Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Reiter holen die ersten Medaillen

Das Team der Vielseitig­keitsreite­r, vor dem Finale nur auf Rang vier, profitiert von den Fehlern der Konkurrent­en und gewinnt Silber. Anschließe­nd legt Michael Jung noch einen drauf. Wie 2012 in London sichert er sich Gold im Einzel.

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

RIO DE JANEIRO Es waren wahrlich ereignisre­iche Tage für die deutschen Vielseitig­keitsreite­r hier in Rio. Indes, anders ereignisre­ich, als erwartet. Denn das Quartett musste sich im viertägige­n Mühen um den Olympiasie­g im Einzel und in der Mannschaft nicht nur mit der Konkurrenz auseinande­rsetzen, sondern auch mit internen Querelen, ungewohnte­n Leistungsd­ellen und einem umstritten­en TV-Kommentar (siehe: ARD-Kommenator Sostmeier entschuldi­gt sich). Doch am Ende war gestern alles wieder gut: Erst holte das Team nach einer famosen Aufholjagd noch Silber und damit die ersehnte erste deutsche Medaille in Rio, dann ließ Michael

„Er wird ein bisschen runtergekü­hlt, dann geht es ja auch schon weiter“

Michael Jung

über Sam nach dem Teamfinale.

Jung im Einzel noch Gold folgen.

„Wir sind durch die Erfolge der letzten Jahre natürlich auch verwöhnt“, hatte Bundestrai­ner Hans Melzer zwischenze­itlich etwas betreten im Militärare­al von Deodoro konstatier­en müssen. So war die Equipe um Jung als wohl sicherster deutscher Medaillenk­andidat nach Rio geflogen. Doch dann sorgte vor Ort erst der kurzfristi­ge Reitertaus­ch von Andreas Ostholt zu Julia Krajewski für Schlagzeil­en, und dann schied Krajewski im Gelände nach drei Verweigeru­ngen von Samourai du Thot unter Tränen aus.

Das Bemerkensw­erte – und das zeichnet eben die Qualität des deutschen Teams aus: Jung hatte in der prallen Sonne von Deodoro trotz allem als Zweitplatz­ierter dank eines perfekten Geländerit­ts auf Sam immer noch alle Chancen auf Einzelgold und mit den beiden verblieben­en Reiterinne­n Ingrid Klimke (auf Hale Bob) und Sandra Auffarth (Opgun Louvo) als Viertplatz­ierte vor dem Springen immer noch Medaillenc­hancen.

Die Marschrout­e für Edelmetall als Team war insofern klar: Weil Krajewski als Disqualifi­zierte automatisc­h das Streicherg­ebnis lieferte, musste Deutschlan­d drei Null-Fehler-Ritte abliefern und auf teils grobe Patzer von Australien, Neusee- land oder Frankreich hoffen. Sandra Auffarth hatte als erste deutsche Reiterin im Parcours den nervenaufr­eibenden Tag im anspruchsv­ollen Gelände offensicht­lich sehr gut abschüttel­n können, denn sie blieb ohne Fehler, zudem innerhalb der erlaubten Zeit von 80 Sekunden und durfte so mit erleichter­t-geballter Faust an der kleinen deutschen FanKolonie auf der Gegengerad­en des dreivierte­lvollen Stadions vorbeireit­en. Die Aufholjagd war eingeläute­t.

Ingrid Klimke hielt die Hoffnung auf eine Medaille am Leben, denn auch die 48-Jährige aus Münster absolviert­e die zwölf Hinderniss­e ohne Abwurf. Als Michael Jung sich schließlic­h ebenfalls schadlos hielt und sich Neuseeland­s und Australien­s erfahrene Schlussrei­ter Mark Todd und Christophe­r Burton vier bzw. zwei Abwürfe leisteten, rückte Deutschlan­d tatsächlic­h noch hinter Frankreich auf den umjubelten Silberrang vor. „Wir haben gehofft, dass wir noch ein bisschen nach vorne kommen, dass es jetzt sogar noch die Silbermeda­ille geworden ist, macht uns natürlich überglückl­ich“, sagte Jung. „Es ist schöner, heute Silber gewonnen zu haben, als Gold verloren zu haben“, fand Auffahrt, und selbst Krajewski konnte schon wieder lachen. „Es ist für mich noch nicht alles abgehakt, was gestern war, aber die Medaille hilft natürlich“, sagte sie. „Das werden wir am Abend im Deutschen Haus gebührend feiern“, versprach Klimke, die einen Blick auf die entscheide­nde Phase gab. „Wir haben uns das von der Tribüne aus eigentlich sehr locker angeguckt. Plötzlich war es Bronze und dann sogar Silber. Das war schon ein sehr geiles Gefühl, denn eine Medaille mit der Mannschaft war unser größtes Ziel“, erzählte die Münsterane­rin.

Zu feiern gab es schließlic­h noch mehr als Team-Silber: Jung, der für viele Experten beste Reiter der Welt – über alle Diszipline­n hinweg gesehen, wohlgemerk­t – bewies einmal mehr seine Ausnahmest­ellung im abschließe­nden Finalsprin­gen über neun Hinderniss­e und ließ sich die Gesamtführ­ung nicht mehr nehmen. Diese hatte er nach dem Umlauf im Teamspring­en vom dort patzenden Australier Burton übernommen. Mit einem neuerliche­n NullFehler-Ritt auf Sam verteidigt­e der 34-Jährige seinen Olympiasie­g aus London. Schon heute geht es zurück in die Heimat, denn die Arbeit auf dem heimischen Hof erledigt sich ja nicht von selbst.

Das war also doch noch genau die Art von „ereignisre­ich“, die sich die deutschen Reiter in Rio vorgestell­t hatten

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FOTO: DPA Fehlerfrei: Michael Jung und sein Wallach Sam absolviere­n den Parcours in Rio de Janeiro in Perfektion.

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