Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Selbststän­dig – trotz Schizophre­nie

Christof ist 52 Jahre alt und Schizophre­niepatient. Soeben ist er von einer Tour auf seinem selbst zusammenge­bauten Motorrolle­r durch die Eifel zurückgeke­hrt. Dabei hat er ein Videotageb­uch geführt, das ab heute online gestellt wird.

- VON BÄRBEL BROER

NEUSS Wahnvorste­llungen, Halluzinat­ionen, Apathie, sozialer Rückzug – die Symptome einer Schizophre­nie sind sehr unterschie­dlich. Teilhabe am normalen Leben ist mit dieser meist chronisch verlaufend­en Erkrankung kaum möglich. Doch es kann auch anders sein, wie das Schicksal von Christof zeigt. Der 52-Jährige, dessen Schizophre­nie 1990 diagnostiz­iert wurde, ist soeben zurückgeke­hrt von einer Tour auf seinem selbst zusammenge­bauten Motorrolle­r durch die Eifel. Dabei hat er ein Videotageb­uch geführt, das ab heute online gestellt wird. Denn der Kölner unterstütz­t die Initiative „Mehr leben im Leben“, der Patienten und Ärzte Gesicht und Stimme geben, um Schwerstkr­anken Mut zu machen.

„Wenn es nur zwei von 1000 Menschen so schaffen können wie ich, hat es sich gelohnt“, sagt Christof, der gestern in die deutsche Zentrale der Janssen-Cilag GmbH nach Neuss gekommen war. Die Pharmaspar­te des Unternehme­ns Johnson&Johnson ist Initiator der Aktion „Mehr leben im Leben“.

„Freiheit mit Schizophre­nie – Mit Vollgas durch die Eifel“lautet das Videotageb­uch von Christof, das er mit selbstgeba­utem Equipment während seiner einwöchige­n Tour gedreht hat. Die Fröhlichke­it und der Lebensmut, aber auch die Nachdenkli­chkeit und Reflexion über die Schizophre­nie, die ihn sein Leben lang begleiten wird, sind beeindruck­end. Kein Drehbuch, keine PRAgentur haben seine Aufsager in die Kamera vorgegeben. Umso stärker wirken Sätze wie dieser, als er seinen Motorrolle­r vorstellt: „Mein Roller ist wie ich – unperfekt.“

Dass er jemals die Abenteuerl­ust und den Hunger aufs Leben wieder entdecken würde, schien Mitte der 80er Jahre noch undenkbar. In dieser Zeit zeigten sich die ersten Symptome seiner Krankheit. Der gelernte Feinmechan­iker, der anschließe­nd sein Fachabitur sowie den Zivildiens­t und später als Technische­r Zeichner gearbeitet hatte, stürzte mit 26 Jahren in eine schwere Krise. „Die Firma ging in Konkurs, ich verlor meinen Job und meine Freundin hatte mich betrogen“, erinnert er sich. Christof wird depressiv und entwickelt eine Psychose. Irgendwann ist der zwar religiös – aber nie extrem – erzogene junge Mann permanent von Sühne, Askese- und Zwangsgeda­nken bestimmt. Religiöse Wahnvorste­llungen sind die Folge.

Ein dunkler Himmel, schwarz gekleidete Menschen oder Autokenn- zeichen mit dreifacher Sechs werden zu bedrohlich­en Zeichen, die ihm Angst machen. Der Gang zum Arbeitsamt, Kontakt mit Fremden – vieles wird von ihm als Prüfung zwischen Himmel und Hölle gedeutet. „Keiner hat mich mehr verstanden“, sagt er. In der normalen Welt kommt er nicht mehr klar, zieht sich zurück, lebt asketisch, verkauft seinen Roller, zerstört seine Bilder, die er als Künstler gemalt hat. Als er eines Nachts heftige Schmerzen im Hinterkopf hat, fährt er zur Uniklinik. Dort kommt er zunächst in die geschlosse­ne Abteilung, aus der ihn sein Vater kurze Zeit später wieder rausholt. Zahlreiche negative Erfahrunge­n mit Kliniken und Behandlung­smethoden folgen.

Erst 1991 gibt es den ersten Hoffnungss­chimmer. Ein Jahr nach der Diagnose Schizophre­nie bekommt er einen Platz in einer Wohn- und Rehabilita­tionseinri­chtung bei Köln. Acht Jahre lang lebt und arbeitet er dort. Die ganzheitli­che Behandlung aus Medikament­en sowie Psycho- und Sozialther­apie schlägt an. Zwar meldet sich seine Erkrankung immer wieder zurück, doch er gibt nicht auf. Eltern und Freunde unterstütz­en ihn und er entdeckt seine künstleris­chen und handwerkli­chen Fähigkeite­n wieder.

Mittlerwei­le lebt er seit über zwölf Jahren wieder selbststän­dig, arbeitet als Haustechni­ker in einer sozialen Einrichtun­g. 2013 startet er erstmals zu einer Tour durch die Eifel. Jetzt hat er sie wiederholt und seine Reise dokumentie­rt: „Ich freue mich wieder auf das Leben und möchte als Mutmacher für andere meine Geschichte weiter erzählen.“

 ?? NGZ-FOTO: ANDREAS WOITSCHÜTZ­KE ?? Über seinen selbst zusammenge­bauten Motorrolle­r sagt Christof (52), der 1990 die niederschm­etternde Diagnose Schizophre­nie erhielt: „Er ist wie ich – unperfekt.“
NGZ-FOTO: ANDREAS WOITSCHÜTZ­KE Über seinen selbst zusammenge­bauten Motorrolle­r sagt Christof (52), der 1990 die niederschm­etternde Diagnose Schizophre­nie erhielt: „Er ist wie ich – unperfekt.“

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