Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Nahles treibt Rentenrefo­rm voran

- VON EVA QUADBECK

An diesem Freitag startet der von der Arbeitsmin­isterin ins Leben gerufene „Dialog Alterssich­erung“. Am Ende soll ein Konzept stehen, das künftiger Altersarmu­t vorbeugt.

BERLIN In der aufgeregte­n öffentlich­en Debatte in diesem Frühjahr um die Rente war eine Stimme kaum zu hören: Die der zuständige­n Ministerin Andrea Nahles (SPD). Während Parteichef Sigmar Gabriel in Aussicht stellte, die bisher geplante Absenkung des Rentennive­aus zu stoppen, trat die zuständige Ministerin hinter den Kulissen auf die Bremse. Sie wollte keine Festlegung­en treffen, bevor nicht klar ist, wer eigentlich was benötigt, um in Zukunft Altersarmu­t zu verhindern. So rief Nahles den „Dialog Alterssich­erung“ins Leben – eine Zusammenku­nft aus Rentenexpe­rten von Gewerkscha­ften, Arbeitgebe­rn, Wissenscha­ftlern und Regierungs­vertretern. Die Fachleute treffen sich am Freitag zum ersten Mal. Insgesamt sind drei Sitzungen geplant.

Im kommenden Herbst will die Arbeitsmin­isterin dann ein Konzept für eine Rentenrefo­rm vorlegen. In die Pläne sollen nicht allein die Vorschläge und Forderunge­n der Experten einfließen. Vielmehr wartet die Ministerin auch den neuen Alterssich­erungsberi­cht ab. Dieser Bericht erscheint alle vier Jahre und gibt einen Überblick über die finanziell­e Lage der Senioren im Land. Einbezogen wird nicht nur die gesetzlich­e Rente, sondern auch andere Einnahmen wie Pensionen, Mieteinnah­men, Betriebsre­nten und Kapitalein­künfte fließen mit ein. Der Alterssich­erungsberi­cht wird erst für November erwartet. 01 1,91 01 2,11 02 2,16 02 2,89 03 1,04 03 Ostdeutsch­land 1,19 04 0 04 0 05 0 05 0 06 0 06 0

„Dass Altersarmu­t droht, ist eine Schimäre“, sagt der Freiburger Rentenexpe­rte Bernd Raffelhüsc­hen. Er verweist darauf, dass nur drei Prozent der Senioren im Land von Altersarmu­t bedroht seien, während dies auf sieben Prozent der übrigen Bevölkerun­g zutreffe. Selbst wenn sich die Altersarmu­t verdoppele, sei die Armutsgefä­hrdung der Älteren immer noch niedriger als im Durchschni­tt der Bevölkerun­g. Raffelhüsc­hen war von 2002 bis 2003 Mitglied in der sogenannte­n Rürup-Kommis- 1,10 0,54 07 0,54 08 1,10 2,41 09 3,38 10 0 10 0 11 0,99 11 0,99 12 2,18 12 2,26 13 0,25 13 3,29 14 1,67 14 2,53 sion, die damals die Rentenrefo­rm der Regierung Schröder entwarf. Zur Stabilisie­rung der gesetzlich­en Rente gaben die Wissenscha­ftler parallel zur schrittwei­sen Absenkung des Rentennive­aus steigende Beiträge und eine schrittwei­se Anhebung des Renteneint­rittsalter­s vor. Die Politik setzte diese Vorschläge um.

Aus Sicht von Raffelhüsc­hen müsste die Reform fortgesetz­t werden: „Wir waren damals der Meinung, dass eine Anhebung des Renteneint­rittsalter­s 2030 fortgeschr­ie- 15 2,1 15 2,5 16 4,25 16 5,95 ben werden muss, wenn auch die Lebenserwa­rtung weiter steigt.“Der kritische Rentenexpe­rte ist bei Nahles’ Alterssich­erungsdial­og aber nicht mehr mit von der Partie. Das Ministeriu­m lässt sich auch nicht von einer Kommission Vorschläge machen, sondern steuert den Prozess zur Reform selbst.

Es gibt aktuell keinen Reformdruc­k, da bis 2030 erst einmal schrittwei­se die Rente ab 67 eingeführt wird und das Rentennive­au deutlich über der gesetzlich festge- Bundesarbe­itsministe­rin Andrea Nahles (SPD) legten Untergrenz­e von 43 Prozent bleiben darf. Das Rentennive­au beschreibt das Verhältnis einer Standardre­nte zum Durchschni­ttseinkomm­en – für den Einzelnen bestimmt es die Höhe der Rente im Vergleich zum früheren Arbeitsein­kommen.

Die Experten beim „Dialog Alterssich­erung“werden voraussich­tlich die Debatten der vergangene­n Wochen aufgreifen. Im Zentrum: die Zukunft des Rentennive­aus, der künftige Umgang mit der privaten Zusatzvers­icherung und die Vorbeugung künftiger Altersarmu­t. Rentennive­au Die mit einem guten Riecher für populäre Themen ausgestatt­eten Parteichef­s von SPD und CSU, Sigmar Gabriel und Horst Seehofer, haben ihren Überbietun­gswettbewe­rb in Sachen Rentennive­au wieder eingestell­t. Aktuell liegt das Rentennive­au bei 47,5 Prozent. Sollte es, wie von der Gewerkscha­ft Verdi gefordert, auf 50 Prozent steigen, müssten die Beitragsza­hler pro Jahr 52 Milliarden Euro zusätzlich aufbringen. Dies geht aus einer Berechnung des Wirtschaft­sforschung­sinstitut IW hervor. Bereits 2029 läge der Beitragssa­tz bei rund 25 Prozent – eine enorme zusätzlich­e Belastung für Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er. Möglicherw­eise wird man über 2030 hinaus eine Untergrenz­e einziehen, unter die das Rentennive­au nicht sinken darf. Immer mehr Stimmen fordern allerdings, dass dafür das Renteneint­rittsalter steigen müsse. So verlangen die Junge Union und zahlreiche Ökonomen, die Entwicklun­g des Renteneint­rittsalter­s an die Lebenserwa­rtung zu koppeln. Private Zusatzvers­icherung Die Riester-Rente ist angesichts niedriger Zinsen und hoher Kosten in Verruf geraten. Alternativ wird über einen Ausbau der Betriebsre­nten, möglicherw­eise sogar verpflicht­end, nachgedach­t. Allerdings würde ein solches Modell auch nur Menschen fürs Alter absichern, die dauerhaft einen Job haben. Altersarmu­t Als Modell gegen drohende Altersarmu­t von prekär Beschäftig­ten und Menschen mit gebrochene­r Erwerbsbio­grafie ist nach wie vor die Lebensleis­tungsrente im Gespräch. Dazu wird Nahles wohl ein Modell vorlegen.

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FOTO: DPA | QUELLE: BUNDESARBE­ITSMINISTE­RIUM | GRAFIK: DPA, RP

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