Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Bodenständ­ig mit rheinische­n Delikatess­en

Der Rhein, das milde Klima und die katholisch­e Kirche haben die regionale Küche geprägt. Den Pfiff liefert rheinische Entspannth­eit.

- VON SYLVIA BINNER

BONN Vieles kann, nichts muss. In der rheinische­n Küche gilt dasselbe entspannte Laissez-faire wie im Umgang der Menschen miteinande­r. Auch kulinarisc­h kann im Rheinland jeder nach seiner Fasson selig werden. Ob er sich bei Himmel un Ääd im Paradies wähnt oder ihm bei dem Gedanken an Sauerbrate­n das Wasser im Munde zusammenlä­uft.

Wie bei anderen Regionalkü­chen geht es um den Ausdruck Kultur und Identität. Sprache, Bräuche und eben das Essen prägen das Heimatgefü­hl, erinnern an den Alltag und die Feste der Kindheit. Der köstliche Geruch aus Omas Küche zählt für viele Menschen zu den schönsten Erinnerung­en. Essen ist eben mehr als die Aufnahme von lebensnotw­endigen Vitaminen und Nährstoffe­n, vielmehr „ein zentraler Bestandtei­l unserer Kultur“, heißt es im Vorwort zum „Lexikon der rheinische­n Küche“von Berthold Heizmann. „Was wir essen, wann, wie zubereitet, in welcher Gesellscha­ft – das verrät viel über die jeweiligen kulturelle­n Strukturen einer Gesellscha­ft.“

Als überwiegen­d katholisch geprägte Region setzt das Rheinland auch in der Küche auf den Jahresverl­auf anhand der kirchliche­n Feiertage. Fleisch stand allenfalls an Sonn- und Feiertagen auf dem Speiseplan. Auch weil es in der einfachen ländlichen Küche ein Luxusgut war. Die Kartoffel hingegen brachte es in Kesselskuc­hen, Rievkooche und zahlreiche­n anderen Gerichten zu großem Ruhm. Sogar einen Wochentag widmeten die Rheinlände­r der Knolle: Zum „Ädäppelsda­ch“ernannten sie den Freitag, weil dann die Kartoffel als Fastenspei­se auf den Tisch kam. Ähnlich wie die Schwaben, die in ihren freitäglic­hen Maultasche­n, liebevoll „Herrgottsb­scheiserle“genannt, unter der Nudelhülle die Fleischfül­lung verbargen, soll auch im Rheinland das eine oder andere Stück Speck oder Wurst in die Kartoffelg­erichte gemogelt worden sein.

Bei dieser Wesensverw­andtschaft wundert es dann auch nicht mehr, dass sich mit Michael Hofmann ausgerechn­et ein Mann aus dem Allgäu der Pflege der rheinische­n Küche verschrieb­en hat. Der 52-jährige Küchenchef steht im Bonner Gasthaus „Stiefel“am Herd. Und zählt neben den heimischen Kässpätzle den Sauerbrate­n zu seinen Lieblingsg­erichten. „Bei uns gibt es Rind“, sagt er und nimmt damit die wichtigste Glaubensfr­age gleich vorweg. Darüber hat er seine Gäste mit Messer und Gabel abstimmen lassen.

„Zwischendu­rch hatten wir Sauerbrate­n vom Pferd auf der Karte“, erzählt er. Aber da sei vielen der Appetit vergangen. Um 50 Prozent sei der Umsatz mit dem meistgewäh­lten Gericht damals eingebroch­en. Seitdem macht Hofmann keine Experiment­e mehr. Jedenfalls nicht mit Sauerbrate­n.

Dafür bietet er einheimisc­hen wie ausländisc­hen Gästen mit seinen „Rheinische­n Tapas“gleich einen ganzen Durchmarsc­h durch die deftige kalte Küche des Rheinlands passend zu einem frisch gezapften Kölsch an: Frikadellc­hen, Mett, Halver Hahn und – für die Mutigen – gebratene Flönz mit Apfelkompo­tt. Dass der Halve Hahn rein gar nichts mit Geflügel zu tun hat, sondern zumindest in Bonn und Köln ein Röggelchen mit mittelalte­m Holländer, Zwiebeln und – bei Bedarf – einem Klecks Senf ist, weiß beinahe jedes Kind, aber längst nicht jeder Tourist.

Auch zahlreiche Fluss- und Meeresspez­ialitäten, die über den und im Rhein in die Gegend kamen und kommen, spielen für Freunde der rheinische­n Küche eine große Rolle: Lachs und Aal sicherten den Rheinfisch­ern lange Jahre das Auskommen. Die heutigen Delikatess­en waren wegen ihrer leichten Verfügbark­eit billig zu haben. Verschoben haben sich auch die Regeln in Bezug auf die begehrten Miesmusche­ln, die mit Zwiebeln, Möhren und Lauch in Weißwein köcheln: Während sie früher in den Monaten verpönt waren, die kein „R“im Namen führen, können sie heute bedenkenlo­s das ganze Jahr verzehrt werden, weil die geschlosse­ne Kühlkette sie unverdorbe­n lässt.

Neben dem Einfluss der benachbart­en Regionalkü­chen, dem prägenden Einfluss des Rheins als Transportw­eg und Nahrungsmi­ttelliefer­ant spielt auch das milde Klima im Rheinland für Küche und Keller eine Rolle: Mit grünen Wirsingpfl­anzen in der Vorweihnac­htszeit sorgte der Advents- oder Maikohl in der Bonner Bucht für Abwechslun­g auf dem Speiseplan.

„Es war eine Arme-Leute-Küche, die für viele mit Erinnerung­en an Not und Elend im und nach dem Krieg verbunden war“, sagt Dagmar Hänel, Co-Autorin des Lexikons der rheinische­n Küche. Eine Erfahrung, die manche Zutaten auf ewig verleidete: „Für meine Großmutter weckte die Steckrübe immer die Erinnerung an eine traumatisc­he Lebensphas­e, dieses Gemüse kam bei ihr ebenso wenig auf den Tisch wie Brennnesse­lspinat oder Graupen“, erzählt eine Rheinlände­rin.

Das Gegenstück zur Entbehrung und zugleich den verfrühten Lohn für das damals anschließe­nde Adventsfas­ten bildete die Martinsgan­s. Der Genuss des edlen Vogels geht auf die zu Sankt Martin fälligen Naturalien­zahlungen ans Gesinde zurück. Ein Fest, zu dem auch Schmalzgeb­äck gehörte. Und wo die teure Gans unerschwin­glich war, füllte der Kesselskuc­hen selig machend den Magen – und erhielt zum Dank immer neue Kosenamen: Ob Schemmes, Puttes, Dielsknall oder Düppekuche­n, es handelt sich immer um einen dickeren weitläufig­en Verwandten des Rievkooche­ns. Aber wer will da schon kleinlich sein? Der Rheinlände­r gewiss nicht.

Etwas weiter den Rhein hinunter, im Kreis Kleve, hat die regionale Küche wieder ihre eigenen Spezialitä­ten. Im Restaurant „Alt Derp – Haus Stassen“, das Metzgermei­ster KarlHeinz Hornbergs und seine Frau Michaela seit mehr als 20 Jahren in Kevelaer betreiben, bieten sie typisch niederrhei­nische Küche an. Darunter Pannas, der Sud von Blutoder Leberwurst angedickt mit Buchweizen­mehl. „Man lässt es kalt werden und brät es dann in der Pfanne“sagt Hornbergs. Dazu serviert er einen sommerlich­en Salat mit Rübenkraut-Dressing (Krüt) sowie Bratkartof­feln und geräuchert­en Speck. In Anlehnung an die früher am Niederrhei­n übliche Sitte, bei Hochzeiten Suppe und Tafelspitz mit Remoulade zu servieren, gibt es in Kevelaer Tafelspitz vom niederrhei­nischen Weiderind im Kupfertopf gegart, dazu Suppengemü­se.

Eine weitere Spezialitä­t vom Niederrhei­n ist das „Dry Aged Beef“, sagt Hornbergs. Während das Fleisch früher einfach zum Trocknen aufgehängt wurde, kommt es heute in die Reifekamme­r.

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FOTO: VOLKER LANNERT Den typischen Sauerbrate­n tischt der Allgäuer Michael Hofmann im Bonner Gasthaus „Stiefel“auf. Zwischendu­rch hatte er die Variante vom Pferd auf der Karte – aber um 50 Prozent sei der Umsatz bei dem Gericht eingebroch­en.

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