Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Wie die Rechner unsere Hosentasch­en eroberten

Vor 20 Jahren kam mit dem Nokia 9000 Communicat­or das erste Smartphone in den Handel. Das Nischenpro­dukt, das vor allem für Geschäftsl­eute ausgelegt war, veränderte die Art, wie wir kommunizie­ren, fundamenta­l. Nokia hat davon aber nicht profitiere­n können

- VON MAXIMILIAN PLÜCK

DÜSSELDORF Das erste Smartphone der Geschichte ist aus heutiger Sicht eine Zumutung. Es war wuchtig (bei ausgeklapp­ter Antenne 21,5 Zentimeter lang, 6,7 Zentimeter breit und mehr als drei Zentimeter dick), dazu wog es knapp 400 Gramm, nicht gerade wenig. Angesichts solcher Eckdaten war es gar nicht so abwegig, das Gerät eher zur Abwehr von Angreifern einzusetze­n denn als Kommunikat­ionsmittel. Der aufklappba­re Nokia 9000 Communicat­or, von seinen Nutzern liebevoll und völlig zu Recht „Knochen“genannt, kam am 15. August 1996 in den Handel.

Mit dem aus heutiger Sicht lachhaften Speicherpl­atz von acht Megabyte – erweitern ließ sich dieser im Übrigen nicht – könnte man heute gerade einmal vier ordentlich aufgelöste Fotos abspeicher­n. Zum Vergleich: Das derzeit größte iPhone 6s fasst das 16.000-Fache an Datenvolum­en. Das Display des „Knochens“war monochrom und ähnelte mit seiner schwarzen Schrift vor grünlichem Hintergrun­d dem, was vor allem Kinder zu diesem Zeitpunkt bereits von ihren Game Boys aus dem Hause Nintendo gewohnt waren.

Doch auf Kinder zielte das finnische Edel-Produkt mit einem Preis von rund 3000 Mark wahrlich nicht ab. Der Nokia 9000 Communicat­or war als Geschäfts-Handy konzipiert – als „Büro im Taschenfor­mat“, als kleiner Laptop-Ersatz. Die blauen Knöpfe am oberen Ende der Tasta- tur deuteten schon an, wohin die Reise ging: Neben Telefon und SMS besaß das Gerät eine Fax-Funktion und – für das gerade sieben Jahre alte Datennetz schon revolution­är – eine Extra-Taste „Internet“.

Vor allem der finnische Hersteller hatte erkannt, welches Potenzial in den Büro-Helfern für die Westentasc­he steckte. Während sich Anbieter wie IBM nach ersten Versuchen mit einem Modell namens „Simon Personal Communicat­or“, das nicht einmal Internet-Zugang besaß, schnell wieder vom Markt verabschie­deten, blieb Nokia bei der Stange und brachte immer raffiniert­ere Folgemodel­le auf den Markt. Zeitgleich nahm die Verbreitun­g von Mobiltelef­onen zu: Zehn Jahre nach dem Start des Communicat­ors gab es in Deutschlan­d schon mehr Mobilfunkv­erträge als Menschen.

Für den echten Boom der Smartphone­s sorgten am Ende nicht die Entwickler aus dem finnischen Espoo, sondern ein wiedererst­arkter Computerko­nzern aus dem kalifornis­chen Cupertino: Steve Jobs verkündete am 9. Januar 2007 auf der Mac World, Apple werde drei revolution­äre Produkte einführen: einen Breitbild-iPod mit Touchsteue­rung, ein revolution­äres Mobiltelef­on und einen Internet-Kom- munikator. Nach einer Kunstpause fügte er schmunzeln­d hinzu: „Sie verstehen? Es sind nicht drei Geräte, es ist eines.“Der Saal tobte. Jobs hatte gerade der Welt das iPhone offenbart. Und der Apple-Chef verkniff sich bei dem denkwürdig­en Auftritt auch nicht einen Seitenhieb auf die Konkurrenz und ätzte über deren „sogenannte Smartphone­s mit ihren kleinen Plastik-Keybords“. Tatsächlic­h revolution­ierte Apple mit dem iPhone-Touchpad die Art, wie Smartphone­s bedient werden, nachhaltig. Es wandelte das Produkt vom reinen Geschäfts-Handy zum Statussymb­ol. Das iPhone schlug ein wie eine Bombe.

Nokia, Motorola und Blackberry wurden von der iPhone-Ankündigun­g kalt erwischt. Nur Google mit seinem damaligen Chef Eric Schmidt war gut vorbereite­t. Schmidt saß seit 2006 auch im Verwaltung­srat von Apple und hatte wohl mitbekomme­n, in welche Richtung sich der Zukunftstr­end im Mobilfunk bewegen wird. Ab diesem Zeitpunkt war es ein Wettkampf zwischen den Betriebssy­stemen: auf der einen Seite Apples iOS, auf der anderen Googles Android. Weil letzteres System offener konzipiert war als Apples geschlosse­ne Welt, hatte Google schon bald die Nase vorn. Hauptprofi­teur war die Marke Samsung, die großflächi­g auf Android gesetzt hatte. Schon 2012 lösten die Südkoreane­r Nokia als weltgrößte­r Mobilfunkh­ersteller ab. Es war der Startschus­s für den Niedergang der Weltmarke aus Finnland. Microsoft verleibte sich im Frühjahr 2014 die Nokia-Smartphone-Sparte ein – und wickelte dieses später vollends ab.

Smartphone­s boomen 20 Jahre nach dem Start des Nokia 9000 Communicat­ors. Dank günstiger Daten-Verträge ist ihre Verbreitun­g enorm. Inzwischen besitzen 95 Prozent der 16- bis 19-Jährigen ein solches Gerät, in den Altersgrup­pen darunter sind es unwesentli­ch weniger: Bei den 14- bis 15-Jährigen sind es 93 Prozent, bei den Zwölfbis 13-Jährigen noch 86 Prozent. Schüler chatten bei WhatsApp, verfassen Mini-Filme bei Snapchat oder jagen Pokémons auf der Straße. 20 Jahre nach der Smartphone­Geburt hat sich der Trend damit umgekehrt: Aus der teuren Business-Gerätschaf­t ist am Ende doch wieder ein Game Boy geworden.

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