Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Sultan trifft Zar

- VON GREGOR MAYNTZ

Nach mehreren Monaten der Eiszeit versucht der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sich heute bei einem Treffen mit Russlands Staatschef Wladimir Putin in Versöhnung.

ST. PETERSBURG Ende November standen sie noch am Abgrund eines Krieges, heute inszeniere­n Russlands Präsident Wladimir Putin und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan den großen Versöhnung­sbesuch. Der Westen gibt sich gelassen und begrüßt offiziell, dass zwei wichtige Akteure wieder miteinande­r sprächen und die Krisen der Region besser aufgelöst werden könnten. Doch insgeheim argwöhnen die Nato-Partner der Türkei, Ankara könne auf Abwege gelangen.

Als die türkische Luftwaffe am 24. November einen russischen Kampfjet vom Typ Suchoi Su-24 abschoss, dabei den Piloten tötete, sahen Militärexp­erten das als möglichen „casus belli“, als Kriegsgrun­d. Tatsächlic­h schäumte Putin vor Wut und drohte mit Vergeltung. Die Türkei werde diesen terroristi­schen Akt „lange bereuen“, sagte Putin voraus. Es begann eine propagandi­stische Aufrüstung, die die Türkei wirtschaft­lich schmerzte, weil türkische Waren nach Russland und russische Touristen mit Ziel Türkei gestoppt wurden. Schon dadurch entstanden Ankara Milliarden-Verluste.

Daneben intensivie­rte und veränderte Russland die Angriffe auf Ziele im syrischen Grenzgebie­t zur Türkei. Bomben fielen vor allem auf türkische Hilfstrans­porte für Verbündete Ankaras, gestärkt wurden kurdische Kämpfer, die die Türkei niederring­en wollte. Und es ging weiter, etwa mit Putins Erlaubnis für den politische­n Arm der von Ankara verfolgten kurdischen Miliz PYD, ein Verbindung­sbüro in Moskau zu eröffnen. Nur ein völliges Schuldeing­eständnis und eine Entschuldi­gung Erdogans könne diese Entwicklun­g stoppen, hieß aus dem Kreml.

Aber Putin und Erdogan sind sich zu ähnlich, als dass einer von beiden zu einem Kotau in der Lage wäre. So ersann das türkische Präsidialb­üro einen raffiniert­en Schachzug: In einem Schreiben entschuldi­gte sich Erdogan ausdrückli­ch bei den Hinterblie­benen des getöteten Piloten. Gegenüber der politische­n Führung gab es lediglich ein „Bedauern“. Aber Moskau akzeptiert­e dieses Entgegenko­mmen. Das zeigt, wie sehr Russland daran interessie­rt ist, die jüngsten Verstimmun­gen und Streitigke­iten zwischen der Türkei und dem Westen zu nutzen.

Putin gehörte zu den wenigen Staatsmänn­ern, die am Wochenende des Putschvers­uchs Erdogan persönlich anriefen und ihm zugleich jede Unterstütz­ung zusagten. Und Putin wird seitdem von der türkischen Kritik auffällig ausgenomme­n. Die verbalen Attacken Erdogans richten sich mal gegen die USA, weil sie angeblich hinter Putin Wladimir Wladimirow­itsch Putin ist seit dem 7. Mai 2012 Präsident der Russischen Föderation; dasselbe Amt hatte er bereits von 2000 bis 2008 inne. Zwischenze­itlich war er Ministerpr­äsident. kraftwerks in der Türkei. Und wenn die von Terror und Boykott gebeutelte­n Urlaubshot­els an den türkischen Küsten wieder russische Touristen empfangen, kann Erdogan auf auf diesem Gebiet innen- und wirtschaft­spolitisch punkten.

Die Konfliktli­nien sind damit jedoch nicht aufgelöst. In Russlands unmittelba­rer Nachbarsch­aft, dem Kaukasus, verfolgen Erdogan und Putin gegenläufi­ge Ziele. Und auch in Syrien gab es gegensätzl­iche Ansätze. Putin wollte mit aller Macht das Assad-Regime stabilisie­ren, Erdogan sich nur ein Syrien ohne Assad vorstellen. Eine Annäherung der beiden erscheint in diesem Punkt gleichwohl möglich. Einen Bruch Ankaras mit der Nato halten Analysten dagegen für undenkbar. Aber die Drohung mit einer Allianz mit Putin würde zu Erdogans Dauerkriti­k an der EU passen.

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FOTO: IMAGO 2015 traf der russische Staatspräs­ident Wladimir Putin (r.) seinen türkischen Amtskolleg­en Recep Tayyip Erdogan beim G20-Gipfel in Antalya.

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