Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
„Über rote Ampeln bin ich schon gefahren“
Der Schauspieler über die Geduldsproben des Lebens: Staus, Wartezimmer, verspätete Flüge, Drehpausen und lahme Lieferdienste.
MAINZ Acht Jahre lang muss sich Benno Fürmann in seiner Rolle als Spezialagent Koralnik in „Die Einsamkeit des Killers vor dem Schuss“(ZDF, morgen, 22.30 Uhr) gedulden, bis der erste Auftrag kommt. Er gehört einer geheimen Anti-TerrorEinheit der Europäischen Union an, die nach dem 11. September 2001 gegründet wurde. Aber weil nichts passiert, langweilt die Figur sich fast zu Tode – ein Gespräch mit dem Schauspieler über das Warten.
Warum ist es wichtig, warten zu können?
FÜRMANN Es gibt Zeiten, in denen ich verstärkt innehalte, um herauszufinden, was ich will, wer ich gerade bin, was bei mir los ist. Ich glaube, es ist fatal, wenn wir durchs Leben rennen, ohne Atem zu holen. Wir brauchen Pausen.
Das heißt, Sie vertragen Leerlauf?
FÜRMANN Ja, aber das fällt schwerer, wenn ich zuvor hochtourig gefahren bin. Jeder Mensch durchlebt verschiedene Aggregatzustände. Ich bin gerne allein, aber wenn man tagelang mit Leuten unterwegs ist, braucht man Zeit, um runterzukommen. Im letzten Urlaub waren wir zu dritt in Chile in der Atacamawüste, die letzten zwei Wochen war ich dann ohne die Jungs unterwegs, zunächst fühlte ich mich einsam, erst später allein – war mir also selbst genug.
Wie kommen Sie runter, wenn Sie eine stressige Phase hatten?
FÜRMANN Natur hilft, Tee hilft, meine Tochter hilft, Freunde helfen. Und ich habe einen extrem bequemen Lesesessel. Wichtig ist auch, den Tag nicht so voll zu laden und den Preußen ein bisschen wegzuschieben, der sagt, das und das und das muss noch erledigt werden.
Sind Sie ein geduldiger Mensch?
FÜRMANN Nein! Ich bin eher ungeduldig als phlegmatisch. Es macht mich wahnsinnig, wenn Menschen nicht meine Geschwindigkeit haben. Dabei weiß ich, dass Ungeduld keine gute Eigenschaft ist und niemand gerne einen Stresser neben sich hat. Ich muss manches Mal lernen, mich in Geduld zu üben.
Gerade als Schauspieler muss man aber doch im Alltag eine Menge warten, oder?
FÜRMANN In meinem Beruf ist das manchmal schwierig. Gerade Filmschauspielerei hat viel mit Warten zu tun. Es gibt viele Unterbrechungen, etwa wenn das Licht nachjustiert wird. Das macht mich manchmal irre, denn ich würde gerne weiterspielen – wenn ich Temperatur habe, lasse ich mich nicht gerne ausbremsen. Das ist so, als ob nach jedem Ballwechsel abgepfiffen wird.
Mal angenommen, Sie hätten einen Flug gebucht und es gibt zwölf Stunden Verspätung. Mit wem würden Sie die Zeit überbrücken wollen?
FÜRMANN In meinem Kopf sehe ich mich alleine. Mein erster Versuch wäre es, aus dem Flughafen rauszukommen und mir die Stadt anzuschauen, in der ich gestrandet bin. So etwas habe ich schon erlebt. Als ich in den Südsudan geflogen bin, hatte ich einen längeren Aufenthalt in Addis Abeba. Auf dem Hinflug habe ich es geschafft, mit einem Freund aus dem Terminal rauszukommen und ein Taxi zu mieten. Dann sind wir durch Addis gefahren und haben großartige, äthiopische Küche genossen. Und der Taxifahrer hat den einzigen Hühnerschenkel, den es gab, selbstbewusst in den Mund gesteckt und uns angegrinst. Ein ungeplanter Aufenthalt ist was Tolles.
Stichwort Essen: Sind Sie eher der Typ für Slow oder Fast Food?
FÜRMANN Slow! Gute Sachen brauchen Zeit. Ich warte lieber lange und esse dafür gut, als dass ich schnell befriedigt werde, aber doch unbefriedigt bleibe.
Wennmandochmal schnell etwas zu essen braucht, wie lan- ge darf es maximal dauern, bis eine Pizza geliefert wird?
FÜRMANN Eine halbe Stunde sollte reichen. Letztens habe ich für meine Tochter und mich eine Pizza geordert. Da meinte der Mann am Telefon, das dauert rund eine Stunde. Ich war völlig entgeistert: ,Wie, eine Stunde?’ ,Weil Sie nicht der Einzige sind, der hier heute bestellt.’ Dann habe ich gesagt: , Vergessen Sie’s, schönen Abend.’ Darauf hab ich keine Lust. Wenn es länger dauert als in jedem Restaurant, dann braucht man auch keinen Lieferdienst.
Wie vertreiben Sie sich beim Arzt im Wartezimmer die Zeit?
FÜRMANN Leute angucken, nachdenken, lesen.
Wann reißt Ihnen der Geduldsfaden?
FÜRMANN Wenn ich den dritten Ansprechpartner habe, der mir sagt, dass etwas nicht funktioniert. Wenn sich beim Versuch, den Fehler zurückzuverfolgen, niemand zuständig fühlt und sich Menschen keine Mühe geben, ein Problem zu lösen, weil ihr Arbeitstag möglichst leicht sein soll.
Wie lange mussten Sie denn auf Ihren ersten Auftrag als Schauspieler warten?
FÜRMANN Da hatte ich viel Glück. Das war bei mir eher eine Sache von Monaten als von Jahren. Mein erstes Engagement war „Zweite Heimat“ von Edgar Reitz, dann kam „Schuld war nur der Bossanova“.
Auf was haben Sie im Leben bislang am längsten gewartet?
FÜRMANN Auf eine Erleuchtung.
Warten vor roten Ampeln. Sind Sie schon mal drüber gefahren?
FÜRMANNRote Ampeln an Stellen, an denen weit und breit nichts zu sehen ist, nerven total. Da bin ich schon drübergefahren. Aber noch schlimmer für mich als Autofahrer sind Staus. Da kann man nicht auf Null schalten, sondern muss am Steuer sitzen bleiben. Das ist für mich ein unerträglicher Zustand zwischen Passivität und Aktivität, nah an der absoluten Zeitvergeudung.
Wenn Sie zurückblicken, was war Ihr Berufswunsch als Kind?
FÜRMANN Ich kann mich an Pilot und Möbelpacker erinnern.
Und Agent war nie darunter?
FÜRMANN Ich bin ja am Kottbusser Damm in Berlin groß geworden, da war James Bond so weit entfernt wie Hollywood, das war keine realistische Berufsperspektive.
Und heute, wo der Posten bald wieder vergeben werden soll?
FÜRMANN Heute arbeite ich natürlich immer noch an meinem Endziel, Geheimagent zu werden (lacht). Wir werden sehen!