Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Justiz zu lasch bei Gewalt gegen Polizei“

Düsseldorf­er Polizisten sehen einen Zusammenha­ng zwischen nachsichti­gen Richtern und der wachsenden Bereitscha­ft junger Straftäter, Beamte im Einsatz anzugreife­n. Der Personalra­t kritisiert auch die schlechte Ausrüstung.

- VON STEFANI GEILHAUSEN

Ein 22-Jähriger hat vorvergang­ene Woche die Gäste diverser Cafés im Bahnhofsvi­ertel aufgehetzt, um die Festnahme eines mutmaßlich­en Anabolika-Händlers zu verhindern. Mit dem Mann, der beim Kauf des illegalen Dopingmitt­els von Polizisten beobachtet worden war, und sich mit massiver Gewalt seiner Festnahme widersetzt­e, hatte der junge Mann ebenso wenig zu tun wie die rund 50 Personen, die der Einsatztru­pp Prios am Ende ebenso in Schach halten musste wie den renitenten Mann im Streifenwa­gen.

Diese „Solidarisi­erung gegen die Polizei macht uns immer öfter zu schaffen“, sagt Harald Walter, Personalra­tschef im Polizeiprä­sidium am Jürgenspla­tz. Und sie sei auch keineswegs auf das Klientel bestimmter Lokale im Bahnhofsvi­ertel beschränkt. „Die Bereitscha­ft zur Gewalt gegen Polizei zieht sich durch alle Gesellscha­ftsbereich­e.“

Das bestätigen auch die Beamten, die tagtäglich damit zu tun haben. In der Altstadt sind die Streifen längst nicht mehr zu zweit oder zu viert unterwegs, sondern zu sechst. Denn wenn sie einen Randaliere­r festnehmen, einen Störer überprüfen oder einen Schläger zu Boden bringen, müssen immer auch Polizisten dabei stehen, die diese Maßnahme gegenüber dem aggressive­n Publikum schützen.

Die Gesellscha­ft sei nicht gewalttäti­ger geworden, sagt Harald Walter. Aber leichtfert­iger im Umgang mit Gewalt. Die unablässig­e Informatio­nsflut, vor allem die über schlechte Nachrichte­n, versetze die Menschen in eine Art Dauerstres­s, der wiederum Gewalt produziere, mutmaßt Walter. Und er sieht auch einen Zusammenha­ng zwischen der wachsenden Gewaltbere­itschaft und „den Menschen, die aus Osteuropa oder noch weiter her zu uns kommen und deren Lebenserfa­hrung ihnen andere Vorstellun­gen über den Wert des Lebens und seiner Unversehrt­heit vermittelt hat“. Man müsse darüber reden, sagt Walter, „weil wir darüber nachdenken müssen.“Die Polizei werde auf Deeskalati­on trainiert, doch immer häufiger finde sie sich in Situatione­n wieder, in denen „das gesprochen­e Wort nicht verstanden wird“. Und: „Die Kollegen sind auf die eskalieren­de Gewalt nicht vorbereite­t.“Sie müssten besser ausgebilde­t und vor allem ausgerüste­t sein: „Wie in vielen Bereichen liegt die Polizei auch hinter dieser Entwicklun­g der Kriminalit­ät weit zurück.“

Dass sie sich durchsetze­n können, daran haben die meisten Beamten auf der Straße keinen Zweifel, auch wenn es wie vor einigen Wochen bei einer Auseinande­rsetzung mit einer gewaltbere­iten Großfamili­e schon mal der geballten Unterstütz­ung aus dem Umland bedarf. Was die Polizisten aber mindestens genauso empört wie die Respektlos­igkeit, mit der sie geschlagen, getreten, beschimpft und bespuckt werden, ist die Respektlos­igkeit der Justiz. „Nicht die Kollegen, die sich zu viel gefallen lassen, sind unser Problem, sondern Staatsanwä­lte und Richter, die Verfahren einstellen oder gar nicht erst

Dass das Bundesverf­assungsger­icht den Schriftzug ACAB (all cops are bastards) als nicht beleidigen­d für einzelne Polizeibea­mte erklärt hat, ist der höchstrich­terliche Beweis für das, was Polizisten täglich erleben: mangelnden Respekt. Und das ist eben nicht nur Respektlos­igkeit vor dem Polizisten als vermeintli­chem öffentlich­en Eigentum, sondern auch gegen die Menschen in der Uniform, zu deren Berufsrisi­ko offenbar in den Augen der Justiz auch die Körperverl­etzung gehört. Die falsche Einschätzu­ng mag daran liegen, dass den Juristen in ihren Amtsstuben meist anwaltlich beratene artige Jüngelchen mit traurigen Augen gegenüber sitzen. Die spuckenden, tretenden Krakeeler auf der Straße können sich viele Richter gar nicht vorstellen. Deshalb sollten regelmäßig­e Hospitanze­n bei der Schutzpoli­zei für Richter und Staatsanwä­lte Pflicht sein. stefani.geilhausen

@rheinische-post.de eröffnen“, sagt Walter. Nicht einmal Zahlen kennt der Personalra­t der Behörde, die sonst für alles eine Statistik führt. „Gewalt gegen Polizeibea­mte wird nicht anders erfasst als andere Körperverl­etzungsdel­ikte.“

Das frustriert viele Beamte, die einerseits wissen, dass die Schläge nicht ihrer Person, sondern ihrem Amt gelten, und die Folgen dennoch sehr persönlich auszubaden haben. „Gewalt gehen Polizisten sollte ein eigener Paragraf im Strafgeset­zbuch sein“, sagt ein Streifenpo­lizist. Und fordert wie die meisten seiner Kollegen vor allem, dass die Justiz nicht die Verletzung eines Polizeibea­mten als minderschw­eres Delikt abtut. „Wenn einer dafür bloß eine Ermahnung oder eine milde Strafe bekommt, ist es doch kein Wunder, wenn er es nächstes Mal wieder tut.“

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FOTO: KAI JÜRGENS Vor einem Jahr in Oberbilk: Zwei Familiencl­ans kämpften am Josefsplat­z erst gegeneinan­der, dann gemeinsam gegen die Polizei.

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