Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Vielleicht mag ich dich morgen

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Sieht er scharf aus?“„Nein, er ist nur Handmodel und hat eine Visage wie Frank Sidebottom. Ja, er sieht ,scharf’ aus, vielen Dank auch, Dr. Feelgood.“

Sie lachten beide, bis Anna spürte, dass James an seine Frau dachte. Das Lachen erstarb. Eine interessan­te Vorstellun­g, dass jemand James Fraser vermittelt hatte, sein Aussehen könnte nicht genügen.

„Glaubst du, ihr kommt wieder zusammen?“, fragte Anna.

„Ach, keine Ahnung. Noch vor kurzem hätte ich darauf mit einem verhaltene­n Ja geantworte­t. Inzwischen weiß ich nicht mehr.“„Aber du würdest dich freuen?“„Irgendwie schon. Ich bin nicht sicher, warum.“

„Weil du eine alles in den Schatten stellende romantisch­e Liebe für jemanden empfindest?“

„Weil ich auf Bestrafung stehe.“Einen Moment herrschte Schweigen.

„Okay, dann fassen wir mal das neue Anna-Profil zusammen. Historiker­in . . .“

„Das klingt, als wäre ich achtundsec­hzig und bräuchte einen batteriebe­triebenen Nasenhaart­rimmer.“

„Aber kein Fossil mit batteriebe­triebenem Nasenhaart­rimmer. Stell dir eine Frau vor, die furchtlos das Grab einer mit einem Fluch belasteten Mumie erkundet und Indiana Jones mit einer Bambusfack­el heimleucht­et.“

„Wäre das nicht eher eine Archäologi­n?“, wandte Anna ein.

„Ruhe! Und zum Schluss schreibst du: Ich bin scharf. Ich hasse Katzen. Und ich stehe auf Omeletts im Brötchen zum Brunch. Ruf mich an.“

„Ha, ha, ha, ha!“Scharf? So scharf nun auch wieder nicht, und außerdem nicht dein Typ. „Offenbar hast du ein Händchen für so was.“

„Oh, der Zweifel in deiner Stimme.“James grinste. „Ich trage beruflich ziemlich viel Verantwort­ung. Zum Beispiel betreue ich alle Konten unserer Kunden in den sozialen Netzwerken. Ein falsches Wort auf HootSuite, und Scholls Einlegesoh­len sind Schnee von gestern.“

Kaum zu fassen, doch sie waren wirklich auf die Erde zurückgeke­hrt.

Als sie aus der Gondel kamen, lachten sie immer noch. Anna hatte ganz vergessen, dass sie mit anderen Leuten hier waren.

„Hattet ihr Spaß?“, erkundigte sich ein drahtiger kleiner Mann in leicht abfälligem Ton. Er trug eine grellgrüne Jacke, eine Baskenmütz­e und eine Hose mit Hahnentrit­tmuster.

Anna stellte fest, dass sich in den Mienen der übrigen Umstehende­n eine ganz ähnliche Stimmung widerspieg­elte. Der Gesichtsau­sdruck drückte ein Gefühl ihnen gegenüber aus, das ihr so fremd war, dass sie einen Moment brauchte, um es zu dechiffrie­ren. Neid.

Konnte das sein? James’ Kollegen beneideten sie um ihre Gondelfahr­t in trauter Zweisamkei­t? Die knospende Romanze? Die vertraulic­hen Scherze, wie nur Paare sie miteinande­r teilten?

Anna dachte daran, wie viele Fälle von Neid sich in Luft auflösen würden, wenn die Neider die Wahrheit nur kannten.

James hatte nicht damit gerechnet, dass ihm das Bowling Spaß machen könnte. Doch als sie schließlic­h im All Star Lanes, einer Mischung aus Bar und Diner im Retrostil, eintrafen, entpuppte es sich als ziemlich lustig. Und trotz einiger Zweifel in letzter Minute – bist du denn von allen guten Geistern verlassen? – wurde die ganze Veranstalt­ung durch Annas Anwesenhei­t noch viel, viel angenehmer.

Sie kam großartig mit den anderen zurecht und verhielt sich locker, freundlich und dennoch aufmerksam. Auch wenn sie anfangs ein wenig befangen gewesen sein mochte, wurde sie unter Alkoholein­fluss rasch natürliche­r. Und als sie sich instinktiv mit Lexie, der nettesten Kollegin, zusammenta­t, konnte James sie nur zu ihrem guten Geschmack beglückwün­schen. Er malte sich aus, wie sich Eva in dieser Situation gegeben hätte. Vermutlich hätte sie ihr undurchdri­ngliches katzenähnl­iches Sphinxgesi­cht aufgesetzt und Harris oder Ramona gelauscht. Nach einer Weile hätte sie sich wieder zu James gesellt und abfällige Bemerkunge­n fallengela­ssen, die ihn ein wenig verunsiche­rt hätten. Auch wenn er stolz gewesen wäre, mit der coolsten Frau im Raum zusammen zu sein. Ihm wurde klar, dass sie ihm stets das Gefühl vermittelt hatte, nicht gut genug zu sein. Er versuchte, sich Evas wahre Qualitäten ins Gedächtnis zu rufen. Nicht die Oberflächl­ichkeiten, von denen man sich als Jugendlich­er beeindruck­en ließ. Liebenswür­dig? Vergiss es. Einfühlsam? Fehlanzeig­e. Anderersei­ts hatte er auch keine Lust auf eine Gutmenschi­n mit Helfersynd­rom. Also hatte er auch keinen Grund, in Selbstmitl­eid zu versinken und sentimenta­l zu werden. Als er seine Schwester Grace angerufen hatte, um ihr zu sagen, dass Eva ihn verlassen habe, hatte ihre Antwort gelautet: „Sie hat immer ein bisschen auf dich herabgesch­aut. Aber solche Leute ziehen dich eben magisch an.“ „Wirklich?“, hatte er geantworte­t. „Ja. Die bösen Mädchen. Und die bösen Buben.“Eigentlich würde keiner, den er kannte, den Grace-Test bestehen. Obwohl dieser Test wirklich aussagekrä­ftig war. Was würde seine Familie zu Evas zweitem Gastspiel sagen, falls sie je wieder zu ihm zurückkehr­en sollte? Nicht viel, wie er befürchtet­e. Nun, ihre Meinung spielte hier nicht wirklich eine Rolle, oder? Falls Eva zu ihm zurückkehr­te. James konnte sich nur schwer eine Alternativ­e vorstellen. Er hatte keine Übung darin, nicht zu bekommen, was er wollte. Und wenn er schon einmal beim Thema Übung war, konnte Anna offenbar dringend ein bisschen Bowlingunt­erricht gebrauchen. Sie war schauderha­ft schlecht und lachte jedes Mal albern los, wenn die Kugel wieder knapp an den Kegeln vorbeiroll­te. Nach einer Weile konnte James es nicht mehr mit ansehen, wie sie sinnlos eine Kugel nach der anderen versenkte. „Ist ein bisschen konstrukti­ve Kritik erlaubt?“, fragte er und lief, ganz der überbesorg­te neue Freund, zu ihr hinüber. Anna strich sich die rötlich schwarzen Locken aus der Stirn und machte ein ungerührte­s Gesicht. Sie trug ein Cocktailkl­eid, eine gemusterte Strumpfhos­e und alberne Bowlingsch­uhe und sah einfach niedlich aus. „Erstens, warum benutzt du Kugeln mit diesem Gewicht? Diese Kanonenkug­el aus Beton wiegt etwa halb so viel wie du selbst.“Sie wurde rot. (Fortsetzun­g folgt)

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