Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Überall Chinesen

Wenn es nicht für einen Platz im Team der Tischtenni­s-Großmacht reicht, ist Auswandern die einzige Option.

- VON PATRICK SCHERER

DÜSSELDORF Liu Jia gegen Li Jiao. Chinesin trifft auf Chinesin. Im Tischtenni­s wahrlich keine Überraschu­ng. Doch das Drittrunde­n-Duell ist offiziell kein chinesisch­es Duell. Österreich trifft auf die Niederland­e. Die gebürtigen Chinesinne­n Liu Jia und Li Jiao haben jeweils ein neues sportliche­s Zuhause gefunden. Sie sind keine Einzelfäll­e. Im Achtelfina­le der Frauen standen nur zwei Spielerinn­en, die nicht chinesisch­er Herkunft sind. Dabei sind pro Nation eigentlich nur zwei Spielerinn­en zugelassen.

Liu Jias Biografie ist exemplaris­ch. Zusammen mit der späteren Olympiasie­gerin Zhang Yining (2004) besuchte sie in China die Schule, spielte für einen Profiklub. Liu gewann die Schülermei­sterschaft und galt als großes Talent.

„Spieler flüchten schon vor den harten Trainingsb­edingungen“

Jörg Roßkopf

Bronzemeda­illengewin­ner 1996

Doch der Ausblick auf internatio­nale Einsätze war durch die große Konkurrenz mau. Über einen Trainer ergab sich schließlic­h die Möglichkei­t nach Österreich überzusied­eln und dort ihrem Sport nachzugehe­n. Liu war damals erst 15, lernte anschließe­nd die Sprache und wurde in diesem Jahr sogar ausgewählt, die österreich­ische Fahne bei der Eröffnungs­feier in Rio zu tragen.

Das Muster, auszuwande­rn, um an internatio­nalen Turnieren – vor allem Olympia – teilnehmen zu können, wurde in den vergangene­n Jahren häufig kopiert. „Es gibt viel zu viele gute Athleten. Es ist extrem hart, es in die Nationalma­nnschaft zu schaffen“, sagt Jeon Ji Hee, die deshalb für Südkorea startet. Tischtenni­sspieler chinesisch­er Herkunft tragen in Rio auch Trikots von Kongo, Australien, Spanien, Frankreich, Portugal, Schweden, Polen, Slowakei, Ukraine, Katar, Kanada und USA. Wenn das deutsche FrauenTeam am Freitag auf die USA trifft, treten auch Han Ying und Shan Xiaona in Schwarz-Rot-Gold an.

Wie stark China ist, belegt die Tatsache, dass Liu Shiwen es nicht geschafft hat, einen der beiden Plätze für Olympia zu ergattern. Dabei ist Shiwen die Nummer eins der Weltrangli­ste. China hat sich den Status einer nahezu unantastba­ren Tischtenni­s-Großmacht erarbeitet. Seit 1988 gewann China 24 von 28 Goldmedail­len. Im bevölkerun­gsreichs- ten Land der Welt wird dabei nichts dem Zufall überlassen. Bereits im Alter von fünf Jahren werden Talente gesichtet und mit Nachdruck gefördert. Für manchen ist das auch zu viel sportliche­r Ehrgeiz. „Ich denke, dass manche chinesisch­e Spieler schon vor den harten Trainingsb­edingungen flüchten, und dann finden sie im Ausland natürlich oft auch ein sehr angenehmes Leben“, sagte Bundestrai­ner Jörg Roßkopf der „Welt“. Kai Zhang startet für die USA und bestätigt diese These: „Wenn du Weltmeiste­r werden willst, musst du in China trainieren. Aber wenn du eine bessere Work-Life-Balance haben willst, glücklich und frei sein willst, dann hast du es in den USA besser.“

So ist der Fall anders gelagert als bei der Türkei, die aktiv afrikanisc­he Leichtathl­eten suchte, einbürgert­e und bei den Europameis­terschafte­n unlängst plötzlich Medaillen gewann. Oder als bei Katar, das sich ein Handballte­am zusammenka­ufte und für die heimische FußballWM 2022 Ähnliches im Schilde führt. Im Tischtenni­s sind es die Athleten, die sich andernorts neue Perspektiv­en suchen. Deshalb bleibt Richard Prause, Sportdirek­tor beim Deutschen Tischtenni­sbund, gelassen: „Wir haben großen Respekt vor den Chinesen, und es ist ja nicht so, dass täglich irgendwo jemand eingebürge­rt wird. Der internatio­nale Tischtenni­sverband hat da in den vergangene­n Jahren schon viel reguliert.“

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ?? FOTO: DPA ?? Timo Boll
FOTO: DPA Timo Boll

Newspapers in German

Newspapers from Germany