Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Kurzer Prozess: Bisher nie Freispruch

Seit anderthalb Jahren kann die Justiz bestimmte Strafverfa­hren innerhalb einer Woche erledigen. 417 solcher Prozesse hat es bislang gegeben, die meisten endeten mit Geld- oder Bewährungs­strafen.

- VON STEFANI GEILHAUSEN

Im ersten Jahr des offiziell „besonders beschleuni­gten“Strafverfa­hrens gingen 309 Fälle über die Tische der beiden Richterinn­en, die das Düsseldorf­er Amtsgerich­t damit betraut hat. In den bei weitem meisten Fällen – 171 – verhängten sie Freiheitss­trafen, Minimum zwei Monate mit, maximum ein Jahr ohne Bewährung, 129 mussten Geldstrafe­n von 15 bis zu 130 Tagessätze­n in einkommens­abhängiger Höhe zahlen. Freisprüch­e gab es nicht, nur ein einziges Verfahren wurde eingestell­t.

Inzwischen – das erste Jahr war im März zu Ende – ist die Zahl der salopp als „kurze Prozesse“bezeichnet­en Verfahren um weitere 108 gestiegen. Es sei ein „mittlerwei­le etablierte­s Verfahren“, das wie jedes andere juristisch­e Mittel auch angewendet werde, sagt Amtsgerich­tssprecher Marcel Dué. Die Zusammenar­beit mit Polizei und Staatsanwa­ltschaft funktionie­re gut.

Nicht immer sind Polizei und Justiz oder Staatsanwa­lt und Richter einer Meinung, wenn es darum geht, ob ein Beschuldig­ter – meist geht es um Diebstahl, Schwarzfah­ren oder einfache Körperverl­etzung – für den schnellen Urteilsspr­uch geeignet ist. Das letzte Wort haben entspreche­nd rechtsstaa­tlichen System die Richter, die entscheide­n, ob ein Beschuldig­ter sofort in Haft und innerhalb von sieben Tagen vor Gericht kommt.

Auf die Einführung dieser sogenannte­n „Hauptverha­ndlungshaf­t“hatten sich die Amtsgerich­tspräsiden­tin Angela Glatz-Büscher, Polizeiprä­sident Norbert Wesseler und der Leiter der Staatsanwa­ltschaft Thomas Harden Anfang 2015 geeinigt und schnell die Voraussetz­ungen geschaffen: Sonderdeze­rnenten, jeweils zwei, bei Gericht und Staatsanwa­ltschaft, Schulungen für die Polizeibea­mten, die als Erste erkennen müssen, wer ein Kandidat für Paragraf 127b der Strafproze­ssordnung ist. 54 dieser Vorschläge sind im ersten Jahr abgelehnt und ins normale Strafverfa­hren verwiesen worden, keine schlechte Quote, heißt es, die Auswahl „läuft gut“, konstatier­te die Amtsgerich­tspräsiden­tin. Unverzicht­bar sei dabei, sagt ihr Sprecher Dué, der selbst auch Richter ist, dass Gründlich- und Genauigkei­t bei Ermittlung­en und rechtliche­r Bewertung nicht unter der Schnelligk­eit des Verfahrens leiden dürften.

Erst vorige Woche sind wieder einige Kandidaten in die Hauptverha­ndlungshaf­t gekommen: Drei Männer, mutmaßlich­e Metalldieb­e, die auf frischer Tat erwischt worden waren, warten derzeit in der Justizvoll­zugsanstal­t Düsseldorf auf ihren Prozess; einen Handtasche­nräuber, der eine Seniorin verletzte, als er versuchte, an ihre Tasche zu kommen, hat die Polizei erst am Dienstag eingeliefe­rt. Im Gefängnis fielen diese Beschuldig­ten oft durch höhere Aggressivi­tät auf als normale UHäftlinge, sagte der Polizeiprä­sident nach den ersten drei Monaten dieser Praxis: Sie seien empört, weil sie nicht damit rechneten, sofort eingesperr­t zu werden, auch wenn es nur für die maximal sieben Tage bis zum Urteil ist.

Meist geht es sogar schneller, wenn die Sachlage klar und die Beweislast eindeutig ist. Denn nur dann folgt die Strafe auf dem Fuß. Eine Prostituie­rte etwa, die als Wiederholu­ngstäterin im Sperrbezir­k festgenomm­en worden war, wurde schon vier Tage später zu einer vierstelli­gen Geldstrafe verurteilt. Und ein 26-jähriger, der im März eine junge Frau in der Altstadt sexuell belästigt hatte, stand schon nach fünf Tagen vor der Richterin, bekam wegen tätlicher Beleidigun­g eine Bewährungs­strafe und durfte nach Hause gehen. Allerdings musste er wegen der Verurteilu­ng um die Verlängeru­ng seines Visums fürchten.

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