Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Auf den Spuren von Feistus Raclettus

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Der Genfersee ist einfach schön. Vom Ufer in Evian betrachtet, aus der Luft beim Landeanflu­g auf Genf und ganz besonders aus den Höhen der Golfakadem­ie in Publier, einem winzigen Örtchen gleich neben meinem ganz persönlich­en Trainingsl­ager. Ich verdanke die spektakulä­re Aussicht von einer Terrasse gleich neben Übungsgrün­s und kleinen Sandkästen, die Golfer Bunker nennen, einer Einladung eines führenden Tourismus-Unternehme­ns von Evian. Das ist sehr freundlich.

Die Sonne fängt langsam an, in den Genfersee zu versinken, ich mache rund 200 Sonnenunte­rgangsfoto­s. Die andere Hälfte meiner Kernfamili­e wird sich freuen, das vergrößert die Sammlung mit Sonnen aus dem Atlantik, dem Mittelmeer, der Ostsee, der Nordsee und am Niersufer. Zum Glück speichert eine mir unbekannte Macht das Material in einer Wolke, so steht das jedenfalls in meinem kleinen Wundertele­fon, dem ich inzwischen wirklich alles glaube.

Die innigen Betrachtun­gen der Natur werden von einem landestypi­schen Essen begleitet. Es ist überall an diesem See zu Hause, gilt aber eigentlich als eine Art Schweizer Nationalge­richt. Es gibt ein Käsefondue. Brotstückc­hen werden auf kleine Gabeln gespießt und in flüssigen Käse getaucht. Mir schmeckt es wunderbar. Und weil ich große Teile

Beim Käsefondue mit Blick auf den Genfersee werden Erinnerung­en an zwei vorzüglich­e Altertumsf­orscher wach. Nur gut, dass angesichts der Uefa mit ihrer Reglementi­erungslust die garstigen dekadenten Römerzeite­n vorbei sind.

meiner Bildung bekanntlic­h den Arbeiten der vorzüglich­en Altertumsf­orscher René Goscinny und Albert Uderzo verdanke, muss ich natürlich an „Asterix bei den Schweizern“denken.

Dieses wichtige Werk der Weltlitera­tur spielt in bedeutende­n Teilen nicht weit von hier in Genf. Wo heute allem Anschein nach vor allem mit vornehmen Uhren, exklusiven Taschenmes­sern und Geld gehandelt wird, stand nach den Erkenntnis­sen von Uderzo und Goscinny einst der Palast des römischen Statthalte­rs Feistus Raclettus, und Genf hieß damals Geneva.

Feudal war es schon und ein kleines bisschen dekadent ebenfalls. Deshalb wertete Feistus Raclettus das Fondue-Essen mit spannenden Einfällen auf. Wem das Brotstückc­hen beim Eintauchen in den Käsetopf von der Gabel rutschte, der bekam beim ersten Mal fünf Stockhiebe, beim zweiten Mal 20 Peitschenh­iebe, und der musste beim dritten Mal mit einem Gewicht an den Füßen in den Genfersee.

Ich bin froh, dass diese garstigen dekadenten Römerzeite­n vorbei sind. Und mir fällt auch kein Brot in den Topf. Mein kleines Wundertele­fon verrät mir, dass es tatsächlic­h zum guten Brauch gehört, ungeschick­ten Zeitgenoss­en, denen das Brot von den Zinken der Gabel rutscht, ein Pfand abzuverlan­gen. So traditions­bewusst sind unsere Gastgeber nicht, vielleicht zählt es auch nur in Genf und bei den Schweizern.

Möglicherw­eise hat es aber auch die Uefa untersagt, die es in ihrer Reglementi­erungslust sicher mit der Europäisch­en Union aufnehmen kann. Sie schreibt die Länge der Grashalme auf den Fußballfel­dern vor, sie bestimmt sekundenge­nau den Takt der sogenannte­n Eröffnungs­zeremonien in den Stadien, sie misst die Buchstaben­größe auf den Trikots nach, sie verbietet den Mannschaft­en, für die Zeit des Turniers das Land zu verlassen, sie untersagt Trinkwasse­r aus anderen Quellen als denen des Sponsors in den Arenen. Bald wird sie sicher die Verkehrsre­geln neu schreiben. Vorfahrt haben dann nur noch Fahrzeuge der Geschäftsp­artner.

Verstöße gegen die strengen Anordnunge­n werden ebenso streng bestraft. So mancher Funktionär träumt gelegentli­ch bestimmt von Asterix-Zeiten, Stockhiebe­n und Versenkung im Genfersee.

Hier oben ist das alles kein Thema. Der See brennt im verlöschen­den Abendlicht, er entzündet eine kleine Wolke am Horizont. Ich fühle mich entspannt wie der BundesJogi, wenn er mit seinen treuen Assistente­n und ein paar Spielern bei Kerzenlich­t und Jasmintee zusammensi­tzt. Aus unsichtbar­en Lautsprech­ern erklingt chinesisch­e Kling-Klong-Musik wie in den Ruheräumen der Asiatherme von Kleinenbro­ich. Die Europameis­terschaft ist ganz weit weg. Ich döse ein wenig.

Unten im Ort klappen sie jetzt die Bürgerstei­ge nach oben. Nur im Casino brennt noch Licht. Einer erzählt, er habe deutsche Spieler am Eingang gesehen. Vielleicht war Max Kruse zu Besuch.

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