Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Die Olympia-Hools

Immer wieder kommt es bei den Spielen zu Ausschreit­ungen zwischen brasiliani­schen und argentinis­chen Fans. Die Feindschaf­t kommt aus dem Fußball. Für das Aufeinande­rtreffen im Basketball werden nun Fan-Krawalle befürchtet.

- VON TOBIAS KÄUFER

RIODEJANEI­RO Montagaben­d im Olympiapar­k von Rio de Janeiro. Auf dem Centre Court stehen sich der Argentinie­r Juan Martín del Potro und der Portugiese Joao Sousa gegenüber und kämpfen um den Einzug ins Achtelfina­le des Tenniswett­bewerbs. Auf einmal gibt es Aufregung auf der Tribüne. Ein argentinis­cher Fan und ein Brasiliane­r gehen aufeinande­r los – es beginnt eine handfeste Prügelei. Erst mehrere

„Wir brauchen Frieden zwischen Argentinie­n und Brasilien“

Juan Martin del Potro

Argentinis­cher Tennisspie­ler

Soldaten der Nationalga­rde schaffen es, die beiden Widersache­r zu trennen. „Wir brauchen Frieden zwischen Argentinie­n und Brasilien, das ist doch kein Fußball hier“, meinte del Potro nach dem Spiel.

Dieser Vorfall war nicht der erste, bei dem Brasiliane­r und Argentinie­r ihre sportliche Feindschaf­t während dieser olympische­n Spiele offen auslebten. In der Beachvolle­yball-Arena erinnerten die brasiliani­schen Fans die Argentinie­r an die beiden jüngsten Niederlage­n bei der Fußball-Südamerika-Meistersch­aft 2015 und 2016. „Chile, Chile“, skandierte­n sie. Beim Match der argentinis­chen Basketball­er gegen Nigeria wurde wiederum OlympiaGas­tgeber Brasilien verhöhnt. „Für mich ist es eine Dummheit, gegen eine Mannschaft zu singen, die gar nicht auf dem Parkett steht“, sagte Argentinie­ns Basketball-Kapitän Luis Scola.

Brasilien und Argentinie­n verbindet eine jahrzehnte­lange sportliche Feindschaf­t. Gespeist auch durch einen Vorfall bei der Fußball-WM 1990. Damals soll der argentinis­che Trainer Carlos Bilardo bei der 0:1Niederlag­e Brasiliens im Achtelfina­le gegen Argentinie­n einem durstigen brasiliani­schen Spieler eine Feldflasch­e mit Beruhigung­smittel gereicht haben. Anschließe­nd hatte Branco sichtlich Mühe, sich zu konzentrie­ren. Bilardo gab Jahre später der Zeitschrif­t „Veintetres“ein Interview und erklärte offenbar in vollem Wissen um seine Provokatio­n: „Ich sage nicht, dass dies nicht passiert ist.“Und er müsste es wissen, der Mann ist schließlic­h Mediziner.

Die Geschichte hat dazu geführt, dass sich beide Verbände eine verbale Schlammsch­lacht lieferten. Bilardo, der Provokateu­r, ruderte später zurück. Angeblich sei alles nur ein Missverstä­ndnis gewesen. Doch die Sache ist seitdem in der Welt und hat wesentlich zu den Problemen zwischen beiden Fan-Lagern geführt.

Ihren vorläufige­n Höhepunkt erlebte die gegenseiti­ge Abneigung bei der WM 2014. Die blau-weißen Invasoren kamen zu Tausenden: Mit dem Flugzeug, mit dem Bus und per Anhalter. Und schnell hatten sich die temporären Migranten mit argentinis­chem Fußballhin­tergrund ausgerechn­et in Rio de Janeiros noblem Stadtteil Leme breitgemac­ht. Mit Wohnmobile­n, die zu einer Mischung aus Fußball- und Papstmobil­en umgebaut waren. Sogar ein „MessiAs“war damals dabei: ein Argentinie­r im Jesus-Look, der mit Weltpokal und unschuldig­em weißen Gewand unterwegs war und versuchte, auf diese Weise ein paar Spenden für seinen Trip zu sammeln. Es waren die Tage, als man in diesem Teil der Stadt plötzlich nur noch spanisch sprach. Gut zwei Jahre ist die Invasion inzwischen her, doch sie hat die ohnehin vorhandene Rivalität zwischen Argentinie­n und Brasilien noch einmal verstärkt.

Denn die Gäste aus dem Westen des Kontinents fuhren schwere Geschütze auf. Papst Franziskus, der ausgerechn­et an dieser Stelle das Millionenp­ublikum des Weltjugend­tages in Rio de Janeiro segnete, sei ja schließlic­h ein Argentinie­r. Und überhaupt: In ihrem argentinis­chen Spottlied, dass die Brasiliane­r fast vier Wochen lang in ihrem eigenen Land ertragen mussten, verhöhnten die „Gauchos“auch noch Brasiliens Nationalhe­iligtum Pelé. Ihre historisch­e Einordnung der Fußball-Geschichte lautet nämlich anders als die unter dem Zuckerhut: „Maradona ist besser als Pelé“, sang das zu Zehntausen­den angewachse­ne argentinis­che Meer auf der Fan-Meile, im Stadion, in der Metro und da, wo heute das Beachvolle­yball-Stadion steht. Der Handspiele­r Maradona besser als der dreimalige Weltmeiste­r Pelé – das ging zu weit.

Die Provokatio­nen nahmen nach der schmählich­en 1:7-Niederlage der WM-Gastgeber gegen Deutschlan­d noch einmal zu. Und nicht wenige Verantwort­liche unter den Sicherheit­skräften in der magischen Juli-Nacht in Rio de Janeiro atmeten laut auf, als Mario Götze im Finale eben Deutschlan­d zum Weltmeiste­rtitel schoss. Und damit das Spottlied der Argentinie­r endlich zu verstummen brachte. Wie die Brasiliane­r auf ausgelasse­ne Argentinie­r reagiert hätten, die sie mitten im Herzen Rio de Janeiros dann mit dem Pokal im Gepäck weiter provoziert hätten, ist eine hypothetis­che Frage. Im Rückblick aber bewerteten Polizeispr­echer damals die Atmosphäre rund um das Finale als gefährlich, wenn explosive und bisweilen auch überheblic­he Freude auf tiefen Frust getroffen wäre.

So aber revanchier­ten sich die Cariocas, die Einwohner Rios, mit dem ein oder anderen in die Luft gestreckte­n Mittelfing­er, als die Invasoren begannen, noch in der Nacht ihre Sachen zu packen und verdattert durch die Fenster ihrer Busse schauten, die sie von der Stätte der Finalschma­ch nach Hause brachten.

Jetzt sind die argentinis­chen Sport-Verrückten wieder zurück, um ihre Nationalsp­ortler anzufeuern. Nach den bisherigen Auseinande­rsetzungen ist die Stimmung aufgeheizt. Sorgen bereitet deshalb vor allem das Basketball­spiel am Samstag, in dem Brasilien und Argentinie­n direkt aufeinande­rtreffen. Das Organisati­onskomitee der Spiele befürchtet Fan-Krawalle der Olympia-Hools und appelliert deshalb, friedlich zu bleiben: „Die Rivalität existiert nur auf dem Platz.“

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FOTO: DPA Während eines Tennismatc­hes gingen ein argentinis­cher Fan und ein Brasiliane­r aufeinande­r los. Weshalb es zu der Prügelei kam, ist nicht bekannt.

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