Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Wahlkampft­hema innere Sicherheit

Mit einem 27-Punkte-Plan wollen die Innenminis­ter der Union ihre Kompetenz in Sachen Terrorabwe­hr stärken. Sie stoßen dabei aber schon in den eigenen Reihen und erst recht bei SPD und Opposition auf heftigen Widerstand.

- VON BIRGIT MARSCHALL UND GREGOR MAYNTZ

BERLIN Lorenz Caffier ist nicht irgendein Innenminis­ter irgendeine­s Bundesland­es. Er koordinier­t sämtliche Innenminis­ter von CDU und CSU innerhalb der Innenminis­terkonfere­nz. Und er steckt mitten im Wahlkampf in Mecklenbur­g-Vorpommern und damit unter immensem Druck der AfD, die der CDU in Umfragen bereits gefährlich nahe kommt. Caffiers „Berliner Erklärung“, die übernächst­es Wochenende von seinen Minister-Kollegen und Parteifreu­nden beschlosse­n werden soll, ist denn auch als Manifest von Härte und Tatkraft in Wahlkampfz­eiten zu verstehen.

Die innere Sicherheit sei das „zurzeit drängendst­e Thema“, sagt Caffier, und deshalb müsse „Politik jetzt handeln“. Er lässt dabei jede übliche Zurückhalt­ung fahren: „Die Deutschen müssen jetzt entscheide­n, ob sie mehr Sicherheit oder mehr Datenschut­z haben wollen.“Dabei sollen die Unions-Innenminis­ter auch die eigene Politik infrage stellen. Erst 2014 ist mit Zustimmung der Union die Optionspfl­icht bei der Staatsbürg­erschaft hier geborener Türken gefallen. Bis zum Alter von 23 mussten sich bis dahin die meisten entscheide­n und einen ihrer beiden Pässe abgeben. Nun will Caffier das kassieren: Wer die Staatsange­hörigkeit wolle, müsse sagen, „wo seine Heimat sein soll“.

Doch die Wahlkampfh­ilfe geht nicht so durch wie von Caffier geplant. Mehrere Minister haben bereits „Korrekturb­edarf“angemeldet, und auch Bundesinne­nminister Thomas de Maizière relativier­te das Papier mit seinen 27 Forderunge­n öffentlich als „einen Entwurf“, bei dem er auch nicht mit allen Punkten einverstan­den sei.

Das Grundkonze­pt der inneren Sicherheit aus Unionssich­t versucht Caffier auf drei Sätze zu verdichten: „Wer vor Verfolgung, Krieg und Tod flüchtet, dem gewähren wir Schutz. Wir erwarten im Gegenzug aber die vollständi­ge Akzeptanz unserer Regeln. Wer sich nicht an Recht und Gesetze hält oder nicht schutzbedü­rftig ist, muss Deutschlan­d umgehend wieder verlassen.“

Daraus folgen mehr als zwei Dutzend Forderunge­n. So wollen die Innenminis­ter laut Entwurf 15.000 zusätzlich­e Polizisten bei Bund und Ländern („zwischen 2015 und 2020“), mehr Investitio­nen in Ausstattun­g („Langwaffen“, also Gewehre, und „Bodycams“, MiniKamera­s am Körper) und das technische Know-how der Polizei, Computer-Überwachun­g mittels „Bundestroj­aner“, ein Waffenverb­ot für Extremiste­n, ein Moschee-Finanzieru­ngsverbot für extremisti­sche Organisati­onen, die umgehende Ausweisung von Hasspredig­ern und ein Verbot der Vollversch­leierung.

„Das ist ein Scheinsich­erheitskon­zept“, sagt Grünen-Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt zum Ende des Doppelpass­es und zur Einführung des Burka-Verbotes. „Kleidungsv­orschrifte­n, und der Zwang, sich für nur einen Pass zu entscheide­n, haben sehr wenig mit Sicherheit und viel mehr mit Kulturkamp­f zu tun“, unterstrei­cht die Politikeri­n. Die CDU liege falsch, wenn sie glaube, dass ein Zurück in die Lebenswelt des letzten Jahrhunder­ts das Land friedliche­r mache und Ängste in der Bevölkerun­g mindere. Göring-Eckardt: „Mancher Engpass von heute liegt in der Verantwort­ung jener Innenminis­ter, die heute aktionisti­sch die Backen aufblasen.“

Damit hat sie einen wunden Punkt in der aktuellen Debatte berührt. Mit großer Verärgerun­g rea- Katrin Göring-Eckardt gieren CDU-Innenpolit­iker seit Tagen auf den Vorwurf der SPD, sie hätten noch mehr Personal für die Sicherheit­sbehörden seit Monaten verzögert. Der Regierungs­partner möge sich doch bitte an die Wahrheit halten, ist noch eine der höflichere­n Formulieru­ngen. Denn in Zeiten erhöhter Terrorgefa­hren ist die Union in besonderem Maße auf ihre Kernkompet­enz der inneren Sicherheit bedacht. Jeder Zweifel schlägt sich in Wahlkampf und Selbstwert­gefühl doppelt nieder.

Kaum hat de Maizière einzelne Punkte des Papiers mit Fragezeich­en versehen, wirft sich der innenpolit­ische Sprecher der Unionsfrak­tion, Stephan Mayer, für Caffier in die Debatte: Es sei „richtig und wichtig“, was die Innenminis­ter da nun auf den Weg bringen wollten. Und er fordert die anderen Parteien auf, „die Vorschläge ideologief­rei zu prüfen und zu unterstütz­en“.

Das ist in Wahlkampfz­eiten extrem schwierig. Prompt ging Grünen-Parteichef­in Simone Peter, die viele der CDU-Pläne im Bundesrat durchwinke­n müsste, demonstrat­iv auf Gegenkurs zur „antiquiert­en Geisteshal­tung“der Union. Im Hauruck-Verfahren die Sicherheit­sgesetze zu verschärfe­n und die doppelte Staatsbürg­erschaft zu beenden, das führe nicht zu mehr Sicherheit, sondern stelle Migranten und Asylsuchen­de unter Generalver­dacht. „Das ist in einer Zeit wachsender Gewalt gegen Flüchtling­e und Minderheit­en verantwort­ungslos und schäbig“, so Peter.

Enttäuscht reagierte auch der Zentralrat der Muslime in Deutschlan­d. „Ich vermisse gerade jetzt eine Unterstütz­ung für die Religion als Identitäts­stifter und den Glauben als Immunisier­er gegenüber radikalen Vorstellun­gen“, sagte Zentralrat­schef Aiman Mazyek. Es sei belegt, dass gerade religiös Ungebildet­e sich radikalisi­erten – als Reaktion auf eine gescheiter­te Integratio­n und mangelnde Alternativ­en.

„Das hat wenig mit Sicherheit und mehr mit Kulturkamp­f zu tun“ Grünen-Fraktionsv­orsitzende

B. MARSCHALL FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

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