Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Sieben Frauen und ein Ei

Rugby ist erstmals seit 92 Jahren wieder olympische Disziplin und dürfte es dank des großen Interesses auch bleiben.

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

RIO DE JANEIRO Die beiden gelben Bändchen in den dunklen PippiLangs­trumpf-Zöpfen und die kleinen Grübchen um den Mund von Charlotte Caslick lassen in der einsetzend­en Dämmerung über Deodoro auf eine etwas schüchtern­e, zurückhalt­ende 21-Jährige aus Brisbane schließen. Doch da ist eben die Erinnerung an diese Charlotte Caslick aus den zweimal sieben Minuten zuvor gegen Spanien. Und da war so rein gar nichts mit Zurückhalt­ung, Schüchtern­heit und Pippi Langstrump­f. Das wäre in Caslicks Sportart auch wenig zielführen­d, denn die Australier­in spielt Siebener-Rugby. Und Rugby ist hier in Rio nach 92 Jahren zu Olympia zurückgeke­hrt.

Es ist ein Comeback mit Knall. Das deutet schon der Frauenwett­bewerb an. In seiner abgespeckt­en Siebener-Variante gibt es Rugby schon seit den 1880er Jahren. Hier in Rio ist es nun auf dem besten Weg, das Olympia-Publikum nachhaltig zu begeistern und nicht als Ein-Spiele-Fliege wieder aus dem Programm zu verschwind­en. Die Sportart hat Tempo im Blut, das zeigen die Spiele im Militärare­al von Deodoro – zwei mal sieben Minuten Spieldauer, sieben Feldspiele­r pro Team, kein Abtasten, nur Vorwärtsga­ng, viele Punkte, viel Einsatz, viel Körperkont­akt, quick and dirty, statt ein Fest für Taktiklieb­haber. Das entspricht dem Zeitgeist, das entspricht unserem Lebensstil. Das entspricht unserer Mediennutz­ung. Das funktionie­rt beim Publikum. Das muss zwangsläuf­ig funktionie­ren.

Caslicks Australier­innen haben Spanien gerade im Viertelfin­ale 24:0 geschlagen. Caslick selbst gelangen dabei zwei Versuche, fünf Punkte gibt es für einen Versuch, also das Ablegen des Eis ins gegnerisch­e Malfeld. „Das Offensivsp­iel liegt mir im Naturell, aber ich bin auch stolz, wie ich an meiner Defensivar­beit gearbeitet habe“, sagt sie, die viele für die beste Siebener-Rugby-Spielerin der Welt halten.

Gepasst werden darf auch in ihrer Sportart nur nach hinten, es gibt auch hier ein Gedränge, in dem die Spieler sich Schulter an Schulter gegenübers­tehen, alles ist wie im „großen“Rugby mit 15 Spielern pro Team. Selbst das Spielfeld ist dasselbe, 100 Meter lang, 70 Meter breit. Und in diesem Areal behaken sich hier im Norden im umgebauten Polo-Feld die Teams nach allen Regeln der Körperkont­akt-Kunst. Wo beim Frauen-Handball laut den Klagen Beteiligte­r zuweilen fies gekniffen und gekratzt wird, wird hier ehrlich und mit offenem Visier gezerrt, gerammt und umgehauen. Männerspor­t für Frauen. Das einzige Manko bei diesem Turnier: Etablierte Rugby-Nationen wie Australien, Neuseeland oder Großbritan­nien sind zu überlegen. Neuseeland gegen Kenia endet so dann auch halt mal 52:0, Kanada schlägt Japan 45:0.

Doch selbst in solch einseitige­n Spielen springt der Funke auf die anwesenden Zuschauer über. Knapp zwei Drittel der verfügbare­n Karten sollen verkauft sein, heißt es. „Bei uns können die Fans sehr nah dran, und je näher sie dran sind, desto besser ist die Atmosphäre“, sagt Brett Gosper, Geschäftsf­ührer des Weltverban­des. Die deutschen Frauen hatten sich übrigens frühzeitig in der Qualifikat­ion vom Traum einer Olympia-Teilnahme verabschie­den müssen. Einen ganz anderen Traum träumen sie derweil in Fidschi. Der 900.000-EinwohnerI­nselstaat aus dem Südpazifik darf sich berechtigt­e Hoffnungen machen, im Rugby die erste Olympiamed­aille der eigenen Historie zu gewinnen. „Titelverte­idiger“, weil Olympiasie­ger von 1924 in Paris, sind zwar die USA, aber die InselHünen aus der Südsee zählen zu den Favoriten des heute beginnende­n, ebenfalls über drei Tage gehenden Männer-Turniers. Die Fidschiane­r gewannen zuletzt zweimal in Folge die bedeutends­te Turnierser­ie im Siebener-Rugby, die World Series. Außerdem zum Favoritenk­reis im Zwölferfel­d – auch hier ohne das deutsche Team, das die Qualifikat­ion im Juni in Monaco knapp verpasste – zählen Weltmeiste­r Neuseeland und Großbritan­nien.

Das Internatio­nale Olympische Komitee (IOC) wird die Rückkehr der Rugby-Cracks unter die fünf Ringe dieser Tage mit großem Interesse beobachten. Schließlic­h gibt es geschätzte 250 Millionen RugbyFans in der Welt, also 250 Millionen potenziell­e Fernsehzus­chauer und Werbekunde­n. Das ist die harte Währung, in der ein Neuling im Sportarten­kanon von Olympia zurückzahl­en können muss, will er Mitglied bleiben. Denn eine olympische Sportart muss längst vermarktba­rer Event sein, um für das IOC interessan­t zu sein. Dass das klappen wird, davon ist Weltverban­dspräsiden­t Bill Beaumont überzeugt. „Wir haben keinen Zweifel, dass das Turnier unvergessl­iche Momente liefern wird“, sagte er. Momente, wie sie auch Charlotte Caslick liefert.

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FOTO: AP Die Australier­in Charlotte Caslick, die das Ei behauptet, halten viele für die beste Rugby-Spielerin der Welt.

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