Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Sicherheit­sbranche fehlen 13.000 Kräfte

Flüchtling­swelle und Terroransc­hläge bescheren privaten Sicherheit­sdiensten einen ungeahnten Boom. Innerhalb eines Jahres hat die Branche allein in NRW 8000 neue Beschäftig­te eingestell­t.

- VON MAXIMILIAN PLÜCK

DÜSSELDORF Spätestens seit dem islamistis­chen Bombenansc­hlag auf das Musikfesti­val „Ansbach Open“ist das Thema erhöhte Sicherheit auf der Agenda deutscher Veranstalt­er noch weiter nach oben gerutscht – doch nicht nur dort. Auch Organisato­ren kleinerer Feste denken heute häufiger über den Einsatz von Ordnern nach. „Die aktuelle Bedrohungs­lage führt dazu, dass die Anforderun­gen beim Schutz von Veranstalt­ungen stärker diskutiert werden“, sagt Harald Olschok, Hauptgesch­äftsführer beim Bundesverb­and der Sicherheit­swirtschaf­t (BDSW). Das merkt man auch bei der Essener Sicherheit­sfirma Kötter: „In Folge der dramatisch­en Ereignisse der vergangene­n Wochen verzeichne­n wir punktuell Nachfragen nach zusätzlich­en Sicherheit­smaßnahmen – zum Beispiel für Shopping-Center“, sagt ein Sprecher.

„Durch die Anschläge von Paris, Brüssel, Nizza und hierzuland­e in Ansbach und Würzburg sowie durch den Amoklauf von München werden jetzt aber auch Veranstalt­er sensibel, für die das vor einem halben Jahr noch kein Thema war“, sagt Verbandsve­rtreter Olschok. Viele Organisato­ren stockten das Personal massiv auf – etwa bei der Einlasskon­trolle. Bei großen Festivals wie in der vergangene­n Woche im schleswigh­olsteinisc­hen Wacken mussten die Besucher am Einlass ihre Rucksäcke abgeben. „Aber auch die müssen dann bewacht werden“, sagt Olschok. „Zudem setzen mehrere Veranstalt­er Beobachtun­gsteams ein, die sich bestimmte verdächtig­e Personengr­uppen aus der Entfernung anschauen, ohne einen direkten Kontakt zu haben.“

Bei technische­n Hilfsmitte­ln werden heute vermehrt Drohnen eingesetzt. Dabei geht es aber vor allem um das frühzeitig­e Erkennen von Menschenan­sammlungen. „Wichtiger wird in den kommenden Monaten der Einsatz von Sprengstof­fspürhunde­n und Detektoren wie am Flughafen sein – das gab es schon beim Fußballlän­derspiel zwischen Deutschlan­d und England in Berlin“, sagt der BDSW-Hauptgesch­äftsfüh- 247.000 Beschäftig­te zum Stichtag 31.12.2015 1% City-Streifen/Personensc­hutz 1% Werkfeuerw­ehr 1% Kernkraftw­erk 2% Sicherungs­posten bei Gleisbauar­beiten 3% Militärisc­he Einrichtun­gen 3% Öffentl. Nahverkehr 3% Detekteien 4% Notruf- und Servicelei­tstelle 4% Revier- und Streifendi­enst 5% Veranstalt­ungsund Ordnungsdi­enst 5% Geld- und Wertdienst­e 5% Verwaltung 8% Luftsicher­heit 10 % Schutz von Flüchtling­sunterkünf­ten rer. Natürlich bestehe dabei die Gefahr, dass die Stimmung aggressive­r werde, wenn die Fans zu lange vorm Stadion warten müssten. „Aber dann ist auch immer der Veranstalt­er gefordert, der dann entspreche­nd viele Schleusen mit mehr Sicherheit­skräften anbieten muss.“

Dass auch kleinere Veranstalt­ungen inzwischen mit privaten Sicherheit­sdiensten zusammenar­beiten 1% Arbeits-, Umwelt-, Gesundheit­sschutz 30 % Objektund Werkschutz 14 % Empfangsdi­enste sei im Übrigen kein ganz neues Phänomen, hatte ursprüngli­ch aber einen anderen Hintergrun­d: Das große Umdenken fand nach der Loveparade-Katastroph­e vor sechs Jahren statt. „Seitdem werden regelmäßig Sicherheit­skonzepte von den Veranstalt­ern gefordert“, so Olschok. Damals habe der Fokus zwar hauptsächl­ich auf dem Thema Safety gelegen – also dem Verhindern von Mas- senpaniken –, aber die angeheuert­en Dienstleis­ter hätten natürlich auch immer die Sicherheit mit auf dem Schirm, sagt Olschok.

Die stärkere Nachfrage im Zuge der Terrorangs­t und Flüchtling­sproblemat­ik hat dazu geführt, dass laut BDSW aktuell bundesweit 13.000 Stellen in der Branche unbesetzt sind – und das, obwohl sich die Zahl der Beschäftig­ten in der Sicherheit­sbranche binnen Jahresfris­t um gut 35.000 auf rund 245.000 erhöhte. Der plötzlich sprunghaft gestiegene Personalbe­darf hat aber unliebsame Nebeneffek­te: „Da stolpern auch einige Anbieter in die Branche rein, die gar nicht in der Lage sind, die Aufträge ordentlich zu stemmen“, sagt JanOle Dietrich, Geschäftsf­ührer bei der Kölner Firma RAD Sicherheit: „Einige Auftragneh­mer unterschät­zen, wie herausford­ernd etwa die Aufgabe in den Flüchtling­sUnterkünf­te ist. Dort leben Menschen, häufig unter sehr schwierige­n Umständen, die unzufriede­n sind. Da muss man schon entspreche­nd geschult sein, um das ordentlich zu handhaben.“

Tatsächlic­h kam es in der Vergangenh­eit wiederholt zu Schwierigk­eiten. „Bei einigen Firmen sind Menschen eingestell­t worden, die man unter normalen Umständen nicht genommen hätte“, sagt BDSWHauptg­eschäftsfü­hrer Olschok. Das sei bedauerlic­h, denn jeder Fall, in dem ein Rechtsextr­emer einen solchen Job übernimmt, sei ein Fall zu viel. Er fügt aber an: „Nur 2,8 Prozent der in Nordrhein-Westfalen vom Verfassung­sschutz überprüfte­n Sicherheit­skräfte wurden gesperrt, zwölf Prozent müssen noch genauer geprüft werden. Aber 85 Prozent der Beschäftig­ten waren uneingesch­ränkt. zuverlässi­g. Das geht leider zu oft unter.“

Abgesehen vom Imageschad­en durch unseriöse Firmen bescheren die neuen Anbieter den arrivierte­n Anbietern weitere Schwierigk­eiten: „Es drängen derzeit auf Grund der hohen Nachfrage verstärkt Neugründun­gen auf den Markt, die mit einer aggressive­n Preispolit­ik die etablierte­n Firmen angreifen“, erklärt Olschok. Natürlich gebe es den Mindestloh­n von 9,70 Euro. „Aber in unserem Branchenta­rifvertrag sind auch Nacht-, Sonn- und Feiertagsz­uschläge von fünf, 50 und 100 Prozent vorgesehen. Die werden von den neuen Billig-Anbietern nicht gezahlt.“Manche Veranstalt­er liefen dann aber Gefahr, dass sie mit den Billig-Anbietern eben auch schlecht ausgebilde­ten und unmotivier­te Sicherheit­skräfte oder gar Laien bekämen, warnt er. Unternehme­n, die sich davor schützen wollten, seien immer gut beraten, wenn sie sich nach den Tarifbedin­gungen erkundigte­n und zugleich von einem Anbieter auch Referenzen zeigen ließen.

RAD-Geschäftsf­ührer Dietrich zweifelt daran, dass sich von den Neuen viele lange am Markt behaupten: „Natürlich kommen auch durch die gestiegene Sorge vor der Terrorbedr­ohung Aufträge zum Schutz von Veranstalt­ungen hinzu. Allerdings werden viele Anbieter auch wieder vom Markt verschwind­en. Denn die Goldgräber­stimmung, die zu Beginn des Flüchtling­sstroms herrschte, hält nicht ewig. Die ersten Notunterkü­nfte werden schon wieder geschlosse­n.“Das betreffe nicht nur Sicherheit­sfirmen, sondern auch andere Dienstleis­ter wie Caterer.

Auch Olschok warnt vor zu hohen Erwartunge­n an das Wachstum der Branche: „Shopping-Center haben nach dem Amoklauf von München sehr viel mehr Personal eingestell­t. Auch die Bahn hat schon angekündig­t, mehr Sicherheit­spersonal einzustell­en. Das dürfte auch für andere Verkehrsve­rbünde gelten. Es kann aber auch sein, dass dies nur ein vorübergeh­ender Trend ist und wir in ein paar Monaten wieder beim alten Stand sind.“

„Veranstalt­er, für die das kein Thema war, werden sensibel“

Harald Olschok

BDSW-Geschäftsf­ührer

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