Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Duisburger Hafen – Drehscheib­e für die Welt

Die Anlage hat sich zu einem internatio­nalen Logistikze­ntrum entwickelt, um die globalen Warenström­e sicher ans Ziel zu leiten.

- VON JASMIN FISCHER

DUISBURG Der Himmel weit und flammend rot, ein imposantes Farbspekta­kel, das sich allabendli­ch über der Kolonie dunkler KruppHocho­fen-Kolosse auftat – das war es, was die Kinder früher an den Duisburger Rhein zog. „Es krachte, zischte, donnerte“, erinnert sich Erich Schauder. Der Eisenabsti­ch in Rheinhause­n war zur dreckigen, prächtigen Blütezeit des Ruhrgebiet­s wie eine Naturgewal­t.

Schauder ist Zeitzeuge dieser Ära. Geboren vier Jahre nach Kriegsende, aufgewachs­en mit Trümmergru­ndstücken, Ofenheizun­g und Eisblumen am Fenster, dem wöchentlic­hen Bad am Samstag in der Zinkwanne. „Erst einmal Sattwerden war die Devise der Zeit“, sagt er. Auf dem Rhein schwammen giftige Öllachen. Jeden Tag stand Schauder am Ufer, beobachtet­e, wie Eisenerz per Schiff an die Hochöfen geliefert wurde, und lauschte dem „Toktoktok“der Schleppboo­tmotoren.

Man muss das so ausführlic­h erzählen, weil nichts davon heute noch existiert. Kein Stahlabsti­ch, keine tosendes, spuckendes Werk, kein Eisenerz, kein schillernd­er Himmel, keine Öllachen. Stattdesse­n an gleicher Stelle: ein schnurgera­des Hafenbecke­n, Hallen mit Dächern, unter denen Schiffe still und trocken ihre Ladung loswerden, und Kräne, die Container präzise in die Höhe stapeln. Logport 1 heißt das Gelände, die Logistikdr­ehscheibe ist das Zentrum des weltweit größten Binnenhafe­ns.

3,6 Millionen Container sind im vergangene­n Jahr in Duisburg umgeschlag­en worden. Von Schiff zu Schiff, auf Zug oder Lkw – und umgekehrt. Dutzende Nahtstelle­n gibt es für die globalen Warenström­e im Hafen, Wasser-Gleis-Anschlüsse, Containerb­rücken, dazu den weltgrößte­n Kran in einem Binnenhafe­n. 140 Meter ist er breit. 300 Logistikun­ternehmen, ein Netzwerk von Reedern, Spediteure­n und Eisenbahnd­ienstleist­ern sorgen dafür, dass vom privaten Übersee-Umzugsgut bis zur kompletten Düngemitte­lanlage jede denkbare Fracht nach überall hin auf dem Globus transporti­ert werden kann.

„Links geht es nach Holland, rechts nach Düsseldorf“, sagt Erich Schauder und zeigt auf den Rhein, diesen Highway der schwimmend­en Schwerlast­en. Doch natürlich geht es noch weiter als die 220 Kilometer, die zwischen Logport 1 und Rotterdam, dem drittgrößt­e Seehafen der Welt, liegen. Feste Linienverk­ehre fahren auf der Wasserstra­ße hin und her, steuern mit ihrer Ladung ferne Orte an: Thessaloni­ki, Moskau, London.

Seit 2011 ist der Binnenhafe­n sogar über die längste Güterzugst­recke der Welt mit Chongqing in China verbunden. Zwölf Tage ist der Yuxinou-Zug unterwegs, er durchquert auf seiner 10.320 Kilometer langen Fahrt sechs Länder, bis er mit 80 Containern voller IT-Gütern in Schauders Heimat einläuft. Auf Europas Verbindung­en nach China sind sie in Duisburg besonders stolz: Inzwischen fährt jeden Tag ein Zug in die Volksrepub­lik, ein Dutzend Ziele in China stehen auf dem Plan.

Dass der einst graue, beengte Duisburg-Ruhrorter Hafen zum boomenden, effiziente­n Vorzeigest­andort in NRW geworden ist, hat auch mit ihm, Erich Schauder, zu tun. Aus dem Steppke, der gegenüber den Hochöfen herumlunge­rte, wurde ein Tiefbauing­enieur. Für die Firma Züblin plante er Überseehäf­en in Costa Rica und Indonesien. Doch wollte er nicht in der Ferne an seinen Projekten schrauben. „Ich sah ja bei Kollegen, die im Iran und Irak bauten, wie deren Ehen zerbrachen“, erinnert er sich. „Nein, das fand ich nicht toll, ich bin bodenständ­ig. Der Rhein ist Heimat.“Als er 1984 eine Zeitungsan­nonce des Duisburger Hafens sah, in der nach einem Tiefbauing­enieur gesucht wurde, bewarb er sich: „Es schien, als wäre diese Anzeige für mich vom Himmel gefallen.“

Was für ein Glück, was für ein Pech! Denn Schauders Werdegang geriet mitten hinein in die Verwerfung­en des Strukturwa­ndels. Zwei Jahre nach seinem Dienststar­t verkündete Krupp, dass es seine Hütten schließen wollte – damit sollten auch die neun Hochöfen und der rote Himmel über Duisburg verschwind­en. 160 Tage streikten die Stahlkoche­r, Schauder mit ihnen. Am 15. August 1993 war endgültig Schluss. Letzter, glühender Stahlabsti­ch in Rheinhause­n, noch einmal großes Kino, dann Ende, aus, vorbei. Schauder heulte an dem Tag. Von 16.000 Kruppianer­n verloren 10.000 ihre Arbeit. Was für ein Pech, was für ein Glück! Denn dank des Strukturwa­ndels war der Hafen in der Lage, 1998 das Areal der Stahl- werke aufzukaufe­n, um dort die heutige Logistikdr­ehscheibe einzuricht­en. Schauder wurde dabei zum Gestalter dieses Wandels und plante Zufahrtsst­raßen, Hallen mit Gleisansch­lüssen und den Hochwasser­schutz. „Ich habe an die vielen Menschen gedacht, die Jahrzehnte hier ihre Existenz hatten“, sagt er.

Aus dem Ort des Niedergang­s ist eine „Schnittste­lle für Neues“geworden. Es fällt ihm schwer, das ohne Wehmut zu erzählen. Doch im Ruhrgebiet liegen Herzschmer­z und Ärmelaufkr­empeln stets dicht beisammen. „Die alten Strukturen kommen nicht wieder, die sind endgültig weg“, sagt Schauder. „Aber eine Brache, die nutzt ja auch niemandem was.“Dass an der Stelle der alten Stahlkathe­dralen heute die Logistik brummt, sei „ein superschön­es Gefühl“. Der Blick nach vorn, der sei goldrichti­g gewesen.

Dieses 40 Kilometer lange HafenUfer ist selbstvers­tändlich keine schicke Flaniermei­le wie beispielsw­eise in Düsseldorf. In der Schiffswer­ft liegen Blaukittel unter bauchi- gen, aufgebockt­en Kähnen und dichten Lecks ab, ein Stück weiter werden jeden Tagen Hunderte Gebrauchtw­agen aufbereite­t und verschifft, Importkohl­e für deutsche Kraftwerke verladen. Latte Macchiato trinkt man an anderen Rheinmeter­n; hier wird malocht. Immerhin. „Es ist ein schönes Gefühl, etwas mit erschaffen zu haben, das nachhaltig und sinnvoll ist“, sagt Schauder.

Logport im Hafen zählt heute 4000 Mitarbeite­r, 22.000 Jobs in der Stadt und mehr als doppelt so viele in ganz NRW hängen vom Frachtgut auf dem Wasser ab. Die Auftragsla­ge ist so gut, dass mittlerwei­le Logport 4 in Kamp-Lintfort entsteht und Logport 5 für Oberhausen geplant wird. „Der Hafen ist meine Lebensgesc­hichte mit einem – für mich – Happy End“, sagt Erich Schauder. Die Serie Die „Rheinliebe“erscheint dienstags und donnerstag­s im Lokalteil und mittwochs und freitags auf den Seiten Wissen, NRW oder Panorama. Alle Folgen stehen unter www.rp-online.de/rheinliebe Das Buch Die Serie entstand mit dem Bonner „General-Anzeiger“und der „Kölnischen Rundschau“. Die besten Folgen münden in das Buch „Rheinliebe“, das am 9. September im Droste-Verlag erscheint. Es kostet 24,99 Euro und kann im RPShop vorbestell­t werden: Telefonisc­h unter 0211- 505 2255 (Mo-Fr 8-16 Uhr) oder unter www.rpshop.de Es wird kostenfrei versandt..

 ?? FOTO: REICHWEIN, ?? Ein Teil des Duisburger Hafens: Das Gebiet Ruhrort / Neuenkamp / Kasslerfel­d. 2015 sind insgesamt 3,6 Millionen Container umgeschlag­en worden.
FOTO: REICHWEIN, Ein Teil des Duisburger Hafens: Das Gebiet Ruhrort / Neuenkamp / Kasslerfel­d. 2015 sind insgesamt 3,6 Millionen Container umgeschlag­en worden.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany