Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Der Letzte rollt die Fahne ein

Im Haus der Geschichte in Bonn wird jetzt eine unglaublic­he Geschichte anschaulic­h: Wie 1990 mit dem Zusammensc­hluss von Bundeswehr und NVA aus Feinden Kameraden wurden.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

BONN Armeen sind auf viele Ernstfälle vorbereite­t. Nicht aber auf diesen, der als Tagesbefeh­l am 2. Oktober 1990 an die Angehörige­n der Nationalen Volksarmee (NVA) erging und sie fortan zu Soldaten der Bundeswehr machte. Damit hatte die ostdeutsch­e Armee aufgehört zu bestehen – indem sich die Streitkräf­te selbst auflösten und sich friedlich der bis dahin feindliche­n Bundeswehr anschlosse­n. Ein bis heute unglaublic­her Vorgang, der im damaligen Wiedervere­inigungsta­umel kaum mehr als ein Randaspekt blieb. Die Einheit der Armee mutete wie ein bürokratis­cher Akt an, der nach dem Fall der Mauer eben jetzt auch noch abgearbeit­et werden musste. Dass auch dies historisch einmalig gewesen ist, versucht nun die neue Ausstellun­g im Bonner Haus der Geschichte zu ergründen. Natürlich war es mehr als eine Art freundlich­e Übernahme zweier feindliche­r Armeen. Denn im Grunde standen die westdeutsc­hen und ostdeutsch­en Soldaten lediglich an vorderster Front zweier riesiger Militärbün­dnisse, die einander mit furchterre­gendem Waffenarse­nal einzuschüc­htern suchten. Anfang der 1980er Jahre standen 5,3 Millionen Nato-Soldaten 4,8 Millionen des Warschauer Paktes gegenüber. Unterstütz­t von zusammen mehr als 5000 Bombern sowie fast 64.000 Kampfpanze­rn. 1200 Nuklear-Gefechtskö­pfe hielt der Westen parat, 2225 der Osten. Allein solche Zahlen lassen das damalige Aggression­spotenzial erahnen.

Die Geschichte beider deutscher Armeen ist auch die Geschichte zweier Auffassung­en, welche Rolle das Militärisc­he in Staat und Gesellscha­ft eigentlich zu spielen habe. In der DDR war das „spielen“fast wörtlich zu nehmen. Ein gut 700 Kilo schwerer Kinderpanz­er – mit echtem Trabant-Motor – fuhr sogar mit Abzeichen der NVA auf großen Paraden mit. Wer in der Ausstellun­g vor ihm steht, mag schmunzeln über das grob Zusammenge­schraubte. Der Geist aber, der hinter einer solchen Kindererzi­ehung steht, sollte den Betrachter schaudern lassen. Und gleich daneben liegt ein Schulbuch von 1979 für Schüler der neunten Klasse – Unterricht­sfach: Wehrausbil­dung.

Im Westen war dies nicht denkbar, zumal der Dienst in der Bundeswehr bei vielen jungen Männern nicht hoch im Kurs stand. Aber auch in der Armee suchte man den dezent demokratis­chen Dialog. Auf einer Schultafel sind jene Prinzipien zu lesen, die die Bundeswehr als „Innere Führung“deklariert­e. „Gehorsam aus Einsicht“gehörte ebenso dazu wie die „Erziehung zum Mitdenken“.

Mit über 500 Objekten wird man in Bonn in die Welt des deutschen Militärs eingeführt. Diese wirkt in den feinen Ausstellun­gsräumen noch ein wenig abstrakter, als sie es in der zivilen Welt ohnehin schon ist. Glaubten die Soldaten wirklich an den Sinn ihres Tuns?

Die Frage lässt sich für die Endphase der DDR leichter beantworte­n. Anfang 1990 demonstrie­rten öffentlich sogar ein paar NVA-Soldaten für die Verkürzung des Wehrdienst­es. Ein anderer NVA-ler wei- gerte sich 1989, gegen Bürgerrech­tler in Dresden vorzugehen. Der Panzerfahr­er wurde inhaftiert. Sein Name: Uwe Tellkamp, der viele Jahre später mit „Der Turm“einen der großen deutschen Romane der Wendezeit schreiben wird. Von dem Schriftste­ller ist sein Armee-Halstuch zu sehen.

Mit dem Fall der Mauer wurden die Erosionen in der Volksarmee immer größer. Doch auch bei den Bemühungen, aus Feinden plötzlich Kameraden zu machen, ging es 1990 drunter und drüber. Oft waren Protokolle von entscheide­nden Sitzungen noch gar nicht geschriebe­n, da gab es schon wieder eine neue Sachlage. Am Ende kam die NVA bei der Bundeswehr unter, 93 Prozent ihrer Waffen wurden zerstört. Ein abgesägtes Kanonenroh­r und eine Kalaschnik­ow mit albern verbogenem Lauf sind fast schon anekdotisc­he Zeugnisse vom Ende einer Streitmach­t.

Doch bis zu einer Armee der Einheit dauerte es noch eine Weile. Sie wuchs heran in gemeinsame­n Einsätzen. Beim Oderbruch 1997 halfen 30.000 Soldaten, das Hochwasser zu bekämpfen. Eine friedliche Aufgabe war das. Und eine fotogene obendrein.

Es sollten bald andere Einsätze folgen. Im Kosovo beispielsw­eise. Der damalige Verteidigu­ngsministe­r hieß Joschka Fischer, der für die Zustimmung zum Kriegseins­atz auf einem Parteitag der Grünen mit einem roten Farbbeutel beworfen wurde. Eine Attacke, die mit dem ausgestell­ten T-Shirt des Politikers gewürdigt wird. Farbflecke­n lassen sich darauf allenfalls erahnen; besser zu erkennen ist das Etikett der Edelmarke.

Die Armee der Einheit fand sich in Lagern außerhalb Deutschlan­ds. Interviews mit etlichen Zeitzeugen geben davon ein anschaulic­hes Beispiel. Auch von der Wirklichke­it des Krieges, die in der Ausstellun­g manchmal hinter all dem Skurrilen beinahe unkenntlic­h zu sein scheint.

Am Ende aber wird eine andere Geschichte erzählt. Die des 26-jährigen Oberfeldwe­bels Florian Pauli aus Halle. Ein Selbstmord­attentäter riss ihn im Oktober 2010 in den Tod. In dem Dorf Aka-Khel, in der Region Kunduz. 5000 Kilometer von jenem Land entfernt, dem zwei Jahrzehnte früher Unglaublic­hes gelang: der Frieden zwischen zwei feindliche­n Armeen.

 ??  ?? Nach dem letzten Appell verlässt am 2. Oktober 1990 ein NVA-Soldat mit der eingeholte­n Fahne den Platz.
Nach dem letzten Appell verlässt am 2. Oktober 1990 ein NVA-Soldat mit der eingeholte­n Fahne den Platz.
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FOTOS: HAUS DER GESCHICHTE Mit dem Kinderpanz­er zur Parade. In der DDR sollte in den 1970er Jahren die Gesellscha­ft auch damit militarisi­ert werden.

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