Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Ankaras Einfluss auf unsere Schulen
DÜSSELDORF Fast zweieinhalbtausend Kilometer Luftlinie sind es von Düsseldorf bis Ankara. Weit weg – scheinbar. Wenn es aber um die Schulen in NRW geht, ist Ankara plötzlich ganz nah: Das „Präsidium für religiöse Angelegenheiten“, türkisch kurz Diyanet, untersteht dem Ministerpräsidenten. Zur Diyanet gehört die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib) mit Sitz in Köln. Sie ist nicht nur Dachverband von etwa 900 Moscheegemeinden, sondern auch einer von vier Partnerverbänden des Landes für den islamischen Religionsunterricht.
Und da wird die Sache brisant. Denn je rabiater Präsident Recep Tayyip Erdogan nach dem gescheiterten Putsch gegen seine Gegner wütet, desto kräftiger schlagen die Erschütterungen bis in die Klassenzimmer an Rhein und Ruhr durch. FDP-Chef Christian Lindner fordert die Landesregierung ultimativ auf, ihr Verhältnis zur Ditib zu klären; Oppositionsführer Armin Laschet (CDU) glaubt nicht, dass die Ditib in der jetzigen Form ein Partner sein kann. Der Konsens von 2011, als RotGrün und CDU den Islam-Unterricht in NRW auf den Weg brachten, bröckelt.
Und das sind nur die gemäßigten Stimmen. Zu hören ist auch, die Ditib sei Ankaras fünfte Kolonne; im IslamUnterricht würden Kinder im Sinne Erdogans indoktriniert, ja radikalisiert und gingen für die Demokratie verloren.
Bei allen Problemen – das ist überzogen. Schon deshalb, weil der Islam-Unterricht in Nordrhein-Westfalen keine Ditib-Veranstaltung ist. NRW hat als einziges Bundesland die Konstruktion eines Beirats gewählt. Er ist der Partner der Landesregierung bei der Aufsicht über den Unterricht, weil und solange die Islamverbände (darunter die Ditib) keine öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften wie die christlichen Kirchen sind. Nur einen der acht Sitze im Beirat besetzt die Ditib; vier (muslimische) Mitglieder sind vom Schulmi- nisterium nominiert, je eins vom Islamrat, dem Zentralrat der Muslime und dem Verband der Islamischen Kulturzentren. Vier Mitglieder sind Frauen. Der Beirat wirkt an den Lehrplänen mit – so legt es das Grundgesetz für Religionsunterricht fest – und erteilt Lehrerlaubnisse, auch an liberale Theologen, etwa die Dinslakenerin Lamya Kaddor.
Keine systematische Blockade also. Die wäre freilich auch ein Grund für das Land, die Zusammenarbeit sofort zu beenden. Die Probleme sind allerdings nicht zu übersehen: Die Organisationen im Beirat vertreten einen konservativen Islam; insgesamt sprechen die vier Verbände selbst nach eigener Auffassung für kaum zehn Prozent der Muslime in Deutschland.
Größte Baustelle ist aber (nicht erst seit dem Putsch) die Bindung der Ditib an die Türkei. Dass ausgerechnet die Ditib zum Problem beim Islam-Unterricht wird, entbehrt nicht einer gewissen Ironie – weil sie Ankara im Rücken hat, galt sie über Jahre als besonders verlässlicher Ansprechpartner. Wenn sich allerdings die Schutzmacht von rechtsstaatlichen Grundsätzen verabschiedet, ändert das die Lage.
Auch wenn die Reseven also berechtigt sind – die Ditib reagiert vergrätzt. Gemeinden und Mitglieder würden als „fremdstaatliche Gefährder“abgestempelt, beklagen die Ditib-Landesverbände gemeinsam und schimpfen: „Eine solche Stigmatisierung kennt man sonst nur von rechtsextremen Gruppierungen.“„Unterstellungen der Fremdsteuerung“weise man scharf zurück.
Die ganze Konstruktion des IslamUnterrichts in NRW steht also gehörig unter Spannung. So sehr, dass man an einigen Ecken gehörig biegen muss, damit die Einzelteile zusammenpassen. Im Gesetz von 2011 heißt es, die Organisationen, mit denen das Land beim Islam-Unterricht kooperiere, müssten „bei der Zusammenarbeit staatsunabhängig sein“– für die Ditib dürfte der Zusatz „bei der Zusammenarbeit“entscheidend sein. FDP-Chef Lindner Die Ditib-Landesverbände nennt es „essenziell, dass ein auch nur mittelbarer Einfluss des türkischen Staates auf unsere Schulen ausgeschlossen wird“. Löhrmann antwortet: „Es gibt keinen unmittelbaren Einfluss auf unseren Religionsunterricht aus der Türkei. Die Lehrpläne erlässt das Land – das sollte auch Herr Lindner wissen.“
Wohlgemerkt: keinen unmittelbaren Einfluss. Allgemein zur Rolle der Ditib will sich Löhrmann nicht äußern, legt aber Wert darauf, NRW habe nie in der Türkei ausgebildete Lehrer eingestellt. Die Linie dahinter ist klar: Löhrmann nimmt die Spannungen in Kauf, um den Ausbau des Islam-Unterrichts nicht zu gefährden. In einem Punkt ist ihr tatsächlich schwer zu widersprechen – Islam-Unterricht im Lichte der Öffentlichkeit, unter staatlicher Aufsicht, nach Ausbildung in Deutschland ist zweifellos besser als Unterweisung durch womöglich radikale Einflüsterer in Hinterhofmoscheen. Die Arbeit des Beirats fußt auf Konsens und breiten Mehrheiten; ein Eklat mit der Ditib könnte das ganze Modell zusammenbrechen lassen, wenn die dringend benötigten neuen Lehrer fehlen.
Auf Dauer aber, da legt Laschet den Finger in die Wunde, birgt dieses Modell massiven Konfliktstoff. Der Beirat versteht sich als Übergangslösung, solange keine öffentlich-rechtliche islamische Religionsgemeinschaft vom Land anerkannt ist. Das Beirats-Gesetz gilt bis 2019. Bis dahin müsste die Anerkennung über die Bühne sein; das Verfahren ist recht weit gediehen.
Bloß: Damit würde die Landesregierung ein Problem gegen ein noch größeres tauschen. Die Verbände des Beirats, also auch die von Ankara abhängige Ditib, als öffentlich-rechtliche Körperschaft in Deutschland? Das mag juristisch und religionswissenschaftlich vorstellbar sein – im Sommer der türkischen „Säuberungen“ist es politisch abwegig. Nebenbei macht der Gedanke auch den Grünen heftiges Unbehagen.
Eine Trennung der Ditib von Ankara erscheint ebenso wenig realistisch. Das Provisorium Beirat könnte sich deshalb als langlebiger erweisen als gedacht. Das Konfliktpotenzial auch.
„Eine solche Stigmatisierung kennt man nur von Rechtsextremen“ zu Vorwürfen der Abhängigkeit