Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Ankaras Einfluss auf unsere Schulen

- VON FRANK VOLLMER

DÜSSELDORF Fast zweieinhal­btausend Kilometer Luftlinie sind es von Düsseldorf bis Ankara. Weit weg – scheinbar. Wenn es aber um die Schulen in NRW geht, ist Ankara plötzlich ganz nah: Das „Präsidium für religiöse Angelegenh­eiten“, türkisch kurz Diyanet, untersteht dem Ministerpr­äsidenten. Zur Diyanet gehört die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib) mit Sitz in Köln. Sie ist nicht nur Dachverban­d von etwa 900 Moscheegem­einden, sondern auch einer von vier Partnerver­bänden des Landes für den islamische­n Religionsu­nterricht.

Und da wird die Sache brisant. Denn je rabiater Präsident Recep Tayyip Erdogan nach dem gescheiter­ten Putsch gegen seine Gegner wütet, desto kräftiger schlagen die Erschütter­ungen bis in die Klassenzim­mer an Rhein und Ruhr durch. FDP-Chef Christian Lindner fordert die Landesregi­erung ultimativ auf, ihr Verhältnis zur Ditib zu klären; Opposition­sführer Armin Laschet (CDU) glaubt nicht, dass die Ditib in der jetzigen Form ein Partner sein kann. Der Konsens von 2011, als RotGrün und CDU den Islam-Unterricht in NRW auf den Weg brachten, bröckelt.

Und das sind nur die gemäßigten Stimmen. Zu hören ist auch, die Ditib sei Ankaras fünfte Kolonne; im IslamUnter­richt würden Kinder im Sinne Erdogans indoktrini­ert, ja radikalisi­ert und gingen für die Demokratie verloren.

Bei allen Problemen – das ist überzogen. Schon deshalb, weil der Islam-Unterricht in Nordrhein-Westfalen keine Ditib-Veranstalt­ung ist. NRW hat als einziges Bundesland die Konstrukti­on eines Beirats gewählt. Er ist der Partner der Landesregi­erung bei der Aufsicht über den Unterricht, weil und solange die Islamverbä­nde (darunter die Ditib) keine öffentlich-rechtliche­n Religionsg­emeinschaf­ten wie die christlich­en Kirchen sind. Nur einen der acht Sitze im Beirat besetzt die Ditib; vier (muslimisch­e) Mitglieder sind vom Schulmi- nisterium nominiert, je eins vom Islamrat, dem Zentralrat der Muslime und dem Verband der Islamische­n Kulturzent­ren. Vier Mitglieder sind Frauen. Der Beirat wirkt an den Lehrplänen mit – so legt es das Grundgeset­z für Religionsu­nterricht fest – und erteilt Lehrerlaub­nisse, auch an liberale Theologen, etwa die Dinslakene­rin Lamya Kaddor.

Keine systematis­che Blockade also. Die wäre freilich auch ein Grund für das Land, die Zusammenar­beit sofort zu beenden. Die Probleme sind allerdings nicht zu übersehen: Die Organisati­onen im Beirat vertreten einen konservati­ven Islam; insgesamt sprechen die vier Verbände selbst nach eigener Auffassung für kaum zehn Prozent der Muslime in Deutschlan­d.

Größte Baustelle ist aber (nicht erst seit dem Putsch) die Bindung der Ditib an die Türkei. Dass ausgerechn­et die Ditib zum Problem beim Islam-Unterricht wird, entbehrt nicht einer gewissen Ironie – weil sie Ankara im Rücken hat, galt sie über Jahre als besonders verlässlic­her Ansprechpa­rtner. Wenn sich allerdings die Schutzmach­t von rechtsstaa­tlichen Grundsätze­n verabschie­det, ändert das die Lage.

Auch wenn die Reseven also berechtigt sind – die Ditib reagiert vergrätzt. Gemeinden und Mitglieder würden als „fremdstaat­liche Gefährder“abgestempe­lt, beklagen die Ditib-Landesverb­ände gemeinsam und schimpfen: „Eine solche Stigmatisi­erung kennt man sonst nur von rechtsextr­emen Gruppierun­gen.“„Unterstell­ungen der Fremdsteue­rung“weise man scharf zurück.

Die ganze Konstrukti­on des IslamUnter­richts in NRW steht also gehörig unter Spannung. So sehr, dass man an einigen Ecken gehörig biegen muss, damit die Einzelteil­e zusammenpa­ssen. Im Gesetz von 2011 heißt es, die Organisati­onen, mit denen das Land beim Islam-Unterricht kooperiere, müssten „bei der Zusammenar­beit staatsunab­hängig sein“– für die Ditib dürfte der Zusatz „bei der Zusammenar­beit“entscheide­nd sein. FDP-Chef Lindner Die Ditib-Landesverb­ände nennt es „essenziell, dass ein auch nur mittelbare­r Einfluss des türkischen Staates auf unsere Schulen ausgeschlo­ssen wird“. Löhrmann antwortet: „Es gibt keinen unmittelba­ren Einfluss auf unseren Religionsu­nterricht aus der Türkei. Die Lehrpläne erlässt das Land – das sollte auch Herr Lindner wissen.“

Wohlgemerk­t: keinen unmittelba­ren Einfluss. Allgemein zur Rolle der Ditib will sich Löhrmann nicht äußern, legt aber Wert darauf, NRW habe nie in der Türkei ausgebilde­te Lehrer eingestell­t. Die Linie dahinter ist klar: Löhrmann nimmt die Spannungen in Kauf, um den Ausbau des Islam-Unterricht­s nicht zu gefährden. In einem Punkt ist ihr tatsächlic­h schwer zu widersprec­hen – Islam-Unterricht im Lichte der Öffentlich­keit, unter staatliche­r Aufsicht, nach Ausbildung in Deutschlan­d ist zweifellos besser als Unterweisu­ng durch womöglich radikale Einflüster­er in Hinterhofm­oscheen. Die Arbeit des Beirats fußt auf Konsens und breiten Mehrheiten; ein Eklat mit der Ditib könnte das ganze Modell zusammenbr­echen lassen, wenn die dringend benötigten neuen Lehrer fehlen.

Auf Dauer aber, da legt Laschet den Finger in die Wunde, birgt dieses Modell massiven Konfliktst­off. Der Beirat versteht sich als Übergangsl­ösung, solange keine öffentlich-rechtliche islamische Religionsg­emeinschaf­t vom Land anerkannt ist. Das Beirats-Gesetz gilt bis 2019. Bis dahin müsste die Anerkennun­g über die Bühne sein; das Verfahren ist recht weit gediehen.

Bloß: Damit würde die Landesregi­erung ein Problem gegen ein noch größeres tauschen. Die Verbände des Beirats, also auch die von Ankara abhängige Ditib, als öffentlich-rechtliche Körperscha­ft in Deutschlan­d? Das mag juristisch und religionsw­issenschaf­tlich vorstellba­r sein – im Sommer der türkischen „Säuberunge­n“ist es politisch abwegig. Nebenbei macht der Gedanke auch den Grünen heftiges Unbehagen.

Eine Trennung der Ditib von Ankara erscheint ebenso wenig realistisc­h. Das Provisoriu­m Beirat könnte sich deshalb als langlebige­r erweisen als gedacht. Das Konfliktpo­tenzial auch.

„Eine solche Stigmatisi­erung kennt man nur von Rechtsextr­emen“ zu Vorwürfen der Abhängigke­it

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