Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Alle Schulen sollen Ausfall messen

Wie viel Unterricht findet in Nordrhein-Westfalen tatsächlic­h statt? Vor allem die Eltern glauben den Zahlen des Schulminis­teriums nicht. Jetzt gibt es einen Konsens für eine genauere Erhebung.

- VON FRANK VOLLMER

DÜSSELDORF In Nordrhein-Westfalen liegt ein neuer Vorschlag zur Erhebung des Unterricht­sausfalls auf dem Tisch, der gute Chancen auf Verwirklic­hung hat. Eine Arbeitsgru­ppe der Bildungsko­nferenz, eines Beratungsg­remiums der Landesregi­erung, plädiert dafür, den Ausfall nicht mehr wie bisher nur in einem zweiwöchig­en Zeitraum zu erfassen, sondern das gesamte Jahr hindurch. Nach Angaben von Mitglieder­n der Arbeitsgru­ppe würde das Schuljahr dafür in 20 Zwei-Wochen-Zeiträume aufgeteilt, in denen jeweils mehrere Hundert Schulen an der Stichprobe beteiligt wären. Insgesamt würden so alle rund 6000 Schulen im Land jeweils einmal im Jahr für zwei Wochen an der Stichprobe teilnehmen – und nicht mehr, wie bisher, lediglich 770.

Um die Frage, wie viel Unterricht tatsächlic­h ausfällt, tobt in NRW seit Jahrzehnte­n erbitterte­r Streit. Die aktuellste Stichprobe des Landes ergab für 2014 einen Wert von 1,7 Prozent ersatzlos ausgefalle­nen Unterricht­s. Viele Eltern schenken dieser Zahl aber keinen Glauben. Die Lan- deselterns­chaft der Gymnasien hat im Februar eine eigene Stichprobe vorgelegt, die auf 6,4 Prozent Ausfall kam. Umstritten ist vor allem, ob das „eigenveran­twortliche Arbeiten“als Ausfall gewertet wird, wenn also Schüler ohne Lehrer Aufgaben lösen.

In der 2010 von Schulminis­terin Sylvia Löhrmann (Grüne) ins Leben gerufenen Bildungsko­nferenz sitzen unter anderem Parteien, Bildungsve­rbände, Kommunen und Gewerkscha­ften. Der von der Arbeitsgru­ppe favorisier­te Vorschlag ist ein Kompromiss zwischen der bisherigen kleinen Stichprobe und einer ganzjährig­en Vollerhebu­ng an allen Schulen, wie sie vor allem Elternverb­ände fordern. Nach Angaben der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW) soll die Definition dieselbe bleiben: Nur ersatzlos gestrichen­e Stunden gelten als Ausfall; eigenveran­twortliche­r Unterricht gilt als Vertretung.

Eltern- und Lehrerverb­ände haben Sympathien für den neuen Vorstoß. „Das ist sinnvoll“, sagte GEWLandesc­hefin Dorothea Schäfer. Sie sehe gute Chancen, dass das Plenum der Bildungsko­nferenz sich im Herbst den Vorschlag als Empfeh- lung zu eigen macht. Optimistis­ch ist auch Ulrich Czygan, Vorsitzend­er der Landeselte­rnschaft der Gymnasien. Er plädiert für die erweiterte Stichprobe, „weil so nicht alle Schulen laufend überwacht werden, aber anderersei­ts der Verdacht hinfällig wird, das Ministeriu­m untersuche nur die Schulen, an denen besonders wenig Unterricht ausfällt“.

Von „begrenztem Fortschrit­t“sprach Peter Silbernage­l, Landes- vorsitzend­er des Philologen­verbands. Entscheide­nd sei nicht die Methode der Erhebung, sondern dass die Landesregi­erung endlich den strukturel­len Unterricht­ausfall beseitige. Silbernage­l: „Im Land fehlen 3000 Lehrer. Das ist für die Unterricht­sversorgun­g entscheide­nd.“Für den Elternvere­in NRW wäre die erweiterte Stichprobe nur eine Vorstufe für eine Vollerhebu­ng. „Wir erwarten, dass auf dieser Grundlage eine dauerhafte Überprüfun­g und Buchführun­g stattfinde­t“, sagte die Vorsitzend­e Regine Schwarzhof­f. Auch sie rechnet aber damit, dass der Vorschlag beschlosse­n wird.

Erstmals könnte die neue Methode im Schuljahr 2017/18 angewendet werden. „Wir bekommen eine Präzisieru­ng“, sagte Löhrmann zu dem Entwurf: „Ich bin bereit, die neuen Vorschläge umzusetzen.“Sie verstehe, sagte Löhrmann, den Unmut der Eltern über die Zahl von 1,7 Prozent: „Das ist das Problem des Durchschni­ttswerts. Wir haben im Übrigen auch Schulen, an denen kaum Unterricht ausfällt, oder die mehr bieten, als sie müssen.“Jedem Hinweis über Ausfall werde nachgegang­en.

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