Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Der Widerstand gegen Trump wächst
Der Präsidentschaftskandidat der Republikaner muss mit Gegenwind aus den eigenen Reihen kämpfen. Aus Protest will außerdem der ehemalige CIA-Mitarbeiter Evan McMullin als Gegenkandidat antreten.
WASHINGTON So etwas hat es noch nie gegeben: 50 ehemalige Sicherheitspolitiker der Republikanischen Partei in den USA warnen die Amerikaner davor, den Präsidentschaftskandidaten ihrer eigenen Partei zu wählen. Gerade in einem Moment, in dem Donald Trump versucht, mit wirtschaftspolitischen Vorschlägen in den Umfragen aufzuholen, trifft ihn das Störfeuer seiner prominenten Parteifreunde.
In dem Brief, über den zuerst die „New York Times“berichtete, kritisieren die 50 Verfasser Trump heftig – als einen Milliardär, der nichts wisse über Außenpolitik und auch keinerlei Interesse zeige, etwas zu lernen. Ihm fehlten „Charakter, Werte und Erfahrung“für das Präsidentenamt. Die Unterzeichner werfen dem 70-Jährigen vor, er sei dünnhäutig, erratisch sowie „entweder unfähig oder nicht willens, Wahres von Falschem zu trennen“. Dies seien gefährliche Charakterzüge für einen Mann, der als Präsident die Entscheidungsgewalt über Atomwaffen hätte.
Unterschrieben wurde der Brief von zahlreichen Mitgliedern der Regierungen republikanischer Präsidenten der vergangenen Jahrzehnte. Zu den prominentesten TrumpGegnern gehören Michael Hayden, ein ehemaliger Chef der Geheimdienste CIA und NSA, der frühere Vize-Außenminister John Negroponte sowie der ehemalige Welt- bank-Präsident Robert Zoellick. Dass viele Mitglieder des republikanischen Establishments gegen Trump eingestellt sind, ist kein Geheimnis. Trump hatte sich am Tag vor Veröffentlichung des Briefes bemüht, mit einer wirtschaftspolitischen Grundsatzrede verlorenen Boden gutzumachen. Die Unterzeichner des Briefes haben ganz offenbar den Eindruck, sie müssten Trump stoppen, bevor es zu spät ist.
Die Retourkutsche ließ nicht lange auf sich warten – Donald Trump keilte zurück, in einem für seine Verhältnisse ungewohnt sarkastischen Ton. Er danke den Autoren, schrieb er in einem Statement. So wisse wenigstens jeder, wer die Schuld dafür trage, dass die Welt ein so gefährlicher Ort geworden sei. Bei den Leuten, die diesen Brief signiert hätten, sollten die Wähler einmal nachfragen, warum die Welt ins Chaos gerutscht sei. „Diese Insider haben – zusammen mit Hillary Clinton – die desaströse Entscheidung getroffen, im Irak einzumarschieren“, schob Trump hinterher. „Es sind diejenigen, die den Aufstieg der IS erst ermöglicht haben.“
Gewiss, mit der Erinnerung an das irakische Desaster trifft er einen wunden Punkt. Die meisten Unterzeichner hatten hohe Posten in der Regierung George W. Bushs inne, einige bekannten sich zur neokonservativen Denkschule, die am lautesten für die Invasion trommelte. Da ist Ex-Geheimdienstdirektor Michael Hayden. Da sind Tom Ridge und Michael Chertoff, zwei ehemalige Heimatschutzminister, da sind Negroponte und Eric Edelman, der eine ein Koordinator der Geheimdienste, der andere Sicherheitsberater des hartleibigen Vizepräsidenten Dick Cheney. Aber auch Zoellick hat unterschrieben, ein ehemaliger Weltbankdirektor, der nicht unbedingt im Verdacht steht, ein blindwütiger Interventionist zu sein.
Was die Brisanz des Briefes ausmacht, ist das vernichtende Urteil, das die Gruppe über die Persönlichkeitsstruktur Trumps fällt. Es ist eine Skizze, die sich nahezu deckt mit jener, wie sie die Demokraten neulich auf ihrem Wahlparteitag zeichneten. Der Egomane als Sicherheitsrisiko, das ist die Quintessenz – ausnahmsweise parteiübergreifend. Der Milliardär wäre der leichtsinnigste Präsident der amerikanischen Geschichte, hieß es. Donald J. Trump sei nicht in der Lage, die Wahrheit von Lügen zu unterscheiden, wettern die 50 Republikaner. Er könne sich nicht beherrschen, vertrage keine Kritik und habe selbst die engsten Verbündeten des Landes durch sein sprunghaftes Verhalten irritiert.
Selbst amtierende Mitglieder seiner Partei verweigern ihm die Unterstützung. So sagte die Senatorin von Maine, Susan Collins, dass sie bei der Wahl am 8. November nicht für Trump stimmen werde. Der Abgeordnete Scott Rigell aus Virginia erklärte gar, er wolle aus der republikanischen Partei austreten. Er kündigte an, statt Trump den Kandidaten der Libertarians, Gary Johnson, zu wählen.
Der Tycoon wird sich damit trösten, dass kein noch lebender Außenminister konservativer Administrationen seine Unterschrift unter das Schreiben gesetzt hat. Ob Henry Kissinger, George Shultz, James Baker, Colin Powell oder Condoleezza Rice: Sie alle halten sich einstweilen bedeckt. Kissinger und Baker, Symbolfiguren stocknüchterner Realpolitik, haben sich einmal sogar mit Trump zusammengesetzt, um ihm Nachhilfestunden zu geben. Zur Wahl empfehlen ihn beide nicht, zum offenen Bruch scheinen sie allerdings auch nicht bereit.
Dann ist da noch Evan McMullin, eine Art Kaninchen, das die parteiinternen Gegner des Baulöwen in letzter Minute aus dem Hut zaubern. Es riecht nach einem Akt der Verzweiflung: Der 40 Jahre alte ExGeheimdienstler, der sich plötzlich als Unabhängiger um die Präsidentschaft bewirbt, ist ein völlig unbeschriebenes Blatt, mit dem allenfalls Washington-Insider etwas anfangen können. Elf Jahre lang hat er für die CIA an Undercover-Operationen in Krisengebieten mitgewirkt, wie seine Kurzbiografie vermerkt, ohne Details zu nennen. Zuletzt arbeitete er für die republikanische Fraktion im Repräsentantenhaus. McMullin bekennt sich zum mormonischen Glauben, und um Utah, die Hochburg der Mormonen, geht es denn wohl auch bei seinem Vorstoß. Eigentlich gilt der Staat am Großen Salzsee mit seinem konservativen Milieu als sichere Bank für den Kandidaten der „Grand Old Party“, als eine der sichersten überhaupt zwischen Seattle und Miami. Sollte McMullin Trump dort das Wasser abgraben, könnte indes am 8. November ein Paukenschlag dröhnen – und Hillary Clinton in Utah die Wahl gewinnen.