Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

NRW-Frauenförd­erung wackelt

Die Gewerkscha­ften der Polizei und der Finanzbeam­ten rechnen mit Hunderten von Klagen gegen die Frauenquot­e. Neben der Opposition wollen auch SPD-Fachpoliti­ker eine Änderung der Vorschrift­en.

- VON THOMAS REISENER

DÜSSELDORF Die rot-grüne Landesregi­erung in NRW hat den Widerstand gegen die verschärft­e Frauenförd­erung in der Verwaltung des Landes offenbar unterschät­zt. Im Umfeld der Staatskanz­lei heißt es, Juristen prüften bereits Szenarien für den Fall, dass ein Verfassung­surteil die Vorgaben wieder kippt. Auch führende Sozialdemo­kraten distanzier­en sich von der Reform.

Das neue Dienstrech­t trat Anfang Juli in Kraft. Seither werden Frauen in den Ministerie­n und der Verwaltung des Landes auch dann bevorzugt befördert, wenn sie innerhalb einer vorgegeben­en Bandbreite schlechter qualifizie­rt sind als Männer. Bis dahin wurden Männer lediglich bei gleicher Qualifikat­ion nicht berücksich­tigt.

Wissenscha­ftler, die Gewerkscha­ften der Polizei und der Finanzbeam­ten rechnen mit Hunderten von Männer-Klagen gegen die Reform. „Die Rechtsbera­tungen der Gewerkscha­ften laufen sich gerade warm“, sagte der Chef der Deutschen Steuergewe­rkschaft, Thomas Eigenthale­r. „Ich habe in einem Ge- spräch mit Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft vergeblich um eine Verschiebu­ng der Reform gebeten“, sagte Polizeigew­erkschafte­r Arnold Plickert.

FDP und CDU halten die systematis­che Benachteil­igung von Männern in diesem Umfang für verfassung­swidrig. FDP-Fraktionsv­ize Ralf Witzel forderte die CDU im Landtag auf, sich einer Verfassung­sklage gegen die Reform anzuschlie­ßen. Die CDU will aber noch die ersten Urteile der privaten Klagewelle abwarten. „Wir klagen nur vor dem Verfassung­sgericht, wenn wir wissen, dass wir auch gewinnen“, sagt der personalpo­litische Sprecher der Union im Landtag, Werner Lohn.

Stefan Huster, Verfassung­srechtler an der Ruhr-Universitä­t Bochum, sieht „ein hohes verfassung­srechtlich­es Risiko in der Dienstrech­tsreform“. Auch er geht von vielen Klagen aus: „Für die Benachteil­igten geht es um viel Geld. Und Beamte riskieren bei einer Klage gegen ihren Dienstherr­n nicht viel.“

Zweifel an dem neuen Dienstrech­t hat nicht nur die Opposition. Selbst der kommunalpo­litische Sprecher der SPD, Christian Dahm, kommt nach einer „Vielzahl von Gesprächen mit persönlich Betroffene­n“zu dem Ergebnis, dass die Reform „zu erhebliche­n Verwerfung­en und Ungerechti­gkeiten führen könnte“. In einer gemeinsame­n Erklärung mit seinen Fraktionsk­ollegen Dennis Maelzer und Ernst-Wilhelm Rahe begründete­n die Sozialdemo­kraten ihre Ablehnung: „Gleichstel­lung darf nicht zu einer Benachteil­igung des anderen Ge- schlechts führen.“Einzelne männliche Bewerber würden „unverhältn­ismäßig lange auf Beförderun­gen warten müssen oder nicht mehr befördert werden können“.

Öffentlich­e Kritik von Beamten an ihrem Dienstherr­n ist äußerst selten. Umso erstaunlic­her, dass erste Frauen aus dem Beamtenapp­arat gegen die Frauenförd­erung wettern. Ludgera Hoppmann, Kriminalko­mmissarin und seit 40 Jahren bei der Polizei in NRW, sagte: „Auch Kolleginne­n, die sich vor den neuen Regelungen für Beförderun­gen qualifizie­rt haben, fühlen sich diskrimini­ert.“Sie wollten nicht mit schlechter qualifizie­rten Kolleginne­n in einen Topf geworfen werden. Der Frust über das neue Dienstrech­t sei bei den männlichen Polizisten im Alltag deutlich zu sehen.

Die neuen Vorgaben treffen besonders das Finanz- und das Innenminis­terium, weil viele Führungspo­sitionen zu besetzen sind. Ein Sprecher des Innenresso­rts verteidigt­e die Reform: „Frauen besetzen bei der Polizei acht Prozent der Führungsjo­bs.“Der Anteil der Frauen im Polizeidie­nst beträgt 22 Prozent.

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