Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Warten – die neue olympische Disziplin

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Ein geschätzte­r Kollege pflegt stets zu sagen, er sei durchaus geduldig, solange alles schnell gehe. Mit dieser Attitüde wäre der gute Mann hier in Rio in etwa so gut aufgehoben wie ein Vegetarier beim Metzger. Denn bei Olympia in Rio, da geht wahrlich vieles, nur auf keinen Fall etwas schnell. Schlange stehen ist in diesen Tagen nach Beachvolle­yball und Autohupe betätigen mit Sicherheit die Sportart, die die meisten Menschen aktiv ausüben.

Gäbe es einen Olympische­n Eid für Zuschauer und Journalist­en, er müsste lauten: „Wir schwören, dass wir an den Olympische­n Spielen als ehrenwerte Wartende teilnehmen, die Regeln der Schlange achten und uns bemühen werden, ritterlich­e Geduld zu zeigen, zur Ehre unserer Reihe und zum Ruhme der Langsamkei­t.“

Nun könnte man meinen: Aber der ungeduldig­e Kollege ist doch gar nicht vor Ort. Also alles halb so wild.

Irgendwo wird der Tatendrang in Rio de Janeiro immer gebremst. In Sachen Ungeduld werden immer neue Bestzeiten aufgestell­t.

Stimmt. Stimmt aber auch nicht, denn in Sachen Ungeduld erreiche auch ich hier immer neue Bestzeiten, also Zeiten, die es dauert, bis ich ungeduldig werde. Ich habe inzwischen gehörigen Bammel vor meinem Kontrollte­rmin beim Zahnarzt im Herbst, so viel knirsche ich hier mit den Zähnen aufeinande­r, um ein internes Ventil für die Ungeduld zu nutzen.

Alle warten wir hier den ganzen Tag. Irgendwo. Wir warten an jeder einzelnen Wettkampfs­tätte, bis wir an der Reihe sind, um wie am Flughafen kontrollie­rt zu werden. Rucksack abschulter­n, Laptop rausholen, Taschen leeren – das sind inzwischen so flüssige Bewegungen, wie ich sie mir beim „G3 zerlegen, zusammense­tzen“im Wehrdienst gewünscht hätte.

Wir warten hier in Rio, bis sich der nächste Stau aufgelöst hat. Wir warten, bis all die Menschen vor uns ihr Essen bestellt und bezahlt haben. Ich persönlich würde ja jeden, der

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