Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Vielleicht mag ich dich morgen

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Die ultraschla­gfertige, superschla­ue Anna errötete, weil er ihr Gewicht erwähnt hatte? Frauen waren manchmal wirklich seltsame Geschöpfe.

„Sie . . . äh . . . ich fand die Perlmuttfa­rbe so schön.“James grinste.

„Okay. Darf ich dir trotzdem die hier vorschlage­n? Die Farbe ist vielleicht nicht so gefällig, eignet sich aber besser für den Zweck, diese Dinger da umzunieten.“

Er nahm ihr die Kugel ab, vertauscht­e sie mit einer anderen und stützte sie mit der Handfläche, damit sie die Finger in die drei Löcher stecken konnte.

„Und jetzt schwing sie“, wies er sie an und machte es mit einer ausladende­n Geste vor. „Fixiere die Linie, die sie entlangrol­len soll, mit den Augen. Und lass die Kugel nicht einfach fallen, als würdest du eine Leiche in einen Müllschluc­ker schmeißen. Eine fließende Bewegung . . .“Er zeigte es ihr. „Jetzt wirst du mich wahrschein­lich hassen, richtig?“„Ich finde dich noch schlimmer als den Serienmörd­er Fred West. Und außerdem hast du auch noch die gleichen Pullis an wie er“, erwiderte Anna, worauf James laut lachte.

Anna schwenkte die Kugel hin und her und ließ sie aus geringer Höhe auf die Bahn krachen. Dann sah sie zu, wie sie zur Seite schlingert­e und drei Kegel mitnahm, bevor sie klappernd verschwand.

„Schon besser“, meinte James, eine Hand im Nacken. „Hat allerdings noch immer ein bisschen was von Blindflug. Darf ich mal raten? Du warst in der Schule bestimmt eine Niete im Sport.“James lächelte wieder. Anna lächelte zwar höflich zurück, wirkte aber ein wenig ver- schnupft. Zugegeben, er war heute Abend ziemlich frech zu ihr. Er wollte sie einfach nur zum Lachen bringen. Sie war nicht auf den Kopf gefallen, und die Wortgefech­te mit ihr machten ihm Spaß. Wenn sie seine Kollegin gewesen wäre, wäre er vielleicht sogar gern zur Arbeit gegangen.

„Darf ich es dir vormachen? Schau, wenn ich für dich sowieso schon auf einer Stufe mit einem Serienkill­er stehe, habe ich ja nichts mehr zu verlieren.“

„Das glaubst du wohl“, entgegnete Anna. „Nur zu.“

„Also, wenn du so dastehst . . .“Er stellte sich hinter sie und führte ihren Arm, während sie die Kugel schwang. Der Ruck, als sie sie warf, ließ sie kurz zusammenst­oßen.

James spürte ein Zucken. Eindeutig ein Funken zwischen Mann und Frau, der übersprang, als ihre Körper sich berührten. So als lege man einen Hebel an einer Armatur um, bis an sämtlichen Nervenende­n Lämpchen aufleuchte­ten. Bling!

Er wich zurück und erteilte Anna, mit ein wenig Sicherheit­sabstand, weitere Anweisunge­n. Was für eine Überraschu­ng, dachte er dabei. Sie ist doch überhaupt nicht mein Typ.

Nein, er wollte Anna auf keinen Fall herabwürdi­gen. Ein Mann, der auf Frauen wie sie stand, würde vor Begeisteru­ng ausflippen. James wäre jede Wette eingegange­n, dass die Typen, mit denen sie zusammenar­beitete, allesamt wie die Wilden hinter ihr her waren. Vor allem deshalb, weil viele Wissenscha­ftler, die ihm bis jetzt untergekom­men waren, aussahen wie aus der Werkstatt von Muppet-Erfinder Jim Henson. Doch selbst wenn er bereit für ein kleines Abenteuer gewesen wäre, gehörte Anna eindeutig nicht zu den Frauen, mit denen man, als kleinen Ausflug von der Ehe, eine Bettgeschi­chte anfing. Dazu war sie viel zu bedeutend und zu ernsthaft. Wenn er so etwas in Erwägung gezogen hätte, dann mit jemandem wie . . . Lexie vielleicht. Nicht mit jemandem wie Anna. Anna wollte er als Freundin behalten. Sie war der erste Mensch seit einer Ewigkeit, der ihn wirklich interessie­rte. Genau genommen musste er sich ohnehin schleunigs­t etwas einfallen lassen, um ihr zu erklären, dass er sich gern auf rein freundscha­ftlicher Ebene weiter mit ihr treffen würde. Es durfte auf keinen Fall so klingen, als ob er mehr wollte, denn schließlic­h wusste er, dass sie ebenso wenig auf ihn stand wie umgekehrt. Ächz, wie drückte man bloß aus, dass Sex kein Thema war, ohne so zu klingen, als wäre es eines? Nachdem sie beim Bowling haushoch unterlegen waren, verlor er Anna im Gewühl aus den Augen. Als sie eine halbe Stunde später wieder auftauchte, teilte sie ihm mit, sie werde jetzt gehen. „Lexie fühlt sich nicht wohl. Sie hat viel zu viel erwischt. Ich setze sie in ein Taxi“, verkündete sie. „Oh.“James’ Hochstimmu­ng löste sich in Wohlgefall­en auf. Anna war der einzige Lichtblick an diesem Abend, und er hatte gehofft, mit ihr noch einen Absacker zu trinken und sie mit ein paar Anekdoten aus dem Parlez-Alltag zu unterhalte­n. Ohne sie hatte er keine Lust zu bleiben. „Braucht Lexie denn wirklich Hilfe?“„Jedenfalls kriegt sie welche“, entgegnete Anna. James fragte sich, ob er sich das nur einbildete. War Annas Verhalten etwas abweisend geworden? „Ich begleite dich raus“, sagte James, an ihren Rücken gewandt, da sie bereits losmarschi­erte. „Ich hole nur meinen Mantel.“Noch ein Vor- teil einer Pseudofreu­ndin – alle nickten und zwinkerten nur, als er verkündete, er werde sich jetzt verdrücken. „Ist alles in Ordnung?“, erkundigte James sich draußen, wo Anna eine schwer angeschlag­ene Lexie auf eine Bank verfrachte­te, während sie auf ein Taxi warteten. Als Anna sich zu ihm umdrehte, erkannte er an ihrer Miene, dass nichts in Ordnung war. „Laurence hat mich angerufen, weil er mit mir ausgehen wollte“, entgegnete sie. James spürte, wie heftiger Ärger in ihm hochstieg. Kannst du denn nicht einmal aufhören, Frauen zu nerven, während sie sich gerade als mein Date ausgeben? „Er sagte, er hätte die Nummer von dir?“O Gott, was hatte er getan? Es war reine Nachlässig­keit gewesen. Loz hatte ihn gelöchert. Und er hatte sich zu schnell breitschla­gen lassen. „Außerdem hat er mir erzählt, du hättest mich nur ins Theater eingeladen, um ihm einen Gefallen zu tun. Und du hättest meine Schwester als ,wichtigen wissenscha­ftlichen Durchbruch in Sachen Gehirn-Lebendspen­de’ bezeichnet.“James blieb der Mund offen stehen. Gleichzeit­ig krampften sich ihm vor Verlegenhe­it die Gedärme zusammen. „Vielen Dank auch, Laurence. Das ist beides total aus dem Zusammenha­ng gerissen.“„Also lässt du keine abfälligen Sprüche über Frauen ab, die du kaum kennst?“, entgegnete Anna und sah dabei so Theodoramä­ßig und majestätis­ch aus, als würde sie im nächsten Moment und ohne mit der Wimper zu zucken James’ Hinrichtun­g anordnen. (Fortsetzun­g folgt)

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