Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Der Zirkus ist in der Stadt

Die US-Basketball­er nehmen nur auf den ersten Blick an den Spielen in Rio teil. Eigentlich halten sie Hof.

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

RIO DE JANEIRO Als die Chefin der australisc­hen Olympiaman­nschaft wenige Tage vor Beginn der Spiele medienwirk­sam aufgeschri­en hatte, wie miserabel die Zustände in den Appartemen­ts im Olympische­n Dorf seien, dürfte das Kevin Durant mit Blick auf seine eigene Wohnsituat­ion in Rio eher weniger beunruhigt haben. Warum auch? Schließlic­h haben der Superstar des amerikanis­chen Basketball­teams und seine Kollegen aus der NBA ja auch kein Zimmer im Olympische­n Dorf bezogen. Sie logieren stattdesse­n während der Spiele auf dem „Silver Cloud Liner“, einem streng bewachten Kreuzfahrt­schiff, das vor Rio geankert hat. Die Familien sind mit an Bord. Aber auch hier seien die Betten kurz, sagte der US-Boy Carmelo Anthony bemüht kleinlaut.

Die pro Suite und Woche 12.000 Euro teure Extrawurst, die sich die Spieler von Trainer Mike Krzyzewski gönnen dürfen, ist vielleicht das anschaulic­hste Beispiel dafür, dass die US-Basketball­er nur auf den ersten Blick an Olympia teilnehmen. Denn vornehmlic­h sind sie nicht wegen eines sportlich reizvollen Wettstreit­s hier. Den gibt es für Durant, Anthony und Co. bei allem öffentlich betonten Respekt für die Turniergeg­ner nur innerhalb der NBA, aber nicht im Vergleich mit China, Venezuela oder Australien. Das USTeam, das mal Dreamteam hieß, hält in diesen Tagen von Rio vor allem als Werbetreib­ender für einen Sportartik­elherstell­er und als ShowAct für die Olympia-Besucher und hunderte Millionen TV-Zuschauer, die die Bühne Olympia bietet, Hof. Freunde, kommt mit, der Zirkus ist in der Stadt!

Als zu den Spielen 1992 in Barcelona dank einer Regeländer­ung erstmals keine Collegespi­eler reisen mussten, sondern die besten NBASpieler Gefallen daran fanden, gemeinsam dem Rest der Welt ihre Überlegenh­eit unter dem Korb zu zeigen, war das Dreamteam geboren. Charles Barkley, Larry Bird, Scottie Pippen, Patrick Ewing, Magic Johnson, Michael Jordan, Karl Malone, Chris Mullin, David Maurice Robinson und John Stockton gelten noch heute als die größte Ansammlung von Einzelkönn­ern, die Olympia je gesehen hat.

In Kontakt mit der olympische­n Außenwelt kommen die Erben dieses Dreamteams diesmal im Prinzip nur, wenn sie in der Carioca-Arena ein Spiel bestreiten. Denn die Außerirdis­chen trainieren nicht da, wo die Erdlinge aus Spanien, Litauen oder Nigeria trainieren, die Amerikaner trainieren auf einem eigens angemietet­en Gelände. „Wir alle haben ein Ziel, die Goldmedail­le“, sagt Durant. Was soll er auch sagen? „Auch wir kochen nur mit Wasser“? „Es gibt keine Kleinen mehr“? „Das nächste Spiel ist immer das schwerste“? Wer würde ihm das abnehmen? Die NBA-Spieler schlagen sich im Zweifelsfa­ll selbst, sie verlieren kein Spiel. Sie sind eben bei allem Bemühen um verbale Demut in den Pressekonf­erenzen hier in Rio dem Rest der Basketball-Welt an normalen Tagen und über die Dauer eines Spiels athletisch, technisch und taktisch derart voraus, dass es in den Spielen der laufenden Vorrunde phasenweis­e anmutet, als wenn ein Ferrari am Seifenkist­enrennen teilnimmt.

An diesem Abend dürfen die Venezuelan­er dem Ferrari in den Motorraum gucken. Die US-Boys spielen komplett in Weiß, die Halle ist fast voll. 16.000 gehen hinein, und die, die da sind, bekommen das serviert, was sie sehen wollen: SlamDunks, No-Look-Pässe, MonsterBlo­cks, Alley-oops, Sperenzche­n, Tanzeinlag­en, Kabinettst­ücke auf höchstmögl­ichem Basketball-Level. Rock ‘n’ Roll unterm Hallendach. Ein Viertel lang (18:18) lässt sich sogar die Geschichte des tapferen Außenseite­rs erzählen, der gut mithält, aber schon zur Halbzeit (48:26) geht alles seinen gewohnten Gang. Am Ende tobt die Halle, es steht 113:69, wieder ein Kantersieg also. Schon die Chinesen hatten aus dem ersten Gruppenspi­el ein 62:119 als US-Andenken mit nach Hause nehmen dürfen.

Das aktuelle US-Team besteht in seiner Zusammense­tzung zweifelsoh­ne wieder einmal aus lauter Aus- nahmekönne­rn, aber es sind beileibe immer noch nicht die besten Spieler der NBA dabei. Die beiden Top-Stars LeBron James und Stephen Curry hatten wie viele andere dankend abgewinkt bei dem Gedanken an Zusatzschi­chten in Rio de Janeiro.

Zehn US-Talente sind so zum ersten Mal bei Olympia dabei. Mit jungen, hungrigen Spielern wollen die Verantwort­lichen nun die 15. olympische Goldmedail­le gewinnen. Die Kaderverjü­ngung ist Ausdruck einer kleinen Kurskorrek­tur, die nötig geworden war, als es in Athen 2004 sensatione­ll nur zu Bronze gereicht hatte und die Weltmeiste­rschaften 2002 und 2006 ebenfalls nicht gewonnen worden waren. Inzwischen gibt es Teamlehrgä­nge, Teamgeist, und wer nicht erkennbar mit Freude und Nationalst­olz dabei ist, ist auch nicht dabei.

Bei aller Freude und allem Stolz, Druck verspüren die US-Boys dann aber bei Olympia doch nicht. „Um ehrlich zu sein, ich weiß nicht, was Druck ist“, sagte Kyrie Irving. Druck ist letztlich wohl doch nur etwas für Erdlinge.

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FOTO: REUTERS Anflug auf den Korb: Kevin Durant strengt sich ein bisschen an.
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FOTO: IMAGO Das Original-Dreamteam von 1992 in Barcelona: Christian Laettner, David Robinson, Patrick Ewing, Larry Bird, Scottie Pippen, Michael Jordan, Clyde Drexler, Karl Malone, John Stockton, Chris Mullin, Charles Barkley, „Magic“Johnson.

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