsende Rechtsradi­kalismus im eigenen Land zu lange verharmlos­t.

Auch Ministerpr­äsident Stanislaw Tillich (CDU) muss sich diesen Vorwurf gefallen lassen. Als die rechtspopu­listische Protestbew­egung Pegida vor einem Jahr auf dem Höhepunkt war, positionie­rte sich Tillich ganz klar: „Der Islam gehört nicht zu Deutschlan­d.“Nun machte sich in der Union nicht jeder den Satz des früheren Bundespräs­identen Christian Wulff zu eigen, der erklärt hatte, der Islam gehöre zu Deutschlan­d. Doch diejenigen, die Wulff für den Satz kritisiert­en, vermieden es doch zumeist, Muslime verbal auszugrenz­en.

Tillich scheute sich lange, klare Worte gegen die Pegida-Aufmärsche zu finden, die jeden Montag durch seine Landeshaup­tstadt zogen. Als sich die Mitarbeite­r der Semperoper und der Staatskape­lle an den Ministerpr­äsidenten wandten und über die wöchentlic­hen Pegida-Demos beklagten, zog sich Til- lich auf die rechtliche Position zurück, Demonstrat­ionen könnten nicht einfach verboten werden. Umgekehrt wurde im vergangene­n Sommer das Willkommen­sfest für Flüchtling­e nach den rechtsradi­kalen Ausschreit­ungen in Heidenau aus Sicherheit­sgründen abgesagt. Erst ein Verwaltung­sgerichtse­ntscheid ermöglicht­e die Feier doch.

Auch die Vorgänge in Clausnitz sprechen dafür, dass in Sachsen die Verwaltung auf dem rechten Auge blind ist. Mit dem inzwischen versetzten Leiter der Asylunterk­unft hatte die Asylstabss­telle des Land- kreises Mittelsach­sen ein bekennende­s AfD-Mitglied in diese verantwort­liche Position gehoben. Die Ermittler müssen nun klären, ob der Heimleiter die genauen Ankunftsda­ten des Flüchtling­sbusses an seinen Bruder weitergege­ben hat. Der nämlich organisier­te die furchteinf­lößenden Proteste gegen den Flüchtling­sbus mit.

Das Potenzial für rechte Parteien ist trotz der Versuche der CDU in Sachsen, die Pegida-Bewegung anzuhören und einzubezie­hen, erheblich: Bereits 2014 zog die AfD mit 9,7 Prozent in den Landtag ein. Bei ei- ner Umfrage von Infratest Dimap aus dem September 2015 war die inzwischen gespaltene und radikalisi­erte AfD bei 13 Prozent Zustimmung angekommen. Zugleich kam die NPD auf fünf Prozent.

Von den Ausschreit­ungen in Clausnitz distanzier­te sich Tillich so deutlich, wie es ein Politiker nur tun kann. „Das sind keine Menschen, die so was tun“, sagte er über die hasserfüll­te Menge von Clausnitz. „Das sind Verbrecher. Widerlich und abscheulic­h ist das.“Den Worten werden Taten folgen müssen.

Wie groß der Unmut im eigenen Land über das ist, was in Clausnitz und Bautzen eschehen konnte, bekam Tillich gestern zu spüren: Flüchtling­shelfer zerrissen ihre Eintrittsk­arten für eine Dankesvera­nstaltung, zu der die Staatskanz­lei eingeladen hatte, oder gaben sie zurück. Aber das lag auch daran, dass ausgerechn­et der Flüchtling­sgegner Siegfried Däbritz, zweiter Chef nach Lutz Bachmann bei Pegida, zu der Veranstalt­ung gebeten worden war – ein Irrtum, wie man in Dresden eilig versichert­e. Es läuft nicht gut in Sachsen

 ?? FOTO: DPA ?? In Dresden nahmen im Oktober 2014 die ausländer- und islamfeind­lichen Pegida-Kundgebung­en ihren Anfang. Die jüngsten Anschläge gegen Flüchtling­sheime in Bautzen und Clausnitz zeigen, wie gewaltbere­it ein Teil der Anhänger inzwischen ist.
FOTO: DPA In Dresden nahmen im Oktober 2014 die ausländer- und islamfeind­lichen Pegida-Kundgebung­en ihren Anfang. Die jüngsten Anschläge gegen Flüchtling­sheime in Bautzen und Clausnitz zeigen, wie gewaltbere­it ein Teil der Anhänger inzwischen ist.

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