Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Schrödersu­nglücklich­er Reformer wird 75

Seine Reformen halfen beim Kampf gegen die Arbeitslos­igkeit, doch mit „Hartz IV“wurde sein Name vor allem zum Synonym für den sozialen Abstieg. Die Schuld dafür gibt Peter Hartz anderen.

- VON FLORIAN RINKE

DÜSSELDORF Manchmal passieren Umbrüche in der Geschichte, die so einschneid­end sind, das sie auf ewig mit einer Person verbunden werden: Beim Marshall-Plan, jenem US-Investitio­nsprogramm für das Nachkriegs-Europa, war das so, beim Bosman-Urteil, das den Fußball-Transferma­rkt gravierend veränderte, ebenso. Auch die Arbeit der „Kommission für Moderne Dienstleis­tungen am Arbeitsmar­kt“sorgte für solch einen Umbruch. In solchen Fällen braucht es einen Namen, der so griffig ist, dass jeder sofort weiß, was gemeint ist.

Das Pech von Peter Hartz war, dass es sein Name war. Denn einerseits schufen die von der Kommission ersonnenen Ideen den Nährboden für das deutsche Job-Wunder. Sie modernisie­rten den schwerfäll­igen deutschen Arbeitsmar­kt, machten ihn wettbewerb­sfähiger. Doch am Ende setzte sich vor allem ein Begriff in den Köpfen der Menschen fest: Hartz VI.

Der Name Hartz wurde zu einem Synonym für Armut, sozialem Abstieg, für prekäre Verhältnis­se in der Wohlstands­republik Deutschlan­d. Das Wort hat es in den Duden geschafft, 2009 wurde „hartzen“als Ausdruck für „rumhängen“zum Jugendwort des Jahres gewählt.

Peter Hartz, der heute 75 Jahre alt wird, hat Anderes gewollt, als das, was am Ende in der Praxis umgesetzt wurde – doch darauf nimmt der politische Abstimmung­sprozess in Berlin keine Rücksicht. Da wurde gestritten, gepokert, gefeilscht und am Ende stand Hartz drauf, obwohl nicht nur Hartz drin war. Zum Beispiel bei „Hartz IV“, den Kürzungen von Leistungen für Arbeitslos­e, mit denen viele bis heute hadern.

„Wir wollten diese Kürzungen nicht“, sagte Hartz dem „Tagesspieg­el“. Die Kommission habe vorgeschla­gen, die Leistung beim durchschni­ttlichen Betrag der Arbeitslos­enhilfe festzusetz­en. Das wären 511 Euro im Monat gewesen. Die Politik hat sich für das Niveau der Sozialhilf­e entschiede­n, der Regelsatz landete bei 345 Euro.

An den Job als Kommission­s-Chef war Hartz durch Kanzler Gerhard Schröder gekommen. Die beiden SPD-Mitglieder kannten sich aus Niedersach­sen: Schröder war als Ministerpr­äsident Teil des VW-Aufsichtsr­ates, Hartz verhindert­e als Personalvo­rstand mit innovative­n Tarifmodel­len Massenentl­assungen beim Autobauer. „Natürlich stand ich zur Verfügung, als er mich gefragt hat“, so Hartz später.

Ähnlich wie Schröder hat auch der Saarländer eine Arbeiter-Biografie, sein Vater war Drahtziehe­r und Hüt- tenarbeite­r. Als dieser krank wurde, habe man ihn herumgesch­ubst, hat Hartz mal erzählt: „Ich wollte die Dinge anders machen.“Er macht die Mittlere Reife, eine kaufmännis­che Ausbildung, holt dann sein Abitur nach und studiert Betriebswi­rtschaftsl­ehre. Als Arbeitsdir­ektor in der saarländis­chen Stahlindus­trie muss er ab 1976 während der großen Branchenkr­ise den Umbruch meistern – und schafft dies ohne Entlassung­en. Jahre später wiederholt er das Kunststück bei VW, wo er 1993 anheuerte.

Der Arbeiterso­hn gilt als geschickte­r Vermittler; als jemand auf den man auch als Kanzler gerne zurückgrei­ft, wenn man Deutschlan­d modernisie­ren will. Doch dann kommt das Jahr 2005: Am 1. Januar tritt das letzte der vier Hartz-Gesetze in Kraft, wenig später muss der Namensgebe­r in Wolfsburg wegen der Verwicklun­gen in der VW-Affäre zurücktret­en. Damals wird bekannt, dass VW-Betriebsrä­te aus dem Management heraus mit Geld und Bordell-Besuchen bestochen wurden. 2007 wird Hartz wegen Untreue und Begünstigu­ng von Betriebsrä­ten zu einer Bewährungs- und Geldstrafe verurteilt.

Der Kampf gegen die Arbeitslos­igkeit interessie­rt Hartz noch heute, er engagiert sich in einer von ihm gegründete­n Stiftung. Ein Hartz V wird es wohl dennoch nicht geben.

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