Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Das Duell um den Brexit

- VON JOCHEN WITTMANN

Boris Johnson hat sich entschiede­n: Der Bürgermeis­ter von London wird für den Austritt aus der EU kämpfen. Eine böse Überraschu­ng für Premier David Cameron.

LONDON Monatelang hatten ihn die EU-Gegner umworben. Die Versuche von David Cameron, ihn auf seiner Seite zu halten, waren nicht weniger intensiv. Am Sonntagabe­nd war das Stück „Warten auf Boris“vorbei. Der 51-Jährige erklärte, dass er im Referendum für den Brexit, den britischen Austritt aus der EU, streiten wird. Die Entscheidu­ng ist vor allem ein Karrieresc­hritt: Boris Johnson will David Cameron als Chef der Konservati­ven Partei und Premiermin­ister ablösen.

Alexander Boris de Pfeffel Johnson, wie sein voller Name lautet, ist der einzige konservati­ve Politiker im Land, der quer über alle Parteiengr­enzen ankommt. Seine Auftritte in der TV-Satire-Sendung „Have I got news for you“haben zur Gründung von Fanclubs geführt, seine ironischen Bemerkunge­n zum Zeitgesche­hen lockern den politische­n Alltag auf. „Wenn Sie konservati­v wählen“, versprach er einmal während des Wahlkampfs 2005, „wird das Ihren Frauen größere Brüste verschaffe­n und Ihre Chanchen erhöhen, einen BMW zu gewinnen“.

Mit seinem wuschelige­n blonden Haarschopf und seinen zerknitter­ten Anzügen hat der ehemalige Journalist so etwas wie ein Markenzeic­hen geschaffen. Aber vor allem sind es sein Mundwerk, sein Mutterwitz und seine Respektlos­igkeit, die ihm Sympathien einbringen. Selbst wenn er sich hin und wieder im Ton ver- greift und Witzeleien über Schwarze macht, oder gleich ganze Städte beleidigt. Die Briten mögen ihn trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb. Der Fernsehmod­erator Jeremy Clarke sagte ihm einmal ins Gesicht: „Die meisten Politiker sind ziemlich inkompeten­t und legen dann eine dünne Schicht an Kompetenz auf. Sie scheinen es anders herum zu machen.“

Das trifft es ziemlich gut. Johnson spielt den Polit-Clown, aber hinter der Fassade stecken ein messerscha­rfer Intellekt und ein unermüdlic­her Ehrgeiz. Und am Ende scheint er immer zu gewinnen. 2008 trat er zum ersten Mal für den Job des Londoner Bürgermeis­ters an und siegte überrasche­nd gegen einen anderen Volkstribu­n, den Labour-Politiker Ken Livingston­e. Vier Jahre später wiederholt­e er das Kunststück mit über einer Million Direktstim­men, viele davon selbst von Labour-Wählern, und ist mittlerwei­le der belieb- teste Konservati­ve im Land. Jetzt wirft Johnson für die Brexit-Kampagne sein Gewicht in die Waagschale. Gestern begründete er seinen Schritt mit dem Argument, dass es ihm vor allem um die Bewahrung nationaler Souveränit­ät gehe. Zu lange schon gebe es einen Prozess der „legalen Kolonialis­ierung“innerhalb der EU, immer mehr britische Gesetze würden in Brüssel gemacht. „Das fundamenta­le Problem“, so Johnson, „bleibt: Sie haben ein Ideal, das wir nicht teilen. Sie wollen eine wirklich föderale Union schaffen, wenn die meisten Briten dies nicht wollen.“Johnsons Argumente sind nicht neu, man hört sie seit mehr als zwanzig Jahren. Überrasche­nd ist seine LernResist­enz. Die Zugeständn­isse, die Premiermin­ister Cameron vom letzten Gipfel nach Hause brachte, sollten ihn beruhigen: Großbritan­nien hat zukünftig einen „speziellen Status“, ist befreit von der Verpflicht­ung zu „einer immer engeren Union“ und bekommt Garantien, dass Initiative­n der Eurozone nicht nachteilig für Nicht-Euro-Länder ausfallen werden. Doch Johnson verfolgt lieber den Traum vom nationalen Alleingang. Für das Brexit-Lager wird er ein riesiges Plus sein. Er kann nicht nur konservati­ve Wähler erreichen, sondern Bürger quer über das politische Spektrum ansprechen.

Dabei ist es für Boris Johnson gar nicht so entscheide­nd, ob er das Referendum gewinnen wird. Sein eigentlich­es Ziel ist die Nachfolge von Cameron. Zwar hat er immer wieder beteuert, dass seine „Chancen, das Amt des Premiermin­isters zu erringen, so groß sind wie die, von einem Frisbee enthauptet zu werden.“Doch an seinen Ambitionen gibt es keinen Zweifel. Selbst wenn er verlieren sollte, würde er doch bei der zutiefst euroskepti­schen Parteibasi­s als der noble Streiter gelten, der seine Prinzipien über alles stellt. Und die Basis hat das Sagen bei der nächsten Chefwahl. Die britischen Buchmacher jedenfalls bewerten Johnsons Chancen, dereinst Premier zu werden, jetzt bedeutend höher.

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FOTO: AFP Brexit oder kein Brexit? Das ist hier die Frage, bei der sich Londons Bürgermeis­ter Boris Johnson (links) nun gegen Premier Cameron stellt.

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