Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Ärzte sollen Terrorverd­acht melden

Innenminis­ter Thomas de Maizière will die ärztliche Schweigepf­licht lockern. Medizinerv­erbände verweisen auf eine jetzt schon mögliche Güterabwäg­ung und warnen vor Vertrauens­verlust.

- VON B. MARSCHALL UND G. MAYNTZ

BERLIN Mit einem Maßnahmenp­aket will Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) eine „Erhöhung der Sicherheit in Deutschlan­d“erreichen. Dabei will er auch die Ärzteschaf­t zur Mitarbeit an einem Frühwarnsy­stem für möglicherw­eise bevorstehe­nde Terroransc­hläge und zur Aufklärung bereits verübter Attacken gewinnen. Er wolle mit den Ärzten sprechen, um die dringend nötige Rechtssich­erheit dafür zu schaffen, sagte der Minister. Mediziner-Verbände verwahrten sich gegen diesen Vorstoß.

„Es geht nicht, dass wir bei jeder Depression die Polizei informiere­n“, sagte Rudolf Henke, Chef der Ärztekamme­r NRW, unserer Redaktion. Sonst würde kein Patient mehr kommen. Dabei bringe jede erfolgreic­h behandelte Depression mehr Sicherheit. Wie andere Ärztevertr­eter machte auch Henke klar: „Eine generelle Aufweichun­g der ärztlichen Schweigepf­licht kommt nicht infrage.“Der Patient müsse sich auch in Zukunft auf die Verschwieg­enheit des Mediziners verlassen können. Schon jetzt ermögliche das Gesetz ein Abwägen. „Wenn ein Pa- tient mit Rucksack die Praxis verlässt und ankündigt, sich jetzt im Bahnhof in die Luft zu sprengen, kann ich mir keinen Arzt vorstellen, der das für sich behält. Dafür brauchen wir keine Gesetzesän­derung“, erläuterte Henke.

„Die ärztliche Schweigepf­licht ist ein hohes Gut mit Verfassung­srang“, betonte der Bundesvors­itzende des Virchowbun­des der niedergela­ssenen Ärzte, Dirk Heinrich. Nach Paragraf 34 des Strafgeset­zbuches könne ein Arzt bereits jetzt davon abweichen, wenn Gefahr für Leben, Leib und Freiheit bestehe. „Die Vorschläge des Bundesinne­nministers sind daher Populismus in Reinkultur“, kritisiert­e Heinrich. Die Schweigepf­licht sei „ein zu hohes Gut, um sie in heraufzieh­enden Wahlkampfz­eiten zu zerreden“, sagte Heinrich.

Eine andere Möglichkei­t sieht die Deutsche Polizeigew­erkschaft: „Die Ärzteschaf­t könnte eine Einrichtun­g schaffen, an die sich besorgte Ärzte wenden können, wenn sie einen Verdacht haben; dieses Ärztegremi­um könnte dann die Informatio­nen an die Polizei weiterleit­en“, schlug Gewerkscha­ftschef Rainer Wendt vor. Jedenfalls sei es richtig, mit der Ärzteschaf­t zu sprechen. Sie verfüge über Informatio­nen, die den Behörden helfen könnten, Gewalttäte­r zu erkennen.

In dem Katalog weiterer Gesetzesve­rschärfung­en, den de Maizière heute der Öffentlich­keit vorstellen will, geht es zudem um eine Ausweitung der Vorratsdat­enspeicher­ung, um eine Beschränku­ng bei der Duldung von Flüchtling­en und um erleichter­te Abschiebun­gen. So wird daran gedacht, die erzwungene Ausreise zu beschleuni­gen, wenn abgelehnte Asylbewerb­er kleine Straftaten begehen.

Bei einem Besuch der Bundespoli­zei in Bremen kündigte de Maizière zudem an, die Videoüberw­achung massiv auszuweite­n. Dabei solle moderne Software genutzt werden, die herrenlose Koffer und gesuchte Verdächtig­e automatisi­ert erkennen kann. Zugleich haben die Innenminis­ter der Union in Bund und Ländern für ihr Treffen Ende kommender Woche eine „Berliner Erklärung“vorbereite­t, die mit 27 Forderunge­n auf die jüngsten Anschläge reagiert. Zu den markantest­en Punkten gehören eine Abschaffun­g der doppelten Staatsbürg­erschaft, ein Burka-Verbot und die Einstellun­g von 15.000 Polizisten.

Niedersach­sens Innenminis­ter Boris Pistorius (SPD) lehnte die Vorschläge als „aufgewärmt­e Forderunge­n aus der rechtskons­ervativen Altkleider­sammlung“ab. „Die CDU-Innenminis­ter haben leider den souveränen und vernünftig­en Kurs in der Innenpolit­ik verlassen und fischen aus Angst vor der AfD im verfassung­srechtlich­en Graubereic­h“, sagte er unserer Redaktion. Leitartike­l Politik selbst

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